958. Sitzung des Bundesrates am 2. Juni 2017
A
Der federführende Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Bericht wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat nimmt den Bericht der Bundesregierung "Lebenslagen in Deutschland - Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht" zur Kenntnis. Der Bundesrat begrüßt, dass auf der Grundlage der Bundestagsbeschlüsse aus den Jahren 2000 und 2001 regelmäßig eine umfassende Analyse über Lebenslagen in Bezug auf Armut und Reichtum in Deutschland vorgenommen wird. Da dieser Bericht die Voraussetzung für eine wirksame Bekämpfung von Armut darstellt, die wiederum ein Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung sein soll, sollten hier sowohl die konkreten Lebenslagen der Menschen als auch die konkreten Handlungsfelder bzw. Maßnahmen aufgezeigt werden. Die gute wirtschaftliche Entwicklung sollte genutzt werden, wirksame Handlungsstrategien zur Bekämpfung von Armut zu entwickeln.
- 2. Der Bundesrat begrüßt, dass der Bericht stärker als bisher auf die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge von Armut, Reichtum und Ungleichheit eingeht. Er unterstreicht, dass Gleichheit und Gerechtigkeit wesentliche Grundwerte unserer Gesellschaft und notwendige Bedingung für den sozialen Zusammenhalt sind. Darüber hinaus ist er der Auffassung, dass die in dem Bericht dokumentierte zunehmende Ungleichheit eine Gefährdung für den Zusammenhalt der Gesellschaft darstellt.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die positive Entwicklung der sozialen Lage in Deutschland. Diese zeigt sich in einer hohen Beschäftigtenzahl und einer niedrigen Arbeitslosenquote. So hat sich seit Mitte des letzten Jahrzehnts die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um sechs Millionen Menschen erhöht, die Zahl der Arbeitslosen um etwa die Hälfte reduziert und die Jugendarbeitslosigkeit ist um rund 60 Prozent zurückgegangen. Der Bericht lässt aber eine Erklärung vermissen, warum trotz günstiger konjunktureller Daten und sinkender Arbeitslosigkeit die Armutsgefährdung nicht in dem gleichen Maße abnimmt, sondern sogar leicht ansteigt. Es ist festzuhalten, dass sich die Armutsgefährdung statistisch fast ausschließlich über die Erwerbseinkommen berechnet. Insgesamt werden nicht in ausreichendem Maße Möglichkeiten aufgezeigt, Entwicklungen, die zu Einkommensungleichheiten führen, wirkungsvoll entgegenzuwirken. Niedriglöhne und die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen sind nachweisbare Einflussfaktoren für ein erhöhtes Armutsrisiko. Die Einführung des Mindestlohnes hat für untere Einkommensgruppen bereits deutliche Verbesserungen gebracht. Deutlich mehr als ein Fünftel aller Beschäftigten beziehen jedoch weiterhin nur einen Niedriglohn. Dies ist neben der Verbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse auch auf die niedrige Tarifbindung zurückzuführen. Die Feststellung der Bundesregierung, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht, wird geteilt, gleichwohl lässt der Bericht entsprechende Lösungsansätze vermissen.
- 4. Den im Bericht hergestellten Zusammenhang zwischen Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen erarbeiteten Reichtum und Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft und ihrer Wirkungsprinzipien teilt der Bundesrat. Er stellt zugleich aber fest, dass der Bericht der Bundesregierung durch das Auslassen des Zusammenhanges von sozialer Lage und repräsentativer Demokratie nicht die notwendige Analyse vorlegt, um die Auswirkungen von anhaltend gleich hoher verfestigter Armut oder der Fehlentwicklungen der Reallöhne bei den unteren 40 Prozent der Beschäftigten auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt darzulegen. Der Bundesrat erachtet es daher für empfehlenswert, diese Zusammenhänge in die Gesamtanalyse zukünftiger Armuts- und Reichtumsberichte wieder aufzunehmen.
