856. Sitzung des Bundesrates am 6. März 2009
A.
Der federführende Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 7 (§ 243 Absatz 4 Satz 1 StPO)
In Artikel 1 Nummer 7 ist § 243 Absatz 4 Satz 1 wie folgt zu fassen:
- (4) Haben Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung (§ 257c) stattgefunden, so teilt der Vorsitzende dies und deren wesentlichen Inhalt mit.
Begründung
Eine Mitteilung des Vorsitzenden, dass keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung stattgefunden haben, ist weder erforderlich noch zweckmäßig.
Nur für den Fall, dass Gespräche mit dem Ziel einer einvernehmlichen Absprache tatsächlich stattgefunden haben, besteht ein Bedürfnis, dies in der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung mitzuteilen und hierdurch transparent zu machen.
Über Negativtatsachen braucht hingegen nicht berichtet zu werden, da diese nicht Gegenstand der Hauptverhandlung sind. Dies entspricht auch dem Grundsatz der negativen Beweislast des Protokolls über die Hauptverhandlung. Eine anderweitige Regelung stünde daher nicht im Einklang mit der Systematik des Strafverfahrens.
2. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 257c Absatz 2 Satz 1, Absatz 4 Satz 2 StPO)
Artikel 1 Nummer 8 § 257c ist wie folgt zu ändern:
- a) In Absatz 2 Satz 1 sind nach dem Wort "können" das Komma durch das Wort "sowie" zu ersetzen und die Wörter "sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten" zu streichen.
- b) Absatz 4 Satz 2 ist zu streichen.
Begründung
Die Zusage eines bestimmten "sonstigen Prozessverhaltens" kann keinen Anlass für das Gericht geben, sich vorab auf einen bestimmten Strafrahmen festzulegen. Es ist mit unserem Rechtssystem unvereinbar, dass sich der Angeklagte den Verzicht auf Stellung von Beweisanträgen durch eine Strafmilderung "abkaufen" lässt (vgl. hierzu Meyer-Goßner, in: Strafverteidiger 2006, S. 485, 487)
Ein Verzicht des Angeklagten auf elementare strafprozessuale Rechte stünde - hierauf weist die Entwurfsbegründung selbst hin - im eklatanten Widerspruch zu der dem Angeklagten nach der StPO zugedachten Verfahrensrolle. Hinzu kommt, dass die bisher gewählte Form des § 257c Absatz 2 Satz 1 StPO-E die Verteidigung dazu anhalten könnte, dem Gericht eine Vielzahl von Anträgen "anzudrohen", um dann als Gegenleistung für den bloßen Verzicht (gegebenenfalls ohne Geständnis) Strafmilderung "auszuhandeln". Damit würde der Deal noch mehr als bisher zum Korrektiv eines die Verfahren häufig belastenden extensiven Beweisantragrechtes.
Wenn das weitere Prozessverhalten keine Verständigung begründen kann, darf ein von der Erwartung des Gerichts abweichendes Prozessverhalten die Bindung an die Verständigung grundsätzlich nicht entfallen lassen. § 257c Absatz 4 Satz 2 StPO-E ist daher zu streichen.
3. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 257c Absatz 2 Satz 2 StPO)
In Artikel 1 Nummer 8 ist § 257c Absatz 2 Satz 2 wie folgt zu fassen: "Voraussetzung jeder Verständigung ist ein der Nachprüfung zugängliches und zur Überzeugung des Gerichtes der Wahrheit entsprechendes Geständnis."
Begründung
Die Ermittlung des wahren Sachverhalts ist und bleibt auch im Falle einer Urteilsabsprache das wesentliche Ziel des Strafverfahrens. Das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung wird durch Urteilsabsprachen nicht aufgegeben. Auch das abgesprochene Urteil muss ein gerechtes sein und daher notwendig einen wahren Sachverhalt zur Grundlage haben. Der unserem Verfahrensrecht innewohnende Amtsaufklärungsgrundsatz erfordert zwingend ein qualifiziertes Geständnis. Denn nur dieses ermöglicht richterliche Überzeugungsbildung.
