Der Bundesrat hat in seiner 900. Sitzung am 21. September 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat befürwortet das Vorhaben der Kommission, die Richtlinie über Versicherungsvermittlung mit Blick auf die aus der Finanzmarktkrise gezogenen Lehren zu überarbeiten und an veränderte wirtschaftliche und technologische Rahmenbedingungen anzupassen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt den vorgelegten Vorschlag als wichtigen Beitrag für einen besseren Verbraucherschutz. Die enge Orientierung an der Finanzmarkt-Richtlinie ("MiFID II"; BR-Drucksache 694/11 (PDF) ) lässt das durch die G20- Staaten beschlossene Ziel vergleichbarer Vertriebsstandards für alle Finanzprodukte ein Stück näher rücken.
- 3. Er unterstützt die Zielsetzung der Kommission, mit der Neufassung der Richtlinie die Regulierung des Versicherungsmarkts für Privatkunden im Hinblick auf einen unverzerrten Wettbewerb, den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher und eine stärkere Marktintegration wirksam zu verbessern.
- 4. Der Bundesrat regt an, die in Erwägungsgrund 15 (vormals 14 IMD 1) vorgenommene Änderung dahingehend zu überprüfen, dass bei natürlichen Personen künftig allein auf den Wohnsitz abgestellt werden soll. Sie würde dazu führen, dass z.B. ein in Österreich wohnender, aber allein in Deutschland tätiger Versicherungsvermittler in Österreich im Vermittlerregister eingetragen wird und sich in der Folge z.B. Fragen des anzuwendenden Rechts stellen.
- 5. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf professionelle Schadensregulierer in Artikel 1 nicht erforderlich ist. Diese sind in der Regel als Erfüllungsgehilfen des Versicherungsunternehmens, das sich ein Fehlverhalten nach Zivilrecht zurechnen lassen muss, tätig. Für den Fall, dass diese Regelung beibehalten werden soll, wird angeregt, zur Erhöhung der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Unklarheiten eine Begriffsbestimmung einzufügen.
- 6. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, in Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe b aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu definieren, was genau unter dem Begriff der Weitergabe von Informationen zu verstehen ist. So besteht beispielsweise Klärungs- und Abgrenzungsbedarf, insbesondere im Hinblick auf Vergleichsportale im Internet.
- 7. Die Definition der Rückversicherungsvermittlung in Artikel 2 Absatz 6 sollte nach Ansicht des Bundesrates um die Vermittlung von Erstversicherungsverträgen durch Rückversicherungsunternehmen ergänzt werden. Dadurch würde klargestellt, dass das vermittelnde Geschäft von Rückversicherungsunternehmen auch in Bezug auf Erstversicherungen den aufsichtsrechtlichen Anforderungen genügt und nicht den für die Vermittlungstätigkeit erforderlichen Verpflichtungen wie Eintragung und Berufshaftpflicht unterliegt. Diese Klarstellung ist erforderlich, weil mit dem vorliegenden Richtlinienvorschlag die bisherige Systematik umgestellt wird. Waren bisher in der IMD 1 die vertrieblichen Aktivitäten von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen nicht von der Richtlinie erfasst, soll nunmehr der Begriff der Versicherungsvermittlung auch diese Tätigkeiten umfassen (vgl. Ziffer 3.5 der Begründung zu Artikel 1). Da gleichzeitig strikt zwischen der Erstversicherungsvermittlung einerseits und Rückversicherungsvermittlung andererseits differenziert wird, besteht die Gefahr, dass die "Überkreuzvermittlung" durch Rückversicherungsunternehmen als nicht mehr zulässig erachtet wird. Damit könnte eine geschäftliche Aktivität in Frage gestellt werden, die seit langer Zeit branchenüblich von der Zulassung der Rückversicherungsunternehmen nach der Rückversicherungsrichtlinie 2005/68/EG umfasst ist und in § 7 Absatz 3 des deutschen Versicherungsaufsichtsgesetzes als mit der Rückversicherung verbundenes Geschäft aufsichtsrechtliche Anerkennung gefunden hat.
