922. Sitzung des Bundesrates am 23. Mai 2014
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Rechtsausschuss (R) und empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b (§ 2 Satz 1 Nummer 2 ATDG)
Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b ist wie folgt zu fassen:
- 'b) Nummer 2 wird wie folgt gefasst:
"2. Personen, die rechtswidrig Gewalt, die unmittelbar gegen Leib und Leben gerichtet oder durch gemeingefährliche Mittel geprägt ist, als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten oder durch ihre Tätigkeiten, insbesondere durch Befürworten solcher Gewaltanwendungen, willentlich hervorrufen."'
Begründung:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - zu § 2 Satz 1 Nummer 2 ATDG ausgeführt, dass der Begriff der rechtswidrigen Gewalt verfassungskonform dahingehend auszulegen ist, dass er nur Gewalt umfasst, die unmittelbar gegen Leib und Leben gerichtet oder durch gemeingefährliche Mittel geprägt ist, und dass der Begriff des vorsätzlichen Hervorrufens von Gewalt als willentliches Hervorrufen - unter Ausschluss des Eventualvorsatzes im Sinne strafrechtlicher Terminologie - verstanden werden muss (Rnr. 151 f.). Der Wortlaut des Gesetzes sollte entsprechend präzisiert werden, um Zweifel an der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit der Norm auszuräumen.
2. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe b ( § 3 Absatz 2 ATDG), Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b (§ 3 Absatz 2 RED-G)
In Artikel 1 Nummer 3 Buchtstabe b § 3 Absatz 2 und in Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b § 3 Absatz 2 sind jeweils nach dem Wort "Datenarten" die Wörter "zur Identifizierung und Kontaktaufnahme" zu streichen und nach dem Wort "Erreichbarkeit" der Punkt durch ein Komma zu ersetzen und die Wörter "Angaben zur Gefährlichkeit (Waffenbesitz oder Gewaltbereitschaft)." anzufügen.
Begründung:
Die Angabe zur "Gefährlichkeit, insbesondere zum Waffenbesitz bzw. zur Gewaltbereitschaft" ist ein wesentliches Datum für die polizeiliche Gefahrenabwehr. Es gibt zusätzlichen Aufschluss über ein Gefährdungspotential der Hauptperson selbst. So kann eine Hauptperson über eine Kontaktperson, die Waffen besitzt, Zugang zu diesen Waffen erhalten. Ferner kann sie sich einer oder mehrerer gewaltbereiter Kontaktpersonen bei der angestrebten Gewaltanwendung bedienen. Der Erkenntnisse zur Gefährlichkeit von Kontaktpersonen bedarf es insbesondere im Eilfall, um die Gefahrenquelle rasch aufspüren zu können.
Die Aufnahme dieses Datums ist durch die Rechtsprechung des BVerfG nicht ausgeschlossen. Das Gericht beschränkt in seinem Urteil zum ATDG vom 24. April 2013 (1 BvR 1215/07, Absatz-Nummer 165) die "Elementardaten" zu Kontaktpersonen nicht ausdrücklich auf Daten zur "Identifizierung und Kontaktaufnahme", wie dies der Gesetzentwurf bislang vorsieht. Es nennt zwar als zulässiges Elementardatum beispielhaft den essentiell wichtigen Namen der Kontaktperson. Zuvor erkennt es aber an, dass sich die gesetzliche Ausgestaltung der Datei an ihrem Zweck orientieren muss, "Aufschluss über die als terrorismusnah geltende Hauptperson" zu vermitteln. Gemessen an diesem Zweck sind Aussagen über die Gefährlichkeit von Kontaktpersonen, die als verlängerter Arm der Hauptperson agieren können, von elementarer Bedeutung.
Die tatbestandliche Eingrenzung des unbestimmten Begriffs der "Gewaltbereitschaft" kann der zu erlassenden Verwaltungsvorschrift vorbehalten bleiben. Dabei kann auf polizeiliche Leitlinien zu personengebundenen Hinweisen zurückgegriffen werden.
Der Änderungsvorschlag greift eine polizeifachliche Forderung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Antiterrordatei/Rechtsextremismus-Datei auf.
