Der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein Kiel, 14. September 2020
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Schleswig-Holstein hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates zur Anpassung der Regelungen zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes an die aktuelle Pandemiesituation zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Günther
Entschließung des Bundesrates zur Anpassung der Regelungen zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes an die aktuelle Pandemiesituation
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass die maximale Anzahl der Tage, an denen Versicherte Krankengeld bei Erkrankung des Kindes beziehen können, unter den aktuellen Pandemiebedingungen für viele Eltern nicht ausreichend sein werden und daher verdoppelt werden sollten.
- 2. Der Bundesrat unterstreicht die Notwendigkeit, das finanzielle Risiko einer Erkrankung des Kindes abzusichern.
- 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, zeitnah einen Gesetzesentwurf vorzulegen, und die Regelungen zum Erhalt von Krankengeld bei Erkrankung des Kindes an Ausnahmesituationen, wie die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie, anzupassen.
- 4. Der Bundesrat bittet im Rahmen dieses Gesetzesentwurfs zu prüfen,
- a) wie eine Ausweitung des Anspruchs auf Kinderkrankengeld unter Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeitsaspekten möglich ist und das Ausfallrisiko für Arbeitgeber kalkulierbar bleibt,
- b) wie weiterhin eine gleichberechtige Aufteilung der Betreuungsarbeit auf beide Elternteile gewährleistet werden kann und auch für Alleinerziehende eine Verbesserung erzielt werden kann,
- c) wie es Eltern ermöglicht werden kann, Krankengeld bei Erkrankung des Kindes zu beziehen, wenn Kinder jenseits der aktuell geltenden Altersgrenze von zwölf Jahren, aufgrund einer Erkrankung von ihren Eltern gepflegt werden müssen.
- d) ob durch die Streichung des Buchstaben "c" in § 45 Absatz 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch erreicht werden kann, dass man der Situation von Eltern, deren Kinder palliativmedizinisch betreut werden, besser gerecht wird.
Begründung:
Zu 1:
Die maximale Anzahl der Tage, an denen Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes in Anspruch genommen werden kann, wird durch § 45 Absatz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) beschränkt. Die Bezugsdauer ist je Elternteil auf 10 Tage für ein Kind, 20 Tage für zwei Kinder und 25 Tage ab dem dritten Kind beschränkt. Alleinerziehende erhalten die doppelte Anzahl an Tagen. Ausnahmen gelten lediglich, wenn Kinder an einer tödlichen Erkrankung leiden, die bereits weit fortgeschritten ist ( § 45 Absatz 4 SGB V).
Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie wurde diese Beschränkung häufig kritisiert. Gerade für Eltern kleiner Kinder sind die in § 45 Absatz 2 SGB V vorgesehenen Tage nicht ausreichend. Diese Situation wird sich mit dem Fortschreiten der Pandemie noch weiter verstärken, da aktuell auch Kinder mit leichten Erkältungssymptomen, Zuhause betreut werden müssen. Die in fast allen Bundesländern getroffenen Regelungen zur Teilnahme am Schulunterricht oder zum Besuch von Kindertageseinrichtungen oder ähnlichen Betreuungsangeboten sehen vor, dass Kinder, welche Erkältungssymptome zeigen, in der Regel zumeist einen Tag Zuhause betreut werden müssen. Hierfür sind schon leichteste Symptome, wie die im Kindesalter häufig von Oktober bis März praktisch kontinuierlich vorhandene "Rotznase", ausreichend.
Während der Corona-Pandemie muss daher davon ausgegangen werden, dass die den Eltern zustehenden Tage nicht ausreichen würden, denn die nun drohenden "Isolationstage" kommen zu den Tagen, an denen Kinder tatsächlich so schwer erkrankt sind, dass sie an Unterrichts- und Betreuungsangeboten nicht teilnehmen können, hinzu. Auch arbeitet ein wesentlicher Teil von Bürgerinnen und Bürgern in Berufsfeldern, z.B. im Handwerk, im Einzelhandel oder in Gesundheits-, Pflege- und Bildungseinrichtungen, in denen keine oder nur eine sehr eingeschränkte Homeoffice-Regelung möglich ist. Es muss daher sichergestellt werden, dass den Eltern doppelt so viele Tage, an denen das Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes bezogen werden kann, zur Verfügung gestellt werden.