- 8. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass aus der Definition des Rückversicherungsvermittlers in Artikel 2 Absatz 7 zur Klarstellung nicht nur das Rückversicherungsunternehmen, sondern ausdrücklich auch seine Angestellten ausgenommen werden sollten. Dadurch wird vermieden, dass die Angestellten von Rückversicherungsunternehmen zusätzlichen aufsichtsrechtlichen Pflichten unterworfen werden, obwohl das Rückversicherungsunternehmen bereits beaufsichtigt ist. Dementsprechend ist etwa in Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Richtlinienvorschlags mit Blick auf die Eintragung von Vermittlern geregelt, dass von der Eintragungspflicht "Versicherungsunternehmen und ihre Angestellten" ausgenommen sind.
- 9. Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 sieht vor, dass Erstversicherungsunternehmen und ihre Angestellten sich im Rahmen dieser Richtlinie hinsichtlich ihrer Vermittlungstätigkeiten nicht nochmals eintragen lassen müssen. Der Bundesrat plädiert dafür, eine dementsprechende Ausnahme auch für Rückversicherungsunternehmen und ihre Angestellten aufzunehmen. Anderenfalls bedürften Rückversicherungsunternehmen nicht nur für die Vermittlung von Erstversicherungen, sondern sogar für die Rückversicherungsvermittlung einer zusätzlichen Eintragung.
- 10. Der Bundesrat sieht das vereinfachte Eintragungsverfahren für Vermittler, die Versicherungsvermittlung als Nebentätigkeit betreiben, kritisch. Eine Eintragung führt nicht zur Stärkung des Verbraucherschutzes. Vielmehr gehen Verbraucherinnen und Verbraucher möglicherweise zu Unrecht davon aus, der Vermittler sei behördlich geprüft. Der Bundesrat plädiert daher für eine Beibehaltung der bisherigen Regelung.
- 11. Er begrüßt die im Richtlinienvorschlag enthaltenen Ansätze zur Definition der angemessenen Kenntnisse und Fertigkeiten der Vermittlerin bzw. des Vermittlers sowie der geeigneten Kriterien zur Feststellung des Niveaus der beruflichen Qualifikationen, Erfahrungen und Fertigkeiten im Hinblick auf die Ausübung von Versicherungsvermittlertätigkeiten. Er begrüßt ferner die vorgesehenen Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung. Der Bundesrat ist allerdings der Auffassung, dass das geforderte hohe Maß an Professionalität und Kompetenz auch durch ein möglichst einheitliches Prüfverfahren gesichert werden sollte. Vor diesem Hintergrund bewertet der Bundesrat es kritisch, wenn in Zukunft nicht nur einem Versicherungsunternehmen, sondern auch einer Versicherungsvermittlerin oder einem Versicherungsvermittler die Befugnis zur Überprüfung der Zulassungsvoraussetzungen der eigenen Versicherungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter übertragen werden kann (Artikel 8 Absatz 1 Unterabsatz 4).
- 12. Der Bundesrat spricht sich für eine Überprüfung der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit aus, Versicherungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter von zentralen Mindestanforderungen an die Zuverlässigkeit, wie beispielsweise das Fehlen eines Strafregistereintrages wegen einer schwerwiegenden Straftat in den Bereichen Eigentums- oder Finanzkriminalität, auszunehmen (Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 3). Nach Ansicht des Bundesrates sollte durch Einräumung dieser Ausnahmemöglichkeit nicht die mit dem Richtlinienvorschlag verfolgte Zielsetzung gefährdet werden, wonach die im Versicherungswesen beschäftigten Personen ihre Tätigkeit gegenüber Kunden ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse auszuüben haben.
- 13. Er unterstützt die in Artikel 13 vorgesehene Pflicht der Mitgliedstaaten zur Schaffung von außergerichtlichen Schlichtungsstellen, an denen die Versicherungsunternehmen und -vermittler teilnehmen müssen, und begrüßt die einheitlichen Vorgaben zur Ausgestaltung des Verfahrens.
- 14. Artikel 13 des Richtlinienvorschlags fügt sich in die europäische Rechtsetzung zur außergerichtlichen Streitschlichtung ein. Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e setzt mit der Möglichkeit des elektronischen Zugangs zum Verfahren die Vorgaben des Vorschlags für eine Verordnung über die Online-Streitbeilegung - COM (2011) 794 final - um.
