Der Bundesrat hat in seiner 813. Sitzung am 8. Juli 2005 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 17. Juni 2005 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel einer grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes im Sinne einer Beschränkung auf das europarechtlich zwingend Gebotene einberufen wird.
Hierbei soll insbesondere
- 1. der Anwendungsbereich des mit Artikel 1 eingeführten Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierung (Antidiskriminierungsgesetz - ADG) im Bereich des allgemeinen Zivilrechts auf die Diskriminierungsmerkmale beschränkt werden, die die Richtlinien 2000/43/EG und 2004/113/EG zwingend vorgeben.
In der vom Deutschen Bundestag am 17. Juni 2005 verabschiedeten Fassung schaffen § 1 ADG, § 2 Abs. 1 ADG - insbesondere dessen Nummer 8 - und § 19 ADG in Verbindung mit § 22 ADG in Bereichen, für die das Europarecht keine Vorgaben macht, Hemmnisse für die Vertragsfreiheit. Damit werden unnötig Streitigkeiten in Bereichen herausgefordert werden, die - wie mit Beschluss des Bundesrates vom 18. Februar 2005 (BR-Drucksache 103/05(B) ) festgestellt - den Vertragsparteien zur freien und eigenverantwortlichen Gestaltung überlassen bleiben sollten. Insbesondere die Regelungen im Abschnitt 3 des Antidiskriminierungsgesetzes bringen ein Misstrauen gegenüber den Vertragsparteien zum Ausdruck, das die
Lebenserfahrung nicht rechtfertigt und das im ungünstigsten Falle geeignet ist, das Gegenteil des Erwünschten zu erreichen.
- 2. das Verhältnis des Antidiskriminierungsgesetzes zu anderen arbeitsrechtlichen Schutzgesetzen, insbesondere dem Kündigungsschutzgesetz, klargestellt werden.
§ 2 Abs. 4 ADG begnügt sich bisher mit dem Hinweis, für Kündigungen gälten "vorrangig" die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes. Das Verhältnis beider Gesetze zueinander ist demgegenüber dahin zu präzisieren, dass im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließlich dessen Bestimmungen Anwendung finden.
- 3. in § 3 ADG eine Schwelle eingeführt werden, unterhalb derer eine Belästigung im Sinne des Gesetzes nicht angenommen werden kann.
Dies ist erforderlich, um ein Ausufern von Schadenersatzforderungen zu verhindern, und kann im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben erfolgen.
- 4. in § 7 Abs. 2 ADG die Privilegierung auf Gesamtzusagen und betriebliche Übungen erstreckt werden.
Auch insoweit und nicht nur im Hinblick auf unwirksame kollektivrechtliche Vereinbarungen besteht Anlass für einen Vertrauensschutz zu Gunsten der Arbeitgeber.
- 5. § 12 ADG, der Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers definiert, klarer gefasst werden.
§ 12 Abs. 1 Satz 2 ADG verpflichtet den Arbeitgeber zu vorbeugenden Maßnahmen zum Schutz vor unzulässigen Benachteiligungen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 ADG soll der Arbeitgeber "in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung", auf die Unzulässigkeit bestimmter Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass unzulässige Benachteiligungen unterbleiben. Diese Konkretisierung der dem Arbeitgeber nach Absatz 1 auferlegten Pflichten relativiert § 12 Abs. 2 Satz 2 ADG wieder, indem er zum Ausdruck bringt, entsprechende Schulungen gälten dann nicht als Erfüllung der Pflichten nach Absatz l, wenn der Arbeitgeber "weitere zumutbare und erforderliche Maßnahmen schuldhaft unterlassen" habe. Damit bleibt unklar, was unter den "erforderlichen Maßnahmen" im Sinne des § 12 Abs. 1 ADG zu verstehen ist. Die mit dieser Unklarheit verbundene Rechtsunsicherheit kann nicht hingenommen werden.
- 6. § 15 ADG neu gefasst werden.
In § 15 Abs. 1 ADG sollen Regeln für die Bemessung von Schadenersatzansprüchen im Falle einer diskriminierenden Ablehnung einer Bewerbung eingeführt werden.
