Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Berlin, 21. August 2018
Der Staatssekretär - Wissenschaft und Forschung
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Berlin und Thüringen haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage mit Begründung beigefügte Entschließung des Bundesrates - Einbeziehung der urbanen Zentren in die Energiewende zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 970. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2018 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Steffen Krach
Entschließung des Bundesrates - Einbeziehung der urbanen Zentren in die Energiewende
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass es zur Erreichung der Klima- und Erneuerbare-Energien-Ausbauziele erforderlich ist, alle vorhandenen Photovoltaik-Potentiale insbesondere in den urbanen Räumen zu heben, da so ein Zubau von erneuerbaren Energien besonders flächenschonend umsetzbar ist.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass Mieterstromanlagen und Quartierskonzepte zur Energieversorgung wichtige Elemente in einem dezentralen und auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgungssystem sind.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass Mieterstrom- und Quartierskonzepte einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des lokalen Stromnetzes in urbanen Räumen leisten können.
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zur Klarstellung einen Hinweis in das Gesetz aufzunehmen, dass Quartiersstromkonzepte im EEG-Mieterstrommodell ausdrücklich zugelassen sind und eine Beschränkung auf unter 100 Wohneinheiten auch über die Auslegung des Begriffs des öffentlichen Netzes bzw. der Kundenanlage ausdrücklich nicht besteht.
- 5. Der Bundesrat stellt fest, dass die Beschränkung für Mieterstromprojekte auf 100 kWp installierter Leistung (pro Gebäude) zu einem verzögerten Ausbau von PV-Mieterstromanlagen in Städten und zu einer Kostensteigerung der Projekte führen kann, da Mieterstromanlagen künstlich klein gehalten werden, obwohl entsprechende Gebäude deutlich mehr Platz bieten, oder unnötig auf mehrere Gebäude verteilt werden, obwohl ein Errichten auf einem einzigen Gebäude möglich wäre. Der Bundesrat regt an, die Beschränkung auf 100 kWp (pro Gebäude) aufzuheben oder jedenfalls durch eine Regelung zu ersetzen, die Anlagen mit bis zu 250 kWp pro Gebäude zulässt.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass die zusätzliche Begrenzung von förderfähigen Mieterstromprojekten auf insgesamt 500 MW pro Jahr nicht erforderlich und energiepolitisch kontraproduktiv ist, da der Zubau der Photovoltaik seit Jahren weit hinter dem allgemeinen PV-Ausbaupfad zurückfällt. Der Bundesrat regt an, die Begrenzung der Förderung von Mieterstromprojekten auf insgesamt 500 MW pro Jahr zu streichen.
- 7. Der Bundesrat stellt fest, dass sich für die Direktvermarktung von Reststrom aus Anlagen zur Eigenversorgung oder aus Mieterstromanlagen häufig kein oder nur mit unverhältnismäßig hohem und vielfach mit zusätzlichen Kosten verbundenem Aufwand ein Direktvermarkter finden lässt, der den Reststrom an der Börse vermarktet. Der Bundesrat regt an, die De-Minimis-Grenze für die Direktvermarktungspflicht aus Mieterstromanlagen deutlich zu erhöhen, mit der Maßgabe, dass der überwiegende Anteil des in der Mieterstromanlage erzeugten Stroms innerhalb des Mieterstromobjekts verbraucht wird.
- 8. Der Bundesrat stellt fest, dass die Beschränkung von Mieterstromprojekten auf Wohngebäude zu einer Benachteiligung von Unternehmen führt, die in reinen Gewerbegebäuden ansässig sind, gegenüber Unternehmen, die ihr Geschäft innerhalb eines zum überwiegenden Teil als Wohngebäudes genutzten Hauses betreiben, da diese die Vorteile von Mieterstrommodellen nutzen können. Der Bundesrat regt an, eine Regelung zu treffen, nach der das Mieterstrommodell auch auf Gewerbeimmobilien Anwendung finden kann.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass das Abregeln von Erneuerbare-Energien-Anlagen dem Grundsatz "Nutzen statt Abregeln" widerspricht und dass Überschussstrom durch Umwandlung in Wärme auch außerhalb der gesetzlich definierten Netzausbaugebiete netzdienlich erfolgen und so zu Kosteneinsparungen im Gesamtsystem führen kann. Die Flexibilisierung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und Nutzung des Überschussstroms durch beispielsweise den Einsatz von Powerto-Heat-Anlagen ist ein insbesondere in den Städten hilfreiches Instrument, um überschüssig erzeugte regenerative Strommengen sinnvoll für eine urbane Energiewende zu nutzen.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine Regelung zu finden, nach der Verträge zu zuschaltbaren Lasten zwischen Übertragungsnetzbetreibern und Anlagenbetreibern nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Netzausbaugebiete geschlossen werden können.
- 11. Der Bundesrat stellt fest, dass der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien im Sinne des Klimaschutzes auch im Redispatch und bei der Durchführung von Einspeisemanagement-Maßnahmen erhalten werden muss.
Begründung:
Im Interesse des Klimaschutzes und zur Erreichung der europäischen, nationalen und regionalen Erneuerbare-Energien-Ausbauziele ist es erforderlich, die urbanen Zentren des Landes in die Energiewende maßgeblich mit einzubeziehen, denn nur so kann eine bisher vorrangig auf die Stromerzeugung fokussierte Energiewende eine Energiewende in allen Sektoren werden, ohne das Stromübertragungsnetz zusätzlich zu belasten.
