COM (2018) 277 final; Ratsdok. 9075/18
970. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2018
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung (Wo) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Bestreben der Kommission, die Vollendung des sogenannten TEN-V-Netzes (Transeuropäisches Verkehrsnetz - Straßen und Bahnstrecken) voranzutreiben.
- 2. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Ziel der Kommission, Maßnahmen zur Straffung und Harmonisierung von Genehmigungsverfahren bei grenzüberschreitenden TEN-V-Vorhaben zu ergreifen, um somit zu einer rascheren Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) beizutragen.
- 3. Der Bundesrat bezweifelt, dass der Verordnungsvorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Denn die vorgeschlagene Verordnung würde einen unmittelbaren Durchgriff auf die hoheitlichen Rechte der Mitgliedstaaten, das jeweils anzuwendende Verfahrensrecht sowie die Zuständigkeit der Behörden festzulegen[, ermöglichen]. Die Notwendigkeit, eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren durch Instrumente des Verfahrensrechts bzw. durch einen Eingriff in die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, wird nicht ausreichend begründet.
- 4. Der Bundesrat kritisiert, dass das Instrument einer Verordnung gewählt wurde, die unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten erlangt. In der vorgeschlagenen Regelungstiefe würden hieraus auf nationaler Ebene konkurrierende planungs-und verfahrensrechtliche Anforderungen und Zuständigkeiten entstehen. Es würde erheblicher Anpassungsbedarf im bundesdeutschen Planungs- und Genehmigungsrecht ausgelöst. Der Bundesrat lehnt daher die vorgeschlagenen Eingriffe in Einzelheiten des Verwaltungsverfahrens in den Mitgliedstaaten ab.
- 5. Der Bundesrat sieht den Verordnungsvorschlag auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kritisch. Der unmittelbare Durchgriff auf hoheitliche Rechte der Mitgliedstaaten ist zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren nicht erforderlich. Insoweit würde das Instrument der Richtlinie bereits ausreichen, die den Mitgliedstaaten die nähere Ausgestaltung der Verfahren überlassen würde. Zudem zielt die vorgeschlagene Verordnung einseitig auf die Beschleunigung der Verfahren, ohne zugleich die umfangreichen materiellen Prüfpflichten in den Blick zu nehmen. Erheblich gestiegene materielle Prüfanforderungen in immer kürzeren Verfahren zu bewältigen, birgt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kaum vertretbare Risiken für Genehmigungsbehörden und Vorhabenträger hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Zulassungsentscheidungen.
- 6. Der Bundesrat berät darüber hinaus gerade eine Grundgesetzänderung, um die im Rahmen der Schaffung der Infrastrukturgesellschaft Autobahn und der Gründung des Fernstraßen-Bundesamts vorgesehene Möglichkeit der Beibehaltung der Planfeststellung für Bundesautobahnen bei sachkundigen Landesbehörden verfassungsrechtlich abzusichern. Auch wenn der Verordnungsvorschlag eine Öffnung zur Delegation vorsieht, ist diese mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden, da sie zu Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der zuständigen Behörde führen kann und damit dem Zweck der Verbesserung des TEN-V-Netzes zuwiderläuft.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Positionen im weiteren Verfahren auf EU-Ebene vorzubringen und darauf hinzuwirken, dass die hoheitlichen Rechte der Länder gewahrt werden.
- 8. Der Bundesrat hält es für erforderlich, klarzustellen, dass zur vorgeschalteten strategischen Planung und Projektplanung ("strategic level", "project planning "route options") auch die Raumverträglichkeitsprüfung in Betracht kommender Varianten mit behördlicher Ermittlung einer für das Genehmigungsverfahren geeigneten Trasse bzw. eines Trassenkorridors gehört und dieses noch nicht der Phase des Genehmigungsverfahrens ("project permitting") zuzurechnen ist.
- 9. Gegen den Verordnungsvorschlag bestehen auch insoweit Bedenken, als dass gegenwärtig nicht erkennbar ist, inwieweit die Regelungen tatsächlich Genehmigungsprozesse vereinfachen und beschleunigen und damit effizienter gestalten. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung - vorbehaltlich weiterer Ergänzungen und Präzisierungen -, dafür Sorge zu tragen, dass bei den Beratungen des Rates die folgenden Aspekte Berücksichtigung finden.
- 10. Unklar ist, worin die materielle Konzentration oder materielle Vereinfachung von Genehmigungsprozessen bestehen soll. Eine bloße formale Zusammenführung von durchgeführten Einzelverfahren durch eine zuständige Behörde (Artikel 3 Nummer 1 des Verordnungsvorschlags) oder die "Einzige zuständige Genehmigungsbehörde" (Überschrift Artikel 5 des Verordnungsvorschlags) wird dem Ziel des Verordnungsvorschlags in der Sache nicht gerecht und schafft eher die Gefahr, in der Bundesrepublik eingespielte und bewährte Verfahrensabläufe zu beeinträchtigen und zusätzliche Abstimmungsverluste hervorzurufen.
Dies kann sich auch in möglichen nachfolgenden Gerichtsverfahren nachteilig und eher verfahrensverlängernd auswirken.
- 11. Auf eine tatsächliche Verkürzung der Verfahrenslaufzeit ist hinzuwirken, da in der gegenwärtigen Regelung nach Artikel 6 Nummer 6 des Verordnungsvorschlags eine Frist von 21 Monaten vorgesehen ist, die sich nach Artikel 6 Nummer 8 des Verordnungsvorschlags grundsätzlich um ein weiteres Jahr verlängert, so dass Verwaltungsverfahren im Sinne des Verordnungsvorschlages auch ohne weiteres circa fünf Jahre oder mehr in Anspruch nehmen könnten.
- 12. Der Bundesrat ist darüber hinaus der Auffassung, dass bei grenzüberschreitenden TEN-V-Projekten die Regelungen zur Vergabe von Aufträgen an private Investoren nicht kongruent mit dem nationalen Vergaberecht sind.
- 13. Der Bundesrat hält es grundsätzlich für begrüßenswert, dass durch eine Harmonisierung der Genehmigungsverfahren bei grenzüberschreitenden TEN-V-Projekten sichergestellt werden soll, dass europäische Umweltschutzrichtlinien in den beteiligten Mitgliedsstaaten mit vergleichbaren Maßstäben ausgelegt und angewendet werden. Gleichzeitig hat der Bundesrat jedoch Sorge, dass hierdurch hohe nationale Umwelt- und Beteiligungsstandards unterlaufen werden können.
- 14. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 15. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.