In § 15 Abs. 2 ADG soll klargestellt werden, dass eine Entschädigung wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nicht zu zahlen ist, wenn der Arbeitgeber die der Benachteiligung zu Grunde liegende Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Im Übrigen wird zu prüfen sein, ob für schuldhafte Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Beförderungen, Versetzungen oder anderen Personalentscheidungen die Einführung einer Entschädigungspflicht ohne Höhenbegrenzung erforderlich ist, um den Anforderungen der einschlägigen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft zu genügen.
Schließlich soll angesichts des Grundsatzes, dass Verträge einzuhalten sind, die Haftung nach § 15 Abs. 3 ADG auf die Fälle beschränkt werden, in denen die kollektivrechtliche Vereinbarung offensichtlich wegen Verstoßes gegen ein Benachteiligungsverbot unwirksam ist.
- 7. das in § 17 ADG vorgesehene eigene Klagerecht des Betriebsrats und der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften entfallen.
Der Schutz von Beschäftigten vor Diskriminierung ist im deutschen Arbeitsrecht und nach den Anforderungen der EU in hinreichendem Maße gewährleistet. Darüber hinaus gehende Regelungen, die europarechtlich nicht zwingend geboten sind, sind im Sinne einer Art von Verbandsklage nicht erforderlich.
- 8. in § 19 Abs. 1 Nr. 1 ADG darauf verzichtet werden, Schuldverhältnisse, bei denen "das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat", als Massengeschäfte zu behandeln.
Das Kriterium der "nachrangigen Bedeutung" ist nicht geeignet, den Anwendungsbereich des Gesetzes mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu bestimmen. Durch die Beschränkung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 ADG auf Schuldverhältnisse, die ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen geschlossen werden, wird insbesondere auch verdeutlicht, dass es sich bei Wohnraummietverträgen, bei denen der Mieter nach individuellen Kriterien ausgewählt wird, nicht um Massengeschäfte im Sinne des Antidiskriminierungsgesetzes handelt.
- 9. § 21 ADG überarbeitet werden.
In § 21 Abs. 2 ADG soll ein Anspruch auf Abschluss eines Vertrages als mögliche Folge eines Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot gestrichen werden. Die Richtlinien geben einen Kontrahierungszwang als Sanktion nicht zwingend vor.
Weiter soll in § 21 Abs. 3 Satz 3 ADG klargestellt werden, dass eine Entschädigung nur dann in Betracht kommt, wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt.
Schließlich soll in § 21 Abs. 6 ADG geregelt werden, wann die Ausschlussfrist beginnt.
- 10. die Bestimmung zur "Beweislast" in § 22 ADG neu formuliert werden.
Der in § 22 ADG verwendete Begriff der "Glaubhaftmachung" suggeriert, der Anspruchsteller könne sich nach § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) auch der eidesstattlichen Versicherung als Beweismittel bedienen. Das war schon nach der Begründung des Gesetzentwurfs nicht gemeint, die formulierte, der Anspruchsteller müsse "nach den allgemeinen Grundsätzen zunächst den Vollbeweis führen, dass er gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist", und außerdem "Vermutungstatsachen vortragen, aus denen sich schließen lässt, dass diese unterschiedliche Behandlung auf einem nach § 1 (des Gesetzentwurfs) unzulässigen Grund beruht". Blieben Vermutungstatsachen streitig, habe das Gericht alle zulässigen Möglichkeiten der Anhörung nach § 141 ZPO und Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO auszuschöpfen. Auch § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB versteht unter "Glaubhaftmachung" etwas anderes als § 294 ZPO. Mit der kritiklosen Übernahme der Formulierung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB fördert § 22 ADG Fehldeutungen.
Auch sonst ist § 22 ADG klarer zu fassen: Weist der Anspruchsteller Vermutungstatsachen für eine Benachteiligung nach, ist dem in Anspruch Genommenen nach dem Wortlaut des § 22 ADG der Nachweis abgeschnitten, eine Benachteiligung sei - etwa mangels Kenntnis des besonderen Merkmals - gar nicht erfolgt. Dies ist inakzeptabel.