Die bestehende Rechtslage sieht eine unnötige Begrenzung von Mieterstromprojekten auf maximal 100 kWp pro Gebäude vor. Die Regelung führt so zu einer unnötigen Projektbegrenzung, weil Mieterstromanlagen derzeit unnötig klein gehalten werden, obwohl das entsprechende Gebäude i.d.R. deutlich mehr Platz bietet, und zu einer verzögerten Inbetriebnahme von Anlagen, weil Betreiber ihre Anlagen teilweise auf mehrere Projekte, bzw. auf mehrere Gebäude aufspalten, was mit höheren Planungs- und Installationskosten verbunden ist und den Ausbau verzögert. Die bestehende Regelung ist somit Hindernis für die zügige und flächenschonende Hebung der PV-Potentiale auf Mehrfamilienhäusern, insb. Mietshäusern in den Städten.
Die derzeitige Rechtslage führt für Quartierskonzepte zu einer unsicheren und unbefriedigenden Situation, da der Mieterstromzuschlag nur dann gewährt werden kann, wenn der Strom nicht durch ein öffentliches Netz durchgeleitet wird. Die Einschränkung führt dazu, dass nur Anlagen, die nach dem EnWG als Kundenanlagen zu qualifizieren sind, den Mieterstromzuschlag nach dem EEG erhalten können. Die Bewertung, ob und wann es sich um ein öffentliches Stromnetz oder um eine Kundenanlage handelt, wird derzeit von unterschiedlichen Seiten sehr uneinheitlich vorgenommen und zusätzlich durch Auslegungen der Bundesnetzagentur begrenzt. Diese Situation führt dazu, dass die Möglichkeit zur Nutzung von Mieterstrommodellen, insbesondere in großen Wohnkomplexen bzw. Quartieren oder bei Denkmalschutzeinschränkungen bestimmter Gebäude eines Wohnkomplexes, unnötig eingeschränkt wird und Mieter entsprechend ausgeschlossen werden.
Deutschland liegt bereits das vierte Jahr in Folge beim Ausbau der Stromerzeugung aus solarer Strahlungsenergie mit einem Zubau von knapp 1.753 MW hinter dem jährlichen Ausbaupfad von 2.500 MW zurück. Folglich ist die in § 23b Abs. 3 vorgenommene Definition eines zusätzlichen Zubaudeckels für PV-basierte Mieterstromprojekte von 500 MW pro Jahr als energiepolitisch kontraproduktiv und hinderlich einzuschätzen und entsprechend zu streichen. Darüber hinaus ergeben sich durch eine zusätzliche Deckelung unnötige Planungsrisiken für Anlagenerrichterinnen und Anlagenerrichter. Eine Begrenzung des maximalen Anteils der "Mieterstromanlagen" im Vergleich zum Anteil der ins Netz einspeisenden "EEG-Anlagen" ist nicht zielführend.
In Mieterstromobjekten wird der Großteil des erzeugten Stroms von den Beziehern des Mieterstrom innerhalb des Objekts verbraucht. Die eingespeiste Strommenge ist meist sehr viel geringer als die von den Bezieherinnen und Beziehern des Mieterstroms verbrauchte. Für die direkt zu vermarktende Reststrommenge jedoch lässt sich oft überhaupt nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem und vielfach mit zusätzlichen Kosten verbundenem Aufwand ein Direktvermarkter finden, der den Reststrom an der Börse vermarktet. Die De-Minimis-Grenze für die Direktvermarktungspflicht aus Mieterstromanlagen sollte daher für Mieterstromprojekte deutlich erhöht werden.
Die derzeitige Rechtslage sieht vor, dass Mieterstromprojekte nur in Wohnhäusern möglich sind. Dadurch wird einerseits das Potenzial für Mieterstromprojekte in den Städten wesentlich eingeschränkt und andererseits eine Benachteiligung von Unternehmen erzeugt, die in reinen Gewerbegebäuden ansässig sind, gegenüber Unternehmen, die ihr Geschäft innerhalb eines zum überwiegenden Teil als Wohngebäude genutzten Hauses betreiben, da diese die Vorteile von Mieterstrommodellen nutzen können. Der Mieterstromzuschlag sollte daher auch für Gewerbegebäude Anwendung finden.
Die Flexibilisierung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zur Nutzung von Überschussstrom ist ein netzentlastender und auch im Hinblick auf die Sektorkopplung wesentlicher Beitrag zum Gelingen der Energiewende in den Städten. Die Möglichkeit der Anwendung der Regelung zu zuschaltbaren Lasten (Powerto-Heat in KWK-/Wärmenetzsystemen) sollte daher nicht auf das Netzausbaugebiet beschränkt bleiben. Das Prinzip "Nutzen statt Abregeln" sollte im gesamten Bundesgebiet gelten. Daher sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass zuschaltbare Lasten vertraglich zwischen dem Netzbetreiber und dem Anlagenbetreiber auch außerhalb der Netzausbaugebiete vereinbart werden können.
Der Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien stellt die Grundlage des EEG und die Basis für ein Gelingen der Energiewende und eine Umstellung auf eine klimaneutrale Energieversorgung in der Zukunft dar. Ein Abregeln von erneuerbaren Energien ist im Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele schädlich und kontraproduktiv. Netzengpasssituationen entstehen, da ein Stromnetz genutzt werden muss, dass ursprünglich auf eine Versorgung mit Kohle- und Atomstrom ausgerichtet war. Netzkapazitäten sind damit insbesondere in den Standortregionen von konventionellen Anlagen vorhanden, nicht jedoch in denjenigen Regionen, in denen derzeit überwiegend ein Zubau der erneuerbaren Energien stattfinden kann. Netzengpasssituationen liegen also nahezu ausschließlich dort vor, wo insbesondere erneuerbare Energien ins Netz einspeisen. Eine Abschaffung des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien auch nur im Redispatch würde zu einer Abschaffung des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien im Allgemeinen führen und ist abzulehnen.