Der Bundesrat hat in seiner 966. Sitzung am 23. März 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt das Ziel der Empfehlung, die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen für alle Menschen während des gesamten Lebens zu verbessern und Maßnahmen zu fördern, die erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen. Daher begrüßt er grundsätzlich eine Aktualisierung der Empfehlung des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen. Gleichzeitig begrüßt er eine angemessene Aktualisierung der bewährten Beschreibungen der Schlüsselkompetenzen.
- 2. Der Bundesrat betont, dass Bildung die ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit und Entfaltung individueller Fähigkeiten zum Ziel hat, was auch in dem Empfehlungsvorschlag der Kommission zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen zum Ausdruck kommt. Er befürwortet diesen umfassenden Blick auf Bildung umso mehr, als er das bisherige von der Kommission vertretene utilitaristische Bildungsverständnis revidiert und seine wiederholt geäußerten Forderungen aufgreift.
- 3. In diesem Zusammenhang teilt der Bundesrat die Auffassung der Kommission, Menschen gleich welchen Alters besser auf eine aktive Bürgerrolle und die sich wandelnden Bedürfnisse des Arbeitsmarktes in immer heterogeneren, mobilen, digitalen und globalen Gesellschaften vorzubereiten und das Lernen in allen Phasen des Lebens weiterzuentwickeln.
- 4. Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung des Rechts auf hochwertige allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form. Der Kompetenzerwerb spielt im Sinne der individuellen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eine bedeutsame Rolle und kann einen entscheidenden Beitrag dabei leisten, Bildungsketten zu ermöglichen und Übergänge auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu bewältigen.
- 5. Der Bundesrat sieht ebenfalls positiv, dass der Vorschlag für einen neuen Rahmen die etablierte Struktur des alten Rahmens in weiten Teilen respektiert und behutsam aktualisiert. So weisen viele der Definitionen und Kompetenzbeschreibungen in der vorgeschlagenen Empfehlung nach wie vor Relevanz und Aktualität auf. Indes waren aus seiner Sicht Aktualisierungen, insbesondere im Bereich der digitalen und der kulturellen Kompetenz, erforderlich.
- 6. Er plädiert für eine differenzierte Beschreibung von Lese- und Schreibkompetenz bezogen auf Muttersprache, Unterrichtssprache und offizielle Landessprache und begrüßt den hohen Stellenwert, der dem Erwerb von Fremdsprachen zugemessen wird. Mit Blick auf den Erwerb von Sprachkompetenz sollte der Erwerb und sichere Gebrauch der offiziellen Amtssprache des Aufnahmelandes durch Zuwanderer nachhaltig unterstützt werden, da dieser für eine gelingende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von zentraler Bedeutung ist.
- 7. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich die Aussage, dass es zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen großer Investitionen in Kompetenzen und eines Umdenkens hinsichtlich der Ausbildung und der Systeme für ein lebenslanges Lernen bedarf. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Digitalisierung. Hierbei handelt es sich um Fragen, mit denen sich die Mitgliedstaaten auseinandersetzen müssen.
- 8. Nach Ansicht des Bundesrates bedarf es bei der MINT-Bildung besonderer Anstrengungen zur geschlechtersensiblen, individuelle Bedürfnisse berücksichtigenden Förderung, die im vorgelegten Empfehlungsvorschlag bislang nicht umfänglich berücksichtigt wurde.
- 9. Nach der vorgeschlagenen Empfehlung des Rates sollen Möglichkeiten für junge Lernende geschaffen werden, während der Primar- und Sekundarschulbildung mindestens eine unternehmerische Erfahrung zu machen. Der Bundesrat weist in diesem Kontext auf bestehende vielfältige Möglichkeiten hin, wie junge Menschen beispielsweise an Schulen in einem geschütztem Umfeld, zum Beispiel bei Wettbewerben, in Schülerpraktika oder durch Gründung von und Mitarbeit in Schülerfirmen, altersangemessene unternehmerische Erfahrungen sammeln können. Zudem kommt der Vermittlung von Wirtschaftsthemen und der Verbraucherbildung an Schulen, welche auch in Lehrplänen verankert sind, als wichtiger Bestandteil der Allgemeinbildung Bedeutung zu. Der Bundesrat betont daher die Nützlichkeit unternehmerischer Erfahrungen im Unterricht, weist aber darauf hin, dass die Art dieser Erfahrung auf der Grundlage der Lehrpläne von den Lehrkräften bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund scheint die pauschale Empfehlung mindestens einer unternehmerischen Erfahrung nicht sinnvoll.
