989. Sitzung des Bundesrates am 15. Mai 2020
Der federführende Finanzausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat lehnt den Gesetzentwurf ab.
Begründung:
Es liegen keine Missstände vor, die eine Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erforderlich machen würden. Die bisherige Regelung mit der Zuständigkeit der Gewerbeämter bzw. der Industrie- und Handelskammern (IHKs) hat sich bewährt. Die Übertragung der Aufsicht auf die BaFin wäre mittelstandsfeindlich und würde auch aus Sicht des Verbraucherschutzes keine Verbesserung bringen.
Im Einzelnen:
- a) Nach dem geltenden Recht sind in neun Ländern die IHKs und in sieben Ländern die Gewerbeämter für die Aufsicht über die Finanzanlagenvermittler zuständig. Diese Regelung hat sich bewährt. Sie stellt eine qualitativ hochwertige Aufsicht über die Finanzanlagenvermittler sicher. Die zuständigen Stellen verfügen über jahrelange Erfahrung in den gewerberechtlichen Erlaubnisverfahren. Es ist nicht erkennbar, weshalb die BaFin für die Prüfung der unverändert bleibenden formalen Erlaubnisvoraussetzungen besser geeignet sei und wie dadurch eine qualitativ bessere Aufsicht erreicht werden sollte.
- b) Soweit es in den letzten Jahren Finanzskandale gab, war dies nicht die Folge von Mängeln in der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler, sondern es waren vielmehr Produkt- bzw. Institutsskandale. Für die Prospektprüfung und die Institutsaufsicht ist aber auch jetzt schon die BaFin zuständig.
- c) Die Übertragung der Aufsicht auf die BaFin ist mittelstandsfeindlich. Die BaFin hat kaum Erfahrungen mit Kleingewerbetreibenden. Es steht zu befürchten, dass die höheren Kosten durch die umlagefinanzierte Aufsicht der BaFin und der durch den Aufsichtswechsel entstehende Bürokratieaufwand (unter anderem durch das geplante Nachweisverfahren) viele mittelständische Finanzanlagenvermittler zur Geschäftsaufgabe bewegen werden.
- d) Die Übertragung der Aufsicht auf die BaFin würde zu einem erheblichen Anstieg der Kosten für die Finanzanlagenvermittler führen.
Nach Artikel 5 Nummer 1 des Gesetzentwurfs soll die Gebühr für die Erteilung der Erlaubnis 1 590 Euro betragen. Die derzeit von den zuständigen Stellen erhobenen Gebühren liegen deutlich darunter. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Gebühr würde zum Teil eine Preissteigerung von 300 bis 500 Prozent bedeuten, was den Mittelstand außerordentlich belasten würde.
- e) In vielen Fällen verfügen Finanzanlagenvermittler auch über eine Erlaubnis als Darlehensvermittler ( § 34c GewO), Versicherungsvermittler ( § 34d GewO) oder Immobiliardarlehensvermittler ( § 34i GewO). Diese Gewerbetreibenden hätten zukünftig mit unterschiedlichen Erlaubnisbehörden zu tun. Synergieeffekte in der Aufsicht würden verloren gehen.
- f) Daneben ist der Gesetzentwurf auch aus Verbrauchersicht abzulehnen. Wegen der zu befürchtenden höheren Kosten und des größeren Bürokratieaufwands ist zu erwarten, dass zahlreiche unabhängige mittelständische Finanzanlagenvermittler ihr Geschäft aufgeben werden. Es verbleiben vor allem Vermittler, die in Vertriebsstrukturen eingebunden sind und sich häufig nicht allein am Kundeninteresse orientieren, sondern auch an internen Ziel- und Absatzvorgaben. Für Verbraucher verschlechtert sich die Möglichkeit, Zugang zu unabhängiger Beratung zu erhalten.
- g) Laut Koalitionsvertrag soll die Aufsicht schrittweise auf die BaFin übertragen werden, um sicherzustellen, "dass die dadurch bei den Ländern freiwerdenden Aufsichtskapazitäten zur Stärkung der Geldwäscheaufsicht im Nichtfinanzbereich verwendet werden". Dabei wird verkannt, dass in neun Ländern derzeit die IHKs für die Aufsicht zuständig sind. Bei den IHKs freiwerdende Kapazitäten können aber nicht zur Geldwäscheaufsicht verwendet werden, da dies nicht Aufgabe der IHKs ist.
