Der Bundesrat hat in seiner 817. Sitzung am 25. November 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Intention der Richtlinie, nach der die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Pflichten von Anbietern öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder Betreibern eines öffentlichen Kommunikationsnetzes im Zusammenhang mit der Verarbeitung und Vorratsspeicherung bestimmter Daten harmonisiert werden sollen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Daten zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten wie Terrorismus und Organisierter Kriminalität zur Verfügung stehen. Die Einführung einer solchen Vorratsdatenspeicherung und die Harmonisierung der Vorschriften in den Mitgliedstaaten sind für einen effektiven Einsatz von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation zu Strafverfolgungszwecken und zur Verhütung von Straftaten dringend erforderlich. Den Sicherheitsbehörden muss die Möglichkeit eröffnet werden, die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente der Telekommunikationsüberwachung auch anzuwenden. Dies setzt voraus, dass entsprechende Daten nicht nach kurzer Zeit bereits gelöscht werden, bevor die Behörden tätig werden konnten.
- 2. Diskussionswürdig erscheint die Form der Umsetzung des Vorhabens als Richtlinie. Die Vorratsdatenspeicherung dient der Verhütung und Verfolgung von Straftaten, es ist kein Instrument zum Schutz des Wettbewerbsrechts und der wirtschaftlichen Entwicklung.
Eine entsprechende Regelung sollte daher auf straf- bzw. sicherheitsrechtliche Kompetenzen der EU in der dritten Säule gestützt werden, sodass ein Rahmenbeschluss das zutreffende Instrument wäre.
- 3. Die Bundesregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, bei der Diskussion über die Form der Umsetzung des Vorhabens das Urteil des EuGH vom 13. September 2005 (C-176/03) zu berücksichtigen, durch das der Rahmenbeschluss des Rates über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht für nichtig erklärt worden ist, weil er in die nach Artikel 175 EGV der Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten im Bereich der Umweltpolitik übergreife. In seiner Entscheidung betont der EuGH zwar, dass grundsätzlich keine Zuständigkeit der EG für "strafrechtliche Regelungen" bestehe. Allerdings gelte dies nicht, wenn solche Regelungen erforderlich seien, um die "volle Wirksamkeit" ("effet utile") der in einer europäischen Sachpolitik erlassenen Rechtsvorschrift zu gewährleisten, und wenn solche Sanktionen zu diesem Zweck eine "unerlässliche Maßnahme" darstellen.
In der Begründung des vorliegenden Richtlinienvorschlags (BR-Drucksache 723/05 (PDF) , S. 7) fehlt eine ausführliche Erörterung dieses Gesichtspunkts. Es bestehen nicht unerhebliche Zweifel, ob diese Voraussetzungen hier vorliegen. Dies wird bei den Beratungen im Rat einer eingehenden Prüfung bedürfen.
- 4. Bedenken bestehen auch gegen einzelne Punkte der Ausgestaltung in der Richtlinie. Hierzu vertritt der Bundesrat folgende Auffassung:
- - In der vorgeschlagenen Richtlinie fehlen erforderliche Regelungen über die Vernichtung der Daten nach Ablauf der Speicherfrist.
- - In der zukünftigen Richtlinie ist sicherzustellen, dass die größtmögliche technische Sicherheit zur Verhinderung von Missbrauch der gespeicherten Daten gewährleistet wird.
- - Der Bundesrat erachtet es nicht als notwendig, dass - wie in Artikel 9 vorgesehen - eine umfangreiche Pflicht zur Erstellung von Statistiken mit einer Vielzahl von Einzelinformationen begründet wird. Hierbei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass derartige Statistiken mit erheblichem Aufwand verbunden sind, den die betroffenen Verwaltungen nicht leisten können und der in keinem Verhältnis zu dem daraus zu ziehenden Nutzen steht.
- - Die in Artikel 10 vorgesehene Kostenerstattungspflicht der Mitgliedstaaten lehnt der Bundesrat ab.
Eine so weitgehende Kostenerstattungspflicht könnte insbesondere auch die Kosten für das Vorhalten technischer Einrichtungen umfassen. Kosten für das Vorhalten technischer Einrichtungen stellen jedoch originäre Unternehmenskosten dar und müssen von den Unternehmern selbst getragen werden.
Die Bundesregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, die Regelung über die Erstattung der Zusatzkosten, die schon für das Vorhalten der technischen Einrichtungen anfallen, zu streichen.
Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass bislang nicht abschließend beurteilt werden kann, in welcher Höhe entsprechende Kosten anfallen. Durch die Kostenerstattungspflicht entstehen daher unkalkulierbare Risiken für die betroffenen Haushalte.