C(2014) 3115 final
Siehe Drucksache 789/13(B)
Die Kommission teilt allerdings die Auffassung, dass bei bestimmten geringfügigen Straftaten eine zwingend vorgeschriebene Unterstützung durch einen Rechtsbeistand unverhältnismäßig wäre. Bei derartigen Vergehen besteht keine Notwendigkeit, das unabdingbare Recht auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand zu gewährleisten.
Die betreffende Bestimmung ist im Übrigen Gegenstand ausgiebiger Erörterungen in der zuständigen Arbeitsgruppe des Rates. Weitere Verhältnismäßigkeitserwägungen, wie sie vom Bundesrat in seiner Stellungnahme dargelegt werden, könnten im Text des Vorschlags berücksichtigt werden, über den anschließend zwischen Europäischem Parlament und Rat verhandelt werden wird
Was das Recht auf individuelle Begutachtung und das Recht auf medizinische Untersuchung betrifft, nimmt die Kommission zur Kenntnis, dass diese Rechte in der Stellungnahme des Bundesrates generell begrüßt werden. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sieht der Kommissionsvorschlag bereits vor, dass sich Umfang und Genauigkeit der individuellen Begutachtung nach der Schwere der zur Last gelegten Straftat und den Umständen des Einzelfalls richten wird. Auch soll es den Mitgliedstaaten gestattet sein, abweichende Regelungen zu treffen. Das Recht auf eine medizinische Untersuchung ist auf Kinder beschränkt, denen die Freiheit entzogen wurde und die aufgrund ihres geringen Alters und ihrer mangelnden Reife in stärkerem Maße Gesundheitsproblemen und Misshandlungen ausgesetzt sein können.
Die Befragung von Kindern, die Verdächtige oder Beschuldigte in einem Strafverfahren sind, kann zu Situationen führen, in denen die Verfahrensrechte der Kinder nicht unbedingt gewahrt und ihre besondere Schutzbedürftigkeit nicht unbedingt angemessen berücksichtigt werden. Damit ein hinlänglicher Schutz von Kindern sichergestellt ist, die nicht immer in der Lage sind, den Inhalt von Befragungen, denen sie unterzogen werden, zu verstehen, sollten solche Befragungen nach Auffassung der Kommission audiovisuell aufgezeichnet werden. Die Kommission stimmt dem Bundesrat jedoch zu, dass es nicht verhältnismäßig wäre, dies in allen Fällen zu verlangen. Daher sieht der Kommissionsvorschlag bereits vor, dass der Schwere der Straftat, der Komplexität des Falls und der zu gewärtigenden Strafe gebührend Rechnung getragen werden sollte. Nur Befragungen von Kindern, denen die Freiheit entzogen wurde, sollten grundsätzlich audiovisuell aufgezeichnet werden.
Die Kommission würdigt, dass in Deutschland ein umfassender Schutz der Privatsphäre von Kindern gewährleistet ist. Bestimmte Klarstellungen hinsichtlich der Verwendung von Bildern und Videomaterial könnten in der Tat nützlich sein und eingehender erörtert werden.
Auch nimmt die Kommission erfreut zur Kenntnis, dass der Bundesrat im Falle eines Freiheitsentzugs bestimmte Schutzmaßnahmen für Kinder befürwortet. Die Gewährleistung einer angemessenen Erziehung ist eine entscheidende Voraussetzung für die Wiedereingliederung der betroffenen Kinder in die Gesellschaft. Hier gilt es, den Umständen des Einzelfalls, unter anderem der Dauer des Freiheitsentzugs, Rechnung zu tragen.
In Anbetracht der spezifischen Bedürfnisse von Kindern ist die Kommission der Ansicht, dass
Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Fälle mit Beteiligung von Kindern bearbeiten, eine angemessene Schulung zu den gesetzlichen Rechten von Kindern und den Bedürfnissen verschiedener Altersgruppen erhalten und pädagogische Fähigkeiten erwerben sollten, damit sie imstande sind, den Verfahrensablauf entsprechend anzupassen. Eine derartige Schulung ist als flankierende Maßnahme zu betrachten, wie sie bereits in anderen Richtlinien4 auf dem Gebiet der Strafjustiz vorgesehen ist.
Auch Bestimmungen zur Datenerhebung sind bereits in anderen einschlägigen Richtlinien enthalten.5 Die Kommission misst der Überwachung und Bewertung der Wirksamkeit und Effizienz der vorgeschlagenen Richtlinie große Bedeutung bei.
Was aus der Anwendung der Richtlinie resultierende Kosten im Zusammenhang mit Begutachtungen von Kindern, medizinischen Untersuchungen und audiovisuellen Aufzeichnungen anbelangt, könnte ein Erstattungsmechanismus in Betracht gezogen werden, wie er in Krankenversicherungssystemen vorgesehen ist. Die Kommission ist jedoch der Auffassung, dass eine allgemeine Kostenerstattungsklausel nicht mit dem Ziel der Richtlinie vereinbar wäre, das darin besteht, Verfahrensgarantien für Kinder zu bieten.
Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich auf den ursprünglichen Kommissionsvorschlag, der derzeit im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im Europäischen Parlament und im Rat - in dem auch die Regierung Ihres Landes vertreten ist - erörtert wird.
Die Kommission hofft, mit diesen Ausführungen zur Klärung der in der Stellungnahme des Bundesrates angesprochenen Punkte beigetragen zu haben, und freut sich darauf den politischen Dialog mit Ihnen fortzusetzen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Johannes Hahn
Mitglied der Kommission
Siehe z.B. Artikel 6 der Richtlinie 2010/64/EU über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, Artikel 9 der Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren oder Artikel 25 der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten.
* Siehe Artikel 28 der oben genannten Opferschutzrichtlinie.