Unabdingbare Voraussetzung einer Verfahrensabsprache ist ein Geständnis, das derart konkret ist, dass eine Überprüfung möglich ist und eine Übereinstimmung mit der Aktenlage festgestellt werden kann. Ein Formalgeständnis reicht nicht aus. Nach der geständigen Einlassung dürfen keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen, nur dann kann von einer weiteren Sachaufklärung abgesehen werden. Das Gericht muss nachvollziehbar von der Wahrhaftigkeit der gemachten Angaben überzeugt sein. Denn das Gericht hat immer eigenverantwortlich zu beurteilen, ob der Angeklagte die ihm vorgeworfene Straftat auch wirklich begangen hat. Es darf deswegen einem abgesprochenen Geständnis nicht blind vertrauen, sondern muss es auf seine Glaubhaftigkeit prüfen. Es soll zukünftig gerade nicht möglich sein, dass - wie derzeit manchmal Praxis - der Angeklagte über seinen Verteidiger eine ausgefeilte Erklärung verlesen lässt, im Anschluss keine weiteren Nachfragen des Gerichts beantwortet und gleichwohl in den Genuss eines überobligatorischen Strafnachlasses kommt.
Der Forderung nach einem qualifizierten Geständnis kann auch nicht entgegengehalten werden, dass eine Überprüfung im Einzelfall die Vernehmung des Opfers, dem eine solche eigentlich erspart werden soll, erfordert: Das Gericht ist hinsichtlich der Art und Weise der Überprüfung des Geständnisses frei. Neben den Verfahrensakten könnten auch die Vernehmungspersonen des Opfers zum Zweck der Überprüfung herangezogen werden.
4. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 257c Absatz 3 Satz 4 - neu - StPO)
In Artikel 1 Nummer 8 § 257c Absatz 3 ist nach Satz 3 folgender Satz einzufügen: "Erhebt die Nebenklage gegen den mitgeteilten Strafrahmen Bedenken, gibt die Staatsanwaltschaft dazu eine Erklärung ab, die sich mit den geäußerten Vorbehalten der Nebenklage befasst."
Begründung
Eine befriedende Wirkung kann von einem Urteil nur dann ausgehen, wenn die Opferinteressen nicht völlig außer Acht gelassen werden.
Zur Wahrung der Rechte des Opfers und seiner legitimen Interessen wird der Nebenklage in § 257c Absatz 3 Satz 4 StPO-E die Befugnis eingeräumt, sich zu dem mitgeteilten und von den übrigen Verfahrensbeteiligten gebilligten Strafrahmen zu äußern und etwaige Bedenken dagegen vorzubringen. Um den Vorbehalten der Nebenklage die gebührende Beachtung zu widmen, ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, zu den vorgebrachten Einwänden begründet Stellung zu nehmen und dabei insbesondere auf die Belange aus Sicht des Opfers einzugehen. Das Zustandekommen der Urteilsabsprache wird jedoch aus grundsätzlichen systematischen Erwägungen nicht an die Zustimmung des Nebenklägers geknüpft. Zum einen ist auch bei anderen, auf die Verfahrenserledigung gerichteten Vorschriften (§§ 153, 153a StPO) keine Mitwirkung der Nebenklage vorgesehen. Zum anderen entspricht es dem erklärten Willen des Gesetzgebers, auch im Fall einer Verurteilung der Nebenklage keinen unmittelbaren Einfluss auf die Rechtsfolgenentscheidung zu gewähren. So ist der Nebenklage die Urteilsanfechtung mit dem Ziel, dass eine andere Rechtsfolge verhängt wird, ausdrücklich und uneingeschränkt verwehrt (§ 400 Absatz 1 StPO).
5. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 257c Absatz 4 Satz 3 StPO)
In Artikel 1 Nummer 8 ist § 257c Absatz 4 Satz 3 wird wie folgt zu fassen: "Das Entfallen der Bindung nach Satz 1 steht der Verwertung des Geständnisses des Angeklagten nicht entgegen."