Zu 2:
Familien waren eine der Gruppen, die von den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie am stärksten betroffen waren. Durch die frühzeitige Schließung von Schulen und Kindergärten konnte eine Weiterverbreitung des Virus stark eingedämmt werden. Berufstätige Eltern mussten in dieser Zeit neben der Arbeit auch die Betreuung und den Unterricht der Kinder organisieren. In vielen Bundesländern sind von der Schließung der Schulen, bis zum Ende der Sommerferien und dem damit einhergehenden Beginn des Regelunterrichtes bzw. der regulären Betreuung mehr als 20 Wochen vergangen. Familien können die Last, der sich im Herbst anbahnenden Erkältungswelle daher nicht alleine schultern. Sofern Kinder zuhause betreut werden müssen, sollten Eltern die Möglichkeit erhalten, sich vollständig der Betreuung ihrer Kinder zu widmen. Weder sollten hierfür Urlaubstage aufgewendet werden, noch sollten Eltern sich um ihre finanzielle Existenz sorgen müssen.
Zu 3:
Eine zeitliche Ausweitung des Anspruches auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes ist nur durch Anpassung der in § 45 Absatz 2 SGB V enthaltenen Beschränkungen möglich. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der Bezugszeitraum verdoppelt werden kann.
Zu 4:
- a) Die GKV hat im Jahr 2018 259 Mio. € für das Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes aufgewendet. Bei einem vollständigen Wegfall der Beschränkungen ist damit zu rechnen, dass die Ausgaben für das Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes deutlich steigen werden. Dies Ausgabenerweiterung sollte durch flankierende Maßnahmen beschränkt werden. Möglich wäre hier z.B. die Kopplung an die Festlegung einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite.
- b) Aktuell kann die volle Anzahl der möglichen Tage nur von Alleinerziehenden oder von Eltern, die sich die Betreuung der erkrankten Kinder aufteilen, in Anspruch genommen werden. Eine Aufhebung der Begrenzung hätte zur Folge, dass die Betreuung auch vollständig von einem Elternteil geleistet werden könnte. Bereits jetzt hat sich gezeigt, dass die Corona-Krise vermehrt zu einem Rückfall in alte Rollenmuster geführt hat. Frauen haben während Schulschließung und Ausfall der Kinderbetreuung einen Großteil der Betreuungsarbeit übernommen. Auch bei vorzunehmenden Anpassungen, sollte darauf geachtet werden, dass eine einseitige Verlagerung der Betreuungsarbeit nicht erfolgt.
- c) Im Jahr 1998 wurde die Altersgrenze für den Bezug von Krankengeld bei Betreuung eines Kindes von acht auf zwölf Jahre erhöht. Kinder die älter als zwölf sind bedürfen im Falle einer Erkrankung i.d.R. nicht der Beaufsichtigung ihrer Eltern, jedoch in einzelnen Fällen der Pflege ihrer Eltern. Eltern, deren Kinder so schwer erkrankt sind, dass diese durch ihre Eltern gepflegt werden müssen, sollten auch in diesem Fall einen Anspruch auf Kinderkrankengeld erhalten. Die benötigte Pflege ist durch ärztliches Attest zu bescheinigen.
- d) Für die Streichung des § 45 Absatz 4 Buchstaben
- c) SGB V spricht, dass Krankheiten, an denen Kinder schlussendlich sterben, anders fortschreiten als tödliche Erkrankungen bei Erwachsenen. Die Verschlechterung des Gesundheitszustandes erfolgt bei Kindern nicht linear, sondern häufig in Phasen. Nicht selten stabilisiert sich bei Kindern der Gesundheitszustand unerwartet wieder. Dies macht eine fachliche Einschätzung der Lebenserwartung sehr schwierig. Da die Erkrankung bereits nach § 45 Abs. 4 Satz 1 Buchstabe a) SGB V weit fortgeschritten sein muss, wird die Zeit des Kinderpflegekrankengeldbezuges bereits ausreichend begrenzt. Eltern sterbenskranker Kinder bekämen so einfacher die Möglichkeit, sich auch der Pflege ihrer Kinder zu widmen und diesen einen Tod in der vertrauten Umgebung zu ermöglichen.