Der Bundesrat hat in seiner 877. Sitzung am 26. November 2010 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die geplante Einführung europaweiter einheitlicher Mindeststandards für die nationalen Haushaltsrahmen.
- 2. Der Bundesrat betont aber, dass der damit verbundene Mehraufwand durch einen entsprechenden Erkenntnisgewinn gerechtfertigt sein muss. Im Hinblick darauf hält er den Vorschlag der Kommission in Teilen für unverhältnismäßig.
- 3. Der Bundesrat bittet daher zu prüfen, wie die vorgeschlagene Richtlinie vor allem hinsichtlich der Anforderungen an die Kommunen entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgestaltet werden kann. Dabei sollte insbesondere berücksichtigt werden, dass die Erhebung von monatlichen Haushaltsstatistiken mit erheblichem Mehraufwand verbunden wäre, dessen zusätzlicher Nutzen nicht erkennbar ist. Gleiches gilt für die Vorgabe eines Finanzplanungshorizonts von mindestens drei Jahren. Auch die Geltung numerischer Haushaltsregeln für die Gemeinden würde auf erheblich praktische und rechtliche Schwierigkeiten stoßen. Der Bundesrat kann außerdem nicht erkennen, welcher Erkenntnisgewinn mit der Entwicklung alternativer Haushaltsszenarien verbunden sein soll.
Die Einwände des Bundesrates lassen sich wie folgt konkretisieren:
- - Auf Bedenken stößt insbesondere die nach Artikel 3 vorgesehene Verpflichtung für alle Teilsektoren des Staats, und damit auch die Kommunen, monatliche Haushaltsdaten auf Kassenbasis innerhalb eines Monats nach Ablauf des Berichtsmonats zu liefern, und zwar einschließlich einer Umrechnung dieser Daten nach dem Europäischen System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 95 (ESVG 95). Da die Kommunen ihre Haushaltsdaten vierteljährlich melden, würde für diesen Bereich - einschließlich einer Aufbereitung durch die statistischen Ämter des Bundes und der Länder - eine Verdreifachung des Aufwandes eintreten. Dies wird der finanzpolitischen Bedeutung des Kommunalbereichs im Rahmen der Verschuldung der öffentlichen Haushalte in Deutschland nicht gerecht. Selbst im Krisenjahr 2009 entfiel nur 5,5 Prozent des Finanzierungssaldos des deutschen Staatssektors (Berechnungsstand: August 2010) auf die Kommunen. In den drei Vorjahren erzielten die Kommunen Finanzierungsüberschüsse. Ende 2009 waren nur 6,7 Prozent der Kreditmarktschulden (einschließlich Kassenkredite) des öffentlichen Gesamthaushalts auf die Kommunen zurückzuführen. - Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass vierteljährliche Steuertermine und Quartalszahlungen im kommunalen Finanzausgleich bei den Kommunalhaushalten ein wesentlich höheres Gewicht haben als entsprechende Vorgänge bei Bund und Ländern. Monatsergebnisse können die Entwicklung in diesem Bereich daher nicht zuverlässig abbilden.
- - Auch die enge Vorgabe des Veröffentlichungstermins - vor Ablauf des auf den Berichtsmonat folgenden Monats - wäre nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand und angesichts des höheren Schätzanteils auch mit einer erheblichen Revisionsanfälligkeit verbunden. Bislang sind die Daten zwei Monate nach Ablauf des Berichtsquartals zu melden.
- - Ferner sind die vorgeschlagene Verdreifachung des Meldeturnus und die enge Vorgabe für das Veröffentlichungsdatum schon deshalb in Frage zu stellen, weil dem beträchtlichen Mehraufwand für Erhebung und Qualifizierung der zusätzlichen Kassendaten keine korrelierenden Steuerungsmöglichkeiten seitens des Bundes und der Länder gegenüberstehen. - Bedenken begegnet auch die in Artikel 12 enthaltene Forderung numerischer Haushaltsregeln für alle Teilsektoren des Staates. Insbesondere liest sich daraus die Forderung nach einer numerischen Haushaltsregel auch für die Kommunen. Die Länder können im Rahmen der Rechtsaufsicht auf die Gemeindewirtschaft allerdings nur bedingt Einfluss nehmen. Dies ist nur insoweit möglich, als die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde über die Genehmigung bestimmter Teile der beschlossenen Haushaltssatzung (im Wesentlichen Kreditaufnahmen, kreditähnliche Geschäfte und Verpflichtungsermächtigungen für Investitionsausgaben, sofern diese kreditfinanziert werden sollen) und einzelner anderer wirtschaftlich bedeutsamer Rechtsgeschäfte (z.B. die Übernahme von Bürgschaften und Gewährleistungen) zu entscheiden hat. Zusätzliche Einflussmöglichkeiten auf die Wirtschaftsführung hat die Rechtsaufsicht lediglich dann, wenn die Gemeinde eine Nachtragssatzung erlassen muss.