Die Buchstaben a und d knüpfen an die Vorgaben des Richtlinienvorschlags für eine alternative Streitbeilegung - COM (2011) 793 final - an. Die Buchstaben b, c und f gehen allerdings mit den Regelungen zur Auswirkung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens auf die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche über die vorgenannten Legislativvorschläge hinaus. Sie ziehen den Rahmen auch deutlich weiter, als ihn § 214 VVG vorgibt, der entsprechende Regelungen gleichfalls nicht enthält.
Die Regelungen in den Buchstaben b und c sind zwar in der Sache sinnvoll und fördern die Attraktivität der außergerichtlichen Streitbeilegung. Allerdings würde bei der Umsetzung ein Sonderrecht für Versicherungsvertragsverhältnisse entstehen, das § 204 BGB für andere Vertragsgestaltungen nicht vorsieht. Ein Ungleichgewicht entsteht insbesondere in den Fällen, bei denen - wie bei der Kündigungsschutzklage - die Inanspruchnahme z.B. einer Mediation gerade nicht zu einer Unterbrechung bzw. Verlängerung der Klagefrist führt. Die Auswirkung einer außergerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen auf die gerichtliche Geltendmachung darf jedenfalls kein Sonderweg des Versicherungsvertragsrechts bleiben. Vor diesem Hintergrund befürwortet der Bundesrat einen Regelungsansatz, der Insellösungen für einzelne Vertragsverhältnisse vermeidet und stattdessen ein einheitliches Konzept für die Auswirkungen der außergerichtlichen Streitbeilegung auf die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche enthält.
- 15. Nach Artikel 17 des Richtlinienvorschlags sollen Versicherungsvermittler bzw. Vertriebsangestellte von Versicherungsunternehmen und -vermittlern zukünftig verpflichtet sein, die Grundlage und den genauen Umfang ihrer Vergütung bzw. den Umfang ihrer variablen Vergütung offenzulegen.
Der Bundesrat begrüßt den Ansatz des Richtlinienvorschlags zu einer transparenteren Offenlegungspflicht der Versicherungsvermittler über Vergütungen (Provisionen) gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Die Offenlegung der Vertriebsvergütungen ist geeignet, Kunden mögliche Interessenkonflikte von Versicherungsvermittlern aufzuzeigen und zu einem kritischen Vergleich mit anderen Produkten oder Anbietern zu veranlassen. Weiterhin stärkt sie den Wettbewerb um einen besonders kosteneffizienten Vertrieb und erleichtert zudem den Vergleich zwischen Provisions- und Honorarberatung. Letztere kann damit deutlicher als echte Alternative am Markt wahrgenommen werden.
- 16. Der Vergleich der Vertriebsvergütungen allein reicht bei der Suche nach dem günstigsten und besten Produkt nicht aus. Die auszuweisenden Beträge können je nach Vertriebsweg differieren, obwohl die entsprechende Gesamtkalkulation der Vertriebskosten nicht verändert wird. So sind etwa beim Direktvertrieb mittels eigener Angestellter nicht nur die variablen, sondern auch anteilig die festen Gehaltsbestandteile mit einkalkuliert. Das effizienteste Produkt kann somit nur durch einen Gesamtvergleich aller Kosten ermittelt werden.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung deshalb zu prüfen, ob die Kostentransparenz auf die insgesamt kalkulierten Abschlusskosten sowie die übrigen einkalkulierten Kosten (z.B. Verwaltungskosten) erweitert werden sollte, wie dies für bestimmte Versicherungsprodukte bereits durch die Informationspflichtenverordnung zum Versicherungsvertragsgesetz (VVG-InfoV) vorgesehen ist.