Begründung
Soweit der Angeklagte in Kenntnis über die mit seiner Mitwirkung verbundenen, verbleibenden Risiken einer Abweichung des Gerichts belehrt wurde, über welche im Rahmen der Belehrung nach § 257c Absatz 5 StPO-E hinzuweisen ist, erscheint es sachgerecht, seine gemachten Aussagen auch dann zu verwerten, wenn eine Verständigung nicht zustande kommt. Dies bedeutet nicht, dass eine sich möglicherweise anschließende Verurteilung ausschließlich auf die "geständige Einlassung" gestützt werden kann. Allerdings wäre es denklogisch unmöglich, ein Geständnis, welches zudem in Kenntnis aller Umstände und Risiken abgegeben wurde, vollständig ignorieren zu müssen.
Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um ein überprüfbar zutreffendes Geständnis handelt. Der unserem Verfahrensrecht innewohnende Amtsaufklärungsgrundsatz erfordert jedoch zwingend ein qualifiziertes Geständnis, weil nur dieses richterliche Überzeugungsbildung ermöglicht. Unabdingbare Voraussetzung einer Verfahrensabsprache muss ein derart konkretes Geständnis sein, das eine Überprüfung ermöglicht und dem Gericht erlaubt, eine Übereinstimmung mit der Aktenlage festzustellen (vgl. nur BGH, Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 3. März 2005 - GSSt 1/04 -, BGHSt 50, 40). Ein Formalgeständnis reicht hierzu gerade nicht aus. Nach der geständigen Einlassung dürfen keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen, so dass von einer weiteren Sachaufklärung abgesehen werden kann. Das Gericht muss nachvollziehbar von der Wahrhaftigkeit der gemachten Angaben überzeugt sein. Denn das Gericht hat immer eigenverantwortlich zu beurteilen, ob der Angeklagte die ihm vorgeworfene Straftat auch wirklich begangen hat. Es darf deswegen einem abgesprochenen Geständnis nicht blind vertrauen, sondern muss es auf seine Glaubhaftigkeit prüfen.
Ferner besteht keine Notwendigkeit für ein Beweisverwertungsverbot. Denn obgleich, worauf der Gesetzentwurf selbst zutreffend hinweist, Verfahrensabsprachen seit über 20 Jahren eine Rolle im Strafprozess spielen und es bis heute kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich geständiger Einlassungen bei einem Scheitern der Verständigung gibt, sind aus der Praxis bisher keine Probleme, geschweige denn Missbrauchsfälle, bekannt geworden. Eine Notwendigkeit für eine Regelung besteht folglich nicht, zumal die rechtsfehlerhafte oder willkürliche Verwertung eines Geständnisses zweifelsfrei reversibel ist.
6. Zu Artikel 1 Nummer 12 - neu - (§ 331 Absatz 1 Satz 2 - neu - StPO) Nummer 13 - neu - (§ 358 Absatz 2 Satz 1 - neu - StPO)
Dem Artikel 1 sind folgende Nummern 12 und 13 anzufügen:
- "12. Dem § 331 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt: "Dies gilt nicht, sofern dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257c zugrunde liegt."
- 13. In § 358 Absatz 2 wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt: "Dies gilt nicht, sofern dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257c zugrunde liegt." "
Begründung
Die Verständigung im Strafverfahren führt aufgrund der getroffenen Vereinbarung zu einem spürbaren Strafnachlass. Wird Rechtsmittel eingelegt, ist die Vereinbarung hinfällig, die "konsensuale Erledigung" gescheitert. Deshalb erscheint es nicht sachgerecht, in den Fällen einer Verständigung am Verbot der reformatio in peius festzuhalten, wenn Rechtsmittel eingelegt wird.
Bliebe es in Fällen der Verständigung gleichwohl beim Verbot der reformatio in peius, ist es nicht auszuschließen, dass der Abschluss einer Verständigung allein deswegen erfolgt, um im Anschluss Rechtsmittel einzulegen und eine zweite vollständig streitige Verhandlung durchzuführen. Soweit argumentiert wird, die Staatsanwaltschaft könne ebenfalls Rechtsmittel einlegen, greift dies nicht. Die Staatsanwaltschaft darf nicht aus bloßen prozesstaktischen Gründen Rechtsmittel einlegen. Dies widerspräche dem Sinn des Rechtsmittelrechts.
Sachgerechter erscheint es deshalb, in diesen Fällen, das dann neu durchzuführende Verfahren unbelastet und ohne Berücksichtigung des auf einer Verständigung beruhenden Urteils durchzuführen.
B.
7. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.