3. Zu Artikel 1 ( § 5 Absatz 2 ATDG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die Eilfallregelung in dem derzeit geltenden § 5 Absatz 2 ATDG aufgehoben werden kann. Die Regelung soll nach dem Gesetzentwurf unverändert beibehalten werden, obwohl ausweislich der Evaluation, vgl. BT-Drucksache 17/12665(neu), im Zeitraum vom 1. August 2007 bis zum 1. August 2011 nur in einem einzigen Fall auf sie zurückgegriffen wurde. Bei insgesamt 300 000 durchgeführten Suchabfragen im Evaluationszeitraum (BT-Drucksache 17/12665(neu), S. 47, 51) ist eine praktische Bedeutung der Eilfallregelung nicht erkennbar, zumal im Bericht zur Evaluierung nicht nachvollziehbar dargetan ist, dass im einzigen Anwendungsfall die Voraussetzungen für eine Eilabfrage überhaupt gegeben waren. Allein der Verweis darauf, dass die Eilfallregelung "allgemein als fachlich notwendig angesehen" werde (BT-Drucksache 17/12665(neu), S. 47), kann nicht überzeugen. Die Evaluierung legt nahe, dass entsprechende Fälle in der Praxis durch die Einrichtung und Inanspruchnahme von Eildiensten und die Nutzung weiterer Verbunddateien gelöst werden können.
Begründung:
Die Eilfallregelung in § 5 Absatz 2 ATDG ist problematisch, weil die abfragende Behörde damit unmittelbar Zugriff auf die gespeicherten Daten erhält, ohne dass eine Prüfung durch die speichernde Behörde erfolgt. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass wegen der damit verbunden Überwindung des informationellen Trennungsprinzips zwischen Nachrichtendiensten und Polizei dieser Regelung ein besonders schweres Eingriffsgewicht zukommt (BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 -, Rnr. 202 f.). Nachdem die Evaluation ergab, dass die Eilfallregelung keine praktische Bedeutung entfaltet hat, sollte sie hinterfragt und - sofern keine über die Angaben im Evaluierungsbericht hinausgehenden Gründe für ihre Erforderlichkeit angeführt werden können - aufgehoben werden.
4. Zu Artikel 1 Nummer 7 (§ 6a ATDG)
Artikel 1 Nummer 7 ist zu streichen.
Begründung:
Diese Vorschrift dient nicht der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 -, so dass kein Zeitdruck besteht. Mit ihr soll die Möglichkeit einer erweiterten Datennutzung, wie sie in § 7 RED-G für die Rechtsextremismus-Datei bereits besteht, für die Antiterrordatei geschaffen werden.
Bevor eine derartige Strukturveränderung in der Antiterrordatei vorgenommen wird, sollten sowohl der Bedarf dafür als auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit gründlich geprüft werden.
Die Notwendigkeit für eine derartige Regelung, insbesondere für die vorgesehenen Anwendungsfälle, geht weder aus der Begründung des Gesetzentwurfs (S. 24) noch aus dem dort angesprochenen Evaluationsbericht (vgl. BT-Drucksache 17/12665(neu), S. 5, 54 f.) hinreichend substantiiert hervor. Zudem liegt die in Artikel 3 Absatz 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus vom 20. August 2012 (BGBl. I, 1789) vorgesehene Evaluation des RED-G noch nicht vor. Deren Ergebnisse sollten abgewartet werden, bevor das Modell der erweiterten Datennutzung aus § 7 RED-G übernommen wird.
Verfassungsrechtlich ist zu bedenken, dass mit der erweiterten Datennutzung die Konzeption der Antiterrordatei als Verbunddatei, die im Kern auf die Informationsanbahnung beschränkt ist und eine Nutzung der Daten zur operativen Aufgabenwahrnehmung nur in dringenden Ausnahmefällen vorsieht, zumindest aufgeweicht wird. Denn die Ausnahme ist nun nicht mehr auf die eng konturierten Eilfälle im Sinne von § 5 Absatz 2 ATDG beschränkt, sondern umfasst auch bestimmte einzelfallbezogene Projekte. Daneben löst sie sich von dem Prinzip der Einzelabfrage. Beide Elemente waren maßgeblich für die positive Bewertung der Antiterrordatei durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. a.a. O. Rnr. 124 ff., 194). Schließlich beinhaltet die neue Möglichkeit die kritisch beurteilte Ausgabe von Grunddaten bei Inverssuchen. Ob diese Gesichtspunkte durch die in § 6a ATDG-E vorgesehenen sehr hohen inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Eingriffsschwellen und durch die Herausnahme der teilweise besonders sensiblen verdeckt gespeicherten Daten aus dem Anwendungsbereich aufgewogen werden, bedarf genauer Prüfung.