- 17. Allerdings unterscheidet die Vorschrift hinsichtlich der Offenlegungspflicht des Vertreibers zwischen Lebensversicherungsprodukten und Nichtlebensversicherungsprodukten. Für eine Übergangsfrist von fünf Jahren ist bei der zweiten Produktgruppe nur auf Anfrage eine Offenlegung der Vergütung erforderlich (Artikel 17 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags). Dazu erläutert die Begründung zum Richtlinienvorschlag, dass Lebensversicherungsprodukte eine größere Ähnlichkeit mit Anlageprodukten hätten, und der Kauf eines solchen Produkts eine langfristige Anlage darstelle. Demgegenüber sei bei Nichtlebensversicherungsprodukten die Vergütung in der Regel niedriger, und das Produkt sei mit weniger Risiken behaftet. In der Regel könnten Kunden sehr leicht und mit tragbaren Kosten zu einem anderen Produkt wechseln (vgl. BR-Drucksache 389/12 (PDF) , S. 11). Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine umfassende Offenlegungspflicht sowohl für Lebensversicherungsprodukte als auch für Nichtlebensversicherungsprodukte gelten sollte. Die vorgenommene Differenzierung überzeugt nicht. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum Versicherungsnehmer bei Erwerb einer Nichtlebensversicherung erst nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren obligatorisch über die Vergütung des Vertreibers informiert werden sollen. Entgegen den Ausführungen in der Begründung stellen auch andere Versicherungen als Lebensversicherungen langfristige Entscheidungen dar, bei denen Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Entscheidung nicht oder nur mit erheblichen Einbußen ändern können. Beispielhaft können in diesem Zusammenhang Kranken- und Berufsunfähigkeitsversicherungen genannt werden, die regelmäßig eine Gesundheitsprüfung voraussetzen.
Insbesondere reicht es nicht aus, wenn im Bereich der Nichtlebensversicherungsprodukte, wie beispielsweise Krankenversicherungen, die Provisionen erst auf Verlangen des Kunden offen zu legen sind.
Der Bundesrat stellt mithin fest, dass die Gesichtspunkte, die in der Vorschlagsbegründung für die Nichtanwendbarkeit der grundsätzlich vorgesehenen fünfjährigen Übergangsfrist auf Lebensversicherungen angeführt sind (hohe Provisionen, teurer Wechsel) im Wesentlichen auch für den Bereich der privaten Krankenversicherungen gelten. Die fünfjährige Übergangsfrist für Nichtlebensversicherungsprodukte sollte demnach im weiteren Verfahren gestrichen werden (Artikel 17 Absatz 2).
- 18. Artikel 20 normiert, auf welche Art und Weise den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Auskünfte nach Artikeln 16 bis 18 des Richtlinienvorschlags zu erteilen sind.
Der Bundesrat regt an zu prüfen, ob in Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe c entsprechend dem Gedanken von Artikel 6 der Rom-I-Verordnung eine Regelung aufgenommen werden sollte, wonach die vorvertraglichen Informationen nach den Artikeln 16, 17 und 18 in jedem Fall in der Amtssprache des Mitgliedstaates zu erteilen sind, auf den das Angebot des Versicherungsvermittlers oder des Versicherungsunternehmens ausgerichtet ist.
Neben einer Auskunftserteilung in Papierform oder auf einem dauerhaften Datenträger soll es zukünftig auch möglich sein, die Auskünfte über eine Website zu erteilen. Absatz 5 der Vorschrift legt dafür folgende Voraussetzungen fest:
- - der Zugang zur Website muss für den Kunden personalisiert sein oder
- - die Auskunftserteilung über eine Website muss für das getätigte Geschäft angemessen sein und - der Kunde hat dieser Art der Auskunftserteilung zugestimmt und - dem Kunden wurde die Adresse der Website sowie die Stelle auf der Website, an der die Auskünfte abgerufen werden können, elektronisch mitgeteilt und - es muss gewährleistet sein, dass die Auskünfte auf der Website so lang verfügbar bleiben, wie sie für den Kunden voraussichtlich abrufbar sein müssen.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass der praktische Nutzen der Vorgaben im Richtlinienvorschlag zur Informationserteilung, Darlegung von Interessenkonflikten und Provisionsoffenlegung sehr stark davon abhängen wird, auf welche
Art und Weise diese Informationen der Verbraucherin bzw. dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden. Der Bundesrat befürchtet, dass mit den vorgesehenen Ausnahmen zur Auskunftserteilung auf Papier (Artikel 20 Absatz 2 bis 5), insbesondere mit der eingeräumten Option der Informationserteilung über eine Website, die Zielsetzung einer umfassenden und rechtzeitigen Kenntnisnahme aller für einen Vertragsschluss aus Verbrauchersicht relevanten Informationen unterlaufen wird. Der Bundesrat bittet um Prüfung, ob hier auf die Einräumung einer Informationserteilung auf einer Website nicht vollständig verzichtet werden sollte.