- 10. Er kritisiert die implizite Tendenz einer EU-weiten Festlegung von Inhalten und Verfahren, die das Risiko implizieren, mitgliedstaatliche Zuständigkeiten zu unterlaufen. Dies ist insbesondere bei den Nummern 6 bis 8 des Vorschlags (siehe Seite 20 und 21) zu erkennen (Entwicklung von Referenzmaterialien und Werkzeugen, von Rahmen zur Beurteilung von Kompetenzen, von Leitlinien zu neuen Formen des Lernens und Unterstützungskonzepten, von Kursen und Selbstbeurteilungsinstrumenten, von Ansätzen für die Beurteilung und Validierung von Schlüsselkompetenzen und eines Fortschrittsanzeigers ("Scoreboard") zur Verfolgung der Kompetenzentwicklung in der Union).
- 11. Der Bundesrat lehnt eine Beurteilung von Schlüsselkompetenzen sowie Validierungsverfahren auf EU-Ebene ab und erinnert in diesem Zusammenhang an die Kompetenzgrenzen der EU auf dem Gebiet der Bildung.
- 12. Er betont, dass Berichtspflichten zu einem mitgliedstaatlichen bzw. länderseitigen Verwaltungsmehraufwand führen können. Da diese allein einer Verstärkung der Kontrolle der mitgliedstaatlichen Performanz dienen, aber keinen unmittelbaren Mehrwert aufweisen, lehnt der Bundesrat Berichtspflichten der Mitgliedstaaten unter anderem als unverhältnismäßig ab und sieht die Berichtspflicht der Kommission, wie sie auch in der aktuellen Empfehlung zu finden ist, als ausreichend an.
- 13. Der Bundesrat sieht kritisch, dass immer mehr Referenzrahmen geschaffen werden (sollen), ohne zuvor deren Erforderlichkeit und Mehrwert zu prüfen. Er weist darauf hin, dass nicht jeder Kompetenzbereich geeignet ist, ähnlich dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Fremdsprachen aufgeschlüsselt zu werden. Die Entwicklung neuer Referenzrahmen ist zudem eng mit der für Bildung zuständigen Ratsformation abzustimmen. In diesem Zusammenhang scheint es sinnvoll, bereits vorhandene Instrumente zu evaluieren. Dies könnte angesichts einer wachsenden Zahl von Rahmen für Kompetenzen und Qualifikationen mit unterschiedlichen Strukturen und Zielgruppen auch zu größerer Kohärenz und Nutzerfreundlichkeit sowie schlussendlich zu einer gesteigerten Sichtbarkeit der Instrumente führen.
- 14. Auch der Einführung von Leitlinien zu neuen Formen des Lernens und Unterstützungskonzepten steht der Bundesrat ablehnend gegenüber. Zudem darf die Erarbeitung von (Selbst-)Bewertungsinstrumenten nicht auf eine Defacto-Etablierung europäischer Standards im Bildungsbereich hinauslaufen.
- 15. Er sieht auch das in der Empfehlung genannte "Scoreboard" (Fortschrittsanzeiger) zum Monitoring der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen kritisch. Das "Scoreboard" darf nicht die Entscheidung über die Einführung sowie Inhalte künftiger Definitionen von Benchmarks oder Indikatoren vorwegnehmen. Auch die Möglichkeit von Kompetenzstandmessungen und Vergleichen zwischen Mitgliedstaaten wäre nach einer Konkretisierung noch einmal gesondert zu bewerten. All dies darf jedenfalls nicht zu einer unzulässigen Überprüfung der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten führen.
- 16. Der Bundesrat erkennt die Bedeutung der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung an, da sie Menschenwürde und Chancengerechtigkeit für alle in einer intakten Umwelt zu verwirklichen sucht, indem sie Menschen in die Lage versetzt, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und abzuschätzen, wie sich eigene Handlungen auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirken. Angesichts der Tatsache, dass der Katalog der 43 globalen und thematischen Indikatoren sehr umfangreich und ambitioniert bzw. zum Teil noch nicht entwickelt ist, bleibt die Reichweite der Forderung nach einer umfassenden Berücksichtigung sowie Weiterentwicklung und Förderung der ehrgeizigen Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung in den Bereichen der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Lernens bislang unklar und scheint zudem verfrüht.
- 17. Der Bundesrat stellt fest, dass der Schwerpunkt des Empfehlungsvorschlags innerstaatlich in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder auf dem Gebiet der schulischen Bildung (einschließlich der Lehrerausbildung und der Organisationshoheit für das Bildungssystem) fällt. Die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen stellt eine zentrale Aufgabe der allgemeinen Bildung dar und findet vornehmlich in diesem Bereich statt. Sie ist elementar mit der Gestaltung von Lehrplaninhalten verknüpft. Zudem nimmt der Vorschlag konkret auch auf das Bildungspersonal Bezug. Der Bundesrat weist darauf hin, dass seine Stellungnahme gemäß § 5 Absatz 2 EUZBLG von der Bundesregierung maßgeblich zu berücksichtigen ist und die Verhandlungsführung gemäß § 6 Absatz 2 EUZBLG bei den Ländern liegt.
- 18. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.