5. Zu Artikel 1 Nummer 9 Buchstabe b (§ 10 Absatz 2 ATDG),
Artikel 2 Nummer 8 Buchstabe b (§ 11 Absatz 2 RED-G)
In Artikel 1 Nummer 9 Buchstabe b § 10 Absatz 2 und in Artikel 2 Nummer 8 Buchstabe b § 11 Absatz 2 sind jeweils vor dem Wort "mindestens" die Wörter "in der Regel" einzufügen.
Begründung:
Das Bundesverfassungsgericht fordert als rechtsstaatliches Korrektiv für die weitgehend fehlende Transparenz der Verarbeitung personenbezogener Daten in der ATD und die hierdurch eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten neben einer effektiven Rechts- und Fachaufsicht eine wirksame Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern. Dies erfordert eine Absicherung der im ATDG normierten informationellen Kooperation der Sicherheitsbehörden durch eine kooperative Datenschutzkontrolle. Wegen der Kompensationsfunktion der datenschutzrechtlichen Kontrolle für den schwach ausgestalteten Individualrechtsschutz sind diese Kontrollen regelmäßig, in angemessenen Abständen durchzuführen. Das Bundesverfassungsgericht geht insofern von turnusmäßigen Pflichtkontrollen in einem gewissen zeitlichen Höchstmaß von "etwa zwei Jahren" aus (BVerfG, Urteil vom 24. April 2014 - 1 BvR 1215/07 - Absatz-Nummer 217, 219).
Die für die ATD statuierte Prüfpflicht der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern wird nicht in Frage gestellt. Das Vorsehen einer starren Frist ("mindestens alle zwei Jahre") ist allerdings nicht geboten. Vielmehr wird der Zeitraum im ATDG-Urteil lediglich als Richtschnur genannt. Allein mit Rücksicht auf die europarechtlich vorgegebene - und nicht selten auch verfassungsrechtlich (z.B. Artikel 33a Absatz 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Bayern, Artikel 77a Absatz 2 Satz 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen) abgesicherte - Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht sollte die Ausfüllung der vom Bundesverfassungsgericht eröffneten zeitlichen Spielräume dem pflichtgemäßen Ermessen der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder überlassen bleiben. Dies wird mit Festlegung der Zwei-Jahres-Frist als Regelturnus erreicht.
6. Zu Artikel 2 Nummer 1 (§ 1 Absatz 2 Nummer 2 RED-G), Nummer 8 Buchstabe a (§ 11 Absatz 1 Satz 2 RED-G)
In Artikel 2 Nummer 1 § 1 Absatz 2 Nummer 2 und in Nummer 8 Buchstabe a § 11 Absatz 1 Satz 2 ist jeweils das Wort "Antiterrordatei" durch das Wort "Rechtsextremismus-Datei" zu ersetzen.
Begründung:
Es handelt sich um eine redaktionelle Korrektur.
7. Zu Artikel 2 Nummer 9 (§ 15 RED-G)
Artikel 2 Nummer 9 ist zu streichen.
Begründung:
Solange die Evaluierung des RED-G noch aussteht, sollte die Regelung zur erweiterten Datennutzung in § 7 RED-G nicht entfristet werden.
Dass die zeitliche Geltungsdauer von § 7 RED-G im Hinblick auf die anhängige Verfassungsbeschwerde gegen das ATDG beschränkt wurde, wie es die Begründung des Gesetzentwurfs angibt (BR-Drucksache 153/14 (PDF) , S. 27), lässt sich dem Gesetzentwurf zum RED-G nicht entnehmen (vgl. BT-Drucksache 17/8672, S. 21). Vielmehr lässt die Übereinstimmung der Geltungsfrist mit der Frist, bis zu der die Evaluation durchgeführt sein soll (31. Januar 2016), vermuten, dass der Fortbestand des § 7 RED-G vom Ergebnis der Evaluation abhängig gemacht werden sollte.