Die Auskunftserteilung über eine Website ist mit einem der Kernanliegen des Richtlinienvorschlags unvereinbar. Gemäß Erwägungsgrund 9 des Vorschlags ist eines der zentralen Ziele ein wirksamer Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern, an die Versicherungsverträge vermittelt werden.
Das bedeutet u.a., dass es den Verbraucherinnen und Verbrauchern möglich sein muss, vor dem Abschluss des Vertrages bzw. bei einer Vertragsänderung bzw. -verlängerung eine fundierte Entscheidung zu treffen und so ihre Interessen im Falle eines Konflikts mit dem Versicherungsvermittler zu wahren.
Zu diesem Zweck müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Lage sein, die Daten unverändert wiederzugeben. Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn die bereitgestellten Informationen nicht einseitig vom Versicherungsvertreiber geändert werden können (vgl. zur Richtlinie 2002/92/EG: EFTA-Gerichtshof GRUR Int 2010, 327, 332).
Die Voraussetzungen, die Artikel 20 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags normiert, genügen diesen Anforderungen nicht. Zum einen ist bereits nicht gewährleistet, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abschluss des Vertrags die Informationen, die auch nach Darstellung der Kommission Basis einer fundierten Entscheidung auf Seiten der Verbraucherinnen und Verbraucher sind, überhaupt erhalten und zur Kenntnis nehmen. Zum anderen ist aber insbesondere keine Gewähr gegeben, dass die Informationen im Laufe der Zeit vom Versicherungsvermittler nicht verändert werden. Es muss den Verbraucherinnen und Verbrauchern aber - gerade im Konfliktfall - möglich sein, einfach und sicher zu dokumentieren, welche Auskünfte ihnen erteilt wurden, und diese unverändert wiederzugeben. Verbraucherinnen und Verbraucher, die die Informationen auf der Website des Vertreibers abrufen, können aber nicht sicher sein, dass die Angaben unverändert und vollständig sind, da sie über Ergänzungen weder in Kenntnis gesetzt worden sind noch in der Lage sein dürften, einen Vergleich vorzunehmen. Das Kriterium der "unveränderten Wiedergabe der Auskünfte" fehlt in Artikel 20 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags.
- 19. Der Bundesrat befürwortet die im Richtlinienvorschlag festgelegten Grundsätze zur Kundeninformation. Der Bundesrat bewertet die Ausnahmeregelung für den Telefonverkauf, bei dem die im Richtlinienvorschlag festgelegten Informationen auch unmittelbar nach Abschluss des Versicherungsvertrags erteilt werden könnten, jedoch kritisch. Nach den Erfahrungen aus der Beratungspraxis der Verbraucherzentralen ist dieser Vertriebsweg am anfälligsten für unseriöses Geschäftsgebaren. Es sollte daher sichergestellt werden, dass Verbraucherinnen und Verbrauchern auch über diesen Vertriebskanal bereits vorab alle notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden.
- 20. Er begrüßt, dass bei Versicherungsanlageprodukten zusätzliche Anforderungen an den Kundenschutz gemäß Kapitel VII gestellt werden, so dass eine sektorenübergreifende Kohärenz und ein einheitlicher Verbraucherschutzstandard gewährleistet werden.
- 21. Der Bundesrat stellt fest, dass die in Artikel 24 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Unterscheidung zwischen provisionsbasierter, "nicht unabhängiger" und "unabhängiger" Versicherungsberatung, für die u.a. ein Verbot der Annahme von Gebühren, Provisionen oder anderer Geldvorteile bestehen soll, zu einer wesentlichen Verbesserung des Kundenschutzes beitragen kann. Durch die entsprechende Informationspflicht von beratenden Versicherungsvermittlern bzw. einem beratenden Versicherungsunternehmen werden Kunden frühzeitig auf mögliche Interessenskonflikte hingewiesen und in die Lage versetzt, sich bewusst für oder gegen die jeweilige Beratungsform zu entscheiden.