- 5. Der Bundesrat bedauert, dass der wirtschaftliche Aufschwung nicht in der gesamten Bevölkerung ankommt und die ungleichmäßige Verteilung der Einkommen weiter verschärft. Laut dem Bericht der Bundesregierung verfügen die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte über mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens. Auf der anderen Seite verfügt die untere Hälfte lediglich über rund ein Prozent des Nettovermögens. Der Bundesrat nimmt mit Sorge zur Kenntnis, dass diese Schere seit Beginn der Berichterstattung weiter auseinander geht.
- 6. Der Bundesrat nimmt die in dem Bericht für die Politik herausgearbeiteten Aufgabenfelder zur Kenntnis. Er stellt fest, dass insbesondere mit Blick auf die zukünftige Entwicklung der Arbeitswelt eine den Lebensunterhalt sichernde Entlohnung und eine verlässliche Finanzierung leistungsfähiger Systeme der sozialen Sicherung besonders wichtig sind.
- 7. Der Bundesrat erachtet es als förderlich, dass Befunde, Gutachten, Studien aber auch Veranstaltungsberichte sowie dem Bericht zu Grunde liegende und darüber hinausgehende Daten mittels einer eigenen Internetpräsenz transparent dargestellt wurden.
- 8. Darüber hinaus stellt der Bundesrat fest, dass die Anzahl derer, die von der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht profitieren können, auf einem gleichbleibenden Niveau verharrt. Der Bundesrat bedauert, dass der Bericht Schlussfolgerungen bzw. die Ausführungen zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit lediglich sehr vage formuliert. Gerade im Hinblick auf die erkennbaren Verfestigungstendenzen braucht es verlässliche Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit.
- 9. Der Bundesrat bedauert, dass Genderaspekte im Bericht nur in geringem Maße beleuchtet werden. Die verschiedenen Benachteiligungstatbestände von Frauen werden nicht in dem Maße analysiert, wie sie in der Erwerbswelt gegeben sind. Der Bundesrat bedauert, dass auch in diesem Bereich zu wenig in die Zukunft weisenden Lösungsansätze aufgezeigt werden. Hier ist aus Sicht der Länder ein gesellschaftlicher Konsens dazu erforderlich, dass eine gleichberechtigte Erwerbsbeteiligung von Frauen, die equal pay ebenso wie Maßnahmen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie einschließt, nicht nur aus Gleichstellungsaspekten erforderlich ist, sondern auch einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen darstellt. Der Bundesrat sieht hier besonderen Handlungsbedarf bei der Förderung und Unterstützung Alleinerziehender. Auch hier sind Frauen überproportional betroffen und damit von Armut bedroht.
- 10. Der Bericht dokumentiert an verschiedenen Stellen das erhöhte Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen. Der erneut herausgestellte Zusammenhang zwischen den Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und der sozialen Herkunft macht eine Bündelung von Maßnahmen notwendig, die der bestehenden Ausgrenzung strukturell durch unbürokratischere Hilfe- und Unterstützungsangebote entgegenwirken und zugleich das soziokulturelle Existenzminimum an den tatsächlichen Bedarfen von Kindern und Jugendlichen bemessen.
- 11. Der Zusammenhang insbesondere zwischen Armutslagen und Gesundheit findet sich an unterschiedlichen Stellen im Bericht wieder. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Beschreibung und Analyse der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Aufgrund des im Bericht thematisierten deutlichen Zusammenhangs zwischen sozialer Lage und Gesundheit wäre eine konzentrierte, zusammenfassende Auseinandersetzung mit dem Thema trotz der dem Bericht zu Grunde liegenden Lebenslaufperspektive notwendig.
- 12. Der Bundesrat teilt die Kritik des Berichtes an der unzureichenden Datenlage in Bezug auf die Reichtumsforschung und begrüßt alle angestrebten Maßnahmen, die der Weiterentwicklung der Reichtumsberichterstattung dienlich sind und befürwortet eine stärkere Berücksichtigung dieses Aspektes in nachfolgenden Berichten.
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- 13. Der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von dem Bericht Kenntnis zu nehmen.