- h) Auch der Nationale Normenkontrollrat (NKR) beurteilt den Gesetzentwurf sehr kritisch. Nach Ansicht des NKR ist eine nachvollziehbare und verständliche Darstellung des Ziels und vor allem der Notwendigkeit der Übertragung der Aufsicht auf die BaFin nicht im ausreichenden Maße erfolgt und entsprechend belegt. Der NKR äußert Zweifel an der Darstellung des Erfüllungsaufwandes und des Punktes Weitere Kosten im Gesetzentwurf.
- i) Schließlich ist die aktuelle Situation zu berücksichtigen, die schwerste Krise seit dem 2. Weltkrieg. Diese Situation stellt auch die Banken und damit auch die BaFin vor besondere Herausforderungen. Es wäre leichtfertig, in einer solchen Lage die BaFin mit neuen Aufgaben zu betrauen, die erhebliche strukturelle Veränderungen und den Aufbau von circa 400 neuen Stellen erforderlich machen. Im Gegenteil ist eine Konzentration auf die Kernkompetenz und eine Bündelung der Kräfte zur Überwindung der Krise erforderlich.
2. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat hat sich in der Vergangenheit für die Zuweisung der Aufsichtszuständigkeit über Finanzanlagenvermittlung und Honorar-Finanzanlagenberatung an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ausgesprochen (vgl. BR-Drucksache 638/14(B) , Ziffer 28 Buchstabe b; BR-Drucksache 249/12(B) , Ziffer 2; BR-Drucksache 209/11(B) , Ziffer 11; BR-Drucksache 584/10(B) , Ziffer 1 Buchstabe b). Bislang sind für die Aufsicht - je nach Land - die Gewerbeaufsichtsämter bzw. Industrie- und Handelskammern zuständig.
- b) Insbesondere vor dem Hintergrund des Anlegerschutzes muss die Aufsicht über Finanzanlagenvermittlung und Honorar-Finanzanlagenberatung insgesamt wirksam und übersichtlich sein. Bei der Überprüfung, ob die anlegerschützenden Pflichten eingehalten werden, sind die gleichen Kriterien und Maßstäbe notwendig - unabhängig davon, welche Behörde letztlich für die Prüfung zuständig ist. Ziel sollte sein, ein einheitliches Aufsichtsniveau zu erreichen, um zugleich die Integrität der Finanzmärkte zu wahren.
- c) Nach wie vor bleibt allerdings unklar, wie die Vereinheitlichung der Aufsicht bei der BaFin finanziell und organisatorisch tatsächlich umgesetzt werden soll. Der Nationale Normenkontrollrat kommt im Rahmen seiner Prüfung des Gesetzentwurfs zu dem Ergebnis, dass der Erfüllungsaufwand und die weiteren Kosten nicht vollständig methodengerecht ermittelt und nachvollziehbar dargestellt wurden.
Daher bittet der Bundesrat die Bundesregierung, den tatsächlichen Personalbedarf und die jährlichen Kosten, die durch die BaFin-Aufsicht für die Wirtschaft tatsächlich entstehen werden, erneut zu prüfen.
- d) Gerade aufgrund des künftig steigenden Kostenaufwands wäre es sinnvoll gewesen, die Effektivität der bisherigen Aufsicht über Finanzanlagenvermittlung und Honorar-Finanzanlagenberatung zu evaluieren, um mögliche Defizite in der Aufsicht aufzudecken. Dies hätte - je nach Ergebnis - die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung für eine Verlagerung der Aufsicht auf die BaFin erleichtern können.
- e) Außerdem teilt der Bundesrat die Auffassung des Normenkontrollrats und einiger Verbändestellungnahmen, dass sich die Bundesregierung nicht substantiiert genug mit möglichen Regelungsalternativen auseinandergesetzt hat - wie beispielsweise einer zweistufigen Lösung, die BaFin und bisherige Aufsichtsbehörden einbezieht.
- f) Vor diesem Hintergrund geht der Bundesrat davon aus, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine umfassende Auseinandersetzung mit diesen Sachverhalten erfolgt. Denn in der Sache liegende Gründe, die eine besondere Eilbedürftigkeit, mithin eine beschleunigte Behandlung des Gesetzentwurfs rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Der schlichte Hinweis auf die allgemeine Dringlichkeit reicht an dieser Stelle nicht aus.