Hier spricht sich der Bundesrat mit Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten am Markt dafür aus, eine Beratung auch dann als unabhängig anzuerkennen, wenn der Versicherungsvermittler zwar Zahlungen vom Anbieter erhält, diese aber vollständig offenlegt und an den Kunden weitergibt.
- 22. Der Bundesrat hält die in Artikel 24 Absatz 5 aufgestellten Anforderungen an eine unabhängige Versicherungsberatung nicht für ausreichend, um eine ausschließlich an den Belangen der Kunden ausgerichtete Beratung zu gewährleisten. Der Richtlinienvorschlag sieht vor, dass die als unabhängig bezeichnete Beratung unter anderem auch auf Versicherungsprodukte bezogen werden darf, die von Rechtssubjekten angeboten werden, die in enger Verbindung zum Versicherungsvermittler bzw. -unternehmen stehen. Da in diesen Fällen aber ein zu Lasten von Kunden entstehender Interessenskonflikt nicht sicher ausgeschlossen werden kann, spricht sich der Bundesrat deshalb dafür aus, diese Form der Beratung als abhängige Beratung zu qualifizieren.
- 23. Er weist ferner darauf hin, dass der praktische Nutzen der Bestimmungen im Richtlinienvorschlag zur unabhängigen Beratung sehr stark davon abhängen wird, auf welche Art und Weise die Information über die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der jeweiligen Beratungsform den Kunden zur Verfügung gestellt wird. Bei den hierzu ergangenen Regelungen sollte klargestellt werden, dass der Kunde zeitlich vor der Beratung darüber informiert wird, ob diese unabhängig erbracht wird. Gerade im Hinblick auf die in Artikel 24 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Möglichkeit, die Information in standardisierter Form zu erteilen, sollte auch dafür gesorgt werden, dass die Zielsetzung der Regelung nicht dadurch unterlaufen wird, dass der Hinweis auf die Beratungsform nur versteckt in umfangreicheren Vertragsunterlagen platziert und so eine rechtzeitige Kenntnisnahme durch den Kunden in der Praxis verhindert wird. Der Bundesrat spricht sich deshalb für eine gesetzliche Klarstellung dahingehend aus, dass die Information über die jeweilige Beratungsform gut sichtbar und optisch hervorgehoben auf einem gesonderten Dokument zur Verfügung gestellt wird, wobei die Kenntnisnahme vom Kunden bestätigt werden muss.
- 24. Der Bundesrat hat Bedenken gegen die Regelung in den Artikeln 27 und 28 Absatz 2 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags, soweit sie im Regelfall die Veröffentlichung verhängter Geldbußen von Amts wegen vorschreibt, wobei grundsätzlich auch die Personalien der sanktionierten Person benannt werden sollen.
Er ist insbesondere der Überzeugung, dass die Veröffentlichungspflichten in Artikel 27 zu weitgehend sind. Eine Differenzierung nach der Schwere des Verstoßes ist nicht enthalten. Zudem ist der Nutzen fraglich, denn anonymisierte Bekanntmachungen sind für die Verbraucherinnen und Verbraucher nur von beschränkter Aussagekraft. Darüber hinaus besteht bei entsprechenden Rechtsverstößen der Versicherungsvermittler ohnehin die Möglichkeit, die Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit zu widerrufen.
Abgesehen davon, dass ein solcher "Pranger" dem deutschen Recht bisher aus gutem Grund weitgehend fremd ist, da er unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungsrechtlich nur unter engen Voraussetzungen zulässig sein kann, stünde eine derartige Regelung in einem unauflösbaren Widerspruch zu den geltenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften über die Informationserteilung aus Bußgeldverfahren. Die §§ 49a, 49b des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) nehmen insoweit auf die entsprechenden Vorschriften in der Strafprozessordnung (StPO) Bezug. Danach findet eine Informationsübermittlung an unbeteiligte Privatpersonen von Amts wegen nicht statt. Auf Ersuchen können gemäß § 49b OWiG in Verbindung mit § 475 Absätze 1 und 4 StPO Privatpersonen Auskünfte aus Akten erhalten, sofern sie hierfür ein berechtigtes Interesse darlegen. Auskünfte sind demgegenüber zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat.