- - Der Bund kann die Gemeindewirtschaft unterjährig nur dadurch unmittelbar beeinflussen, als er die Kreditaufnahme auch der Gemeinden und Gemeindeverbände durch Rechtsverordnung nach § 19 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG) beschränken kann. Von dieser Ermächtigung hat der Bund gegenüber den Gemeinden und Gemeindeverbänden bislang nur einmal im Jahr 1973 Gebrauch gemacht.
- - Falls der Bund nach § 15 Absatz 1 StWG auch die Länder zur Zuführung von Mitteln in eine Konjunkturausgleichsrücklage verpflichtet, können die Gemeinden und Gemeindeverbände mittelbar betroffen sein, sofern ein Land für diese Mittelzuführung auch Mittel aus dem Kommunalen Finanzausgleich einsetzen kann. - Einer Normierung weitergehender unterjähriger Einflussnahmemöglichkeiten auf die Gemeindewirtschaft stehen nicht nur hohe verfassungsrechtliche Hürden entgegen (Artikel 28 Absatz 2 GG und entsprechende Regelungen in den Landesverfassungen), sondern auch zu erwartende massive Umsetzungsschwierigkeiten.
- - Elemente numerischer Haushaltsregeln im Sinne des Richtlinienvorschlags liegen im kommunalen Haushaltsrecht sowohl bei kameralen als auch bei doppischen Rechnungswesen zwar bereits grundsätzlich vor, wären jedoch wohl noch weiter zu qualifizieren, insbesondere hinsichtlich der Vorbehaltsklauseln. Dies gilt allerdings nur für das Haushaltsdefizit und nicht für den relativen Schuldenstand. Eine bundes- oder landesweit einheitliche Schuldenobergrenze kann im Gemeindehaushaltsrecht nicht unmittelbar vorgegeben werden, da die Einnahmen- und Ausgabensituation bei den kommunalen Gebietskörperschaften selbst innerhalb eines Landes sehr unterschiedlich ist. Angesichts der hohen Anzahl von kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und einer gestuften Rechtsaufsicht (untere, obere und oberste Rechtsaufsichtsbehörde) ist kaum vorstellbar, eine für die kommunale Ebene insgesamt geltende Verschuldungsobergrenze kohärent, einzelfallgerecht und rechtssicher auf die einzelnen Gebietskörperschaften "herunterzubrechen". Fraglich ist, ob eine zusätzliche numerische Regel für die Schuldenstandsquote überhaupt zielführend ist, da der Schuldenstand lediglich über die Kreditaufnahme gesteuert werden kann. Eine numerische Regel zur Kreditaufnahmebegrenzung bestimmt daher maßgeblich die Entwicklung der Schuldenstandsquote.
- 4. Der Bundesrat bezweifelt darüber hinaus, dass die Integration außerbudgetärer Fonds/Einheiten in den Haushaltsprozess praktikabel ist:
- - Die Umsetzung von Artikel 13 stößt insbesondere für die Kommunen auf erhebliche Bedenken. Danach sind sämtliche Transaktionen der außerbudgetären Fonds und Einheiten in den regulären Haushaltsprozess zu integrieren. - Sofern unter außerbudgetären öffentlichen Fonds, Einheiten und Unternehmen insbesondere die (nur Netto veranschlagten) Eigenbetriebe und rechtlich verselbständigten Eigengesellschaften zu verstehen sind, wäre eine Integration von deren Transaktionen in den regulären Haushaltsprozess insoweit unproblematisch, als dem Haushaltsplan und der Finanzplanung jeweils entsprechende Planungen der Eigenbetriebe und Eigengesellschaften beizufügen sind. Eine weitergehende Erfassung, nach der die Haushalts- bzw. Wirtschaftspläne verbundener Einheiten bereits konsolidiert vorzulegen wären, ist - jedenfalls für komplexere Verbundstrukturen - monatlich faktisch nicht leistbar. Für kleinere Verbundstrukturen, z.B. das ausgelagerte Wasserwerk einer kleinen Gemeinde, ist nicht erkennbar, welchen Mehrwert eine Konsolidierung schaffen würde, zumal zahlreiche dieser Einheiten kostendeckend arbeiten und keine Verschuldung aufweisen.
- - Bereits bei der seitherigen vierteljährlichen Erhebung der außerbudgetären Einheiten müssen Daten für einen Teil der Einheiten zugeschätzt und es muss auf Vorquartale zurückgegriffen werden. Bei einer monatlichen Erhebung würde sich der Anteil der Zuschätzungen vervielfachen und die Datenqualität tendenziell verschlechtern.
- 5. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat die Bundesregierung, im weiteren Verfahren vor allem dafür einzutreten, dass
- - die Kommunen und die statistischen Ämter des Bundes und der Länder nicht mit zusätzlichen Erhebungen belastet werden,
- - die verfassungsrechtlichen Vorgaben bezüglich der Gemeindewirtschaft beachtet werden und - keine unterjährige Konsolidierung der außerbudgetären Einrichtungen erfolgen muss, und die Länder laufend und zeitnah über den aktuellen Verhandlungsstand zu informieren.