Diesem abgewogenen und seit langem bewährten System entspricht es nicht, wenn das Ergebnis eines Bußgeldverfahrens von Amts wegen für jeden zugänglich veröffentlicht wird und dabei in der Regel auch die Nennung des Namens der sanktionierten Person erfolgt, die nur unterbleiben darf, wenn die Bekanntmachung des Namens den Beteiligten "einen unverhältnismäßig großen Schaden zufügen" würde.
- 25. Artikel 28 Absatz 2 Buchstabe e des Richtlinienvorschlags sieht bei der Sanktionierung juristischer Personen eine umsatzbezogene Geldbuße vor. Eine solche Regelung kennt das deutsche Recht bisher - soweit ersichtlich - nur in § 81 Absatz 4 Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
Abgesehen davon, dass ein rein umsatzbezogener Bußgeldrahmen ohne einen durch den Gesetzgeber bestimmten Höchstsatz verfassungsrechtlich nicht unbedenklich erscheint (vgl. Göhler, OWiG, 16. Auflage 2012, § 17 Rnr. 48c), sollte davon Abstand genommen werden, das Höchstmaß einer gegen eine juristische Person zu verhängenden Verwaltungsgeldstrafe mit 10 Prozent des Gesamtumsatzes "im vorangegangenen Geschäftsjahr" zu bemessen.
Denn durch diese Formulierung bleibt offen, ob das Geschäftsjahr gemeint ist, das der Tat vorausging, das vor der Behördenentscheidung oder dasjenige vor der (ggf. letzten) gerichtlichen Tatsacheninstanz.
- 26. Der Bundesrat hat zudem Bedenken gegen die Regelung in Artikel 28 Absatz 2 Buchstabe f des Richtlinienvorschlags. Nach dieser Vorschrift darf das Höchstmaß der gegen eine natürliche Person verhängten Geldbuße nicht geringer sein "als das Zweifache des bezifferten Vorteils", der aus dem Verstoß gezogen wurde. Durch eine solche Regelung würden jedoch Fragen der Sanktionierung und der Gewinnabschöpfung vermischt, was der bewährten Systematik des deutschen Rechts widerspricht, das in § 17 Absatz 3 und 4 OWiG zwischen dem sanktionierenden und dem abschöpfenden Teil einer Geldbuße trennt, und daher unterbleiben sollte. Angesichts des Bußgeldhöchstsatzes von fünf Millionen Euro (gemäß § 17 Absatz 4 Satz 2 OWiG ggf. zuzüglich des - einfachen - aus der Tat gezogenen Vorteils) ist zudem kein praktisches Bedürfnis für eine derartige Regelung für natürliche Personen zu erkennen.
- 27. Artikel 29 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags sieht vor, dass die EIOPA Leitlinien an die zuständigen Behörden ausgibt, die die Art der Verwaltungsmaßnahmen und -sanktionen und die Höhe der Verwaltungsgeldstrafen zum Gegenstand haben. Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 bestimmt für derartige Leitlinien, dass die zuständigen Behörden alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen müssen, um ihnen nachzukommen. Kommt eine zuständige Behörde der Leitlinie nicht nach oder beabsichtigt sie, dies nicht zu tun, so hat sie dies der EIOPA unter Angabe der Gründe binnen zwei Monaten mitzuteilen. Die Tatsache und unter Umständen auch die Gründe werden sodann durch die EIOPA veröffentlicht.
Soweit Artikel 29 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags auch Verwaltungsbehörden und Staatsanwaltschaften im Bußgeldverfahren adressiert, ist die Regelung abzulehnen. Es ist bereits kein Grund erkennbar, warum den in Deutschland zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Stellen gegenüber EIOPA eine Pflicht zur Rechenschaft über ihre Behandlung einzelner sanktionsrechtlich relevanter Sachverhalte auferlegt werden müsste.
Vor allem aber sprechen durchgreifende grundsätzliche Erwägungen gegen eine solche Rechenschaftspflicht: Die bestehende Kompetenzabgrenzung zwischen EU und Mitgliedstaaten für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (und Straftaten) im Einzelfall muss gewahrt bleiben. Es ist keine Aufgabe der EU und ihrer Behörden, mittels Leitlinien und Empfehlungen auf die Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts durch die deutschen Verfolgungsbehörden im Einzelfall Einfluss zu nehmen.
- 28. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.