Kommt es zu einer Beweislastumkehr nach § 22 ADG, obliegt es nach dem Antidiskriminierungsgesetz dem in Anspruch Genommenen, sachliche Gründe darzutun und zu beweisen, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Die Anerkennung allein sachlicher Gründe als Rechtfertigungsgründe ist nicht akzeptabel: Von der Rechtsordnung sind auch solche Entscheidungen hinzunehmen, die zwar auf unsachlichen Gründen beruhen, jedoch nicht den Vorgaben der Richtlinien zuwiderlaufen.
- 11. die Regelung in § 23 ADG zu einer "Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände" grundlegend überarbeitet werden.
Die Richtlinien geben den Mitgliedstaaten auf, Verbänden die Beteiligung an zur Durchsetzung der Ansprüche vorgesehenen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren "entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung" zu ermöglichen. § 23 ADG lässt Antidiskriminierungsverbände nicht nur in bestimmten gerichtlichen Verfahren als "Bevollmächtigte und Beistände Benachteiligter" zu, sondern sieht auch die Abtretung von auf Schadensersatz oder Entschädigung in Geld gerichteter Forderungen an sie vor. Selbst unterstellt, die Regelung über die Abtretbarkeit hätte nur klarstellenden Charakter, ist sie rechtspolitisch verfehlt und europarechtlich nicht geboten: Obwohl sie nach dem Gesetzentwurf nicht gewerbsmäßig tätig sein dürfen, lädt eine solche Regelung Antidiskriminierungsverbände dazu ein, Betroffenen das Gefühl zu vermitteln, diskriminiert worden zu sein, und mit echten oder eingebildeten Diskriminierungen Geschäfte zu machen. Sie ist, sofern sie etwa einen in Anspruch genommenen Arbeitgeber mit einer Mehrheit von Gläubigern - neben dem Arbeitnehmer auch noch mit einem Antidiskriminierungsverband - konfrontiert, geeignet, eine Gesamtbereinigung durch einen umfassenden Vergleich zu behindern.
Im Übrigen erscheint es geboten, die Anforderungen, die an einen Antidiskriminierungsverband zu stellen sind, über die Vorgaben des § 23 ADG hinaus genauer zu definieren und ein Anerkennungsverfahren durchzuführen. Dieses sollte sich an den Regelungen des Unterlassungsklagengesetzes orientieren.
- 12. überprüft werden, ob die in § 24 ADG getroffene Sonderregelung für öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse sich innerhalb der Vorgaben des Artikels 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Grundgesetzes bewegt.
Begründung
Das Gesetz zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien wurde zwar von der Bundesregierung entworfen, sodann aber von den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/die GRÜNEN in den Deutschen Bundestag eingebracht. Der Bundesrat, dem damit die Gelegenheit genommen wurde, gemäß Artikel 76 Abs. 2 Grundgesetz zu der Vorlage Stellung zu nehmen, äußerte sich auf eigene Initiative mit Beschluss vom 18. Februar 2005 (BR-Drucksache 103/05(B) ). Das Anliegen des Bundesrates, die Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien auf das europarechtlich Gebotene zu beschränken, erfüllt das vom Deutschen Bundestag am 17. Juni 2005 beschlossene Gesetz nicht. Es ist deshalb im Vermittlungsverfahren grundlegend zu überarbeiten.
Das Gesetz geht ohne Grund weit über die Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien (2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG) hinaus. Die Vorschriften wirken sich schädlich auf den Arbeitsmarkt aus und führen zu einem unnötigen bürokratischen Mehraufwand. Darüber hinaus entsteht größere Rechtsunsicherheit, da erst nach einer längeren Zeit Klarheit über die tatsächliche Anwendung in der Praxis gewonnen werden kann. Im Übrigen wird in Deutschland der Schutz vor Diskriminierung bereits durch eine Vielzahl einzelgesetzlicher Regelungen gewährleistet. Das Gesetz sollte deshalb auf das europarechtlich zwingend Gebotene beschränkt werden.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellte mit Urteil vom 28. April 2005, Rechtssache C-329/04, fest, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2000/43/EG verstoßen, dass sie nicht innerhalb der gesetzten Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen habe, um dieser Richtlinie nachzukommen. Die Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG in deutsches Recht ist mit Nachdruck zu betreiben, bei dieser Gelegenheit ist auch die Richtlinie 2004/113/EG umzusetzen. Bei der Umsetzung ist allerdings dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und den berechtigten Anliegen der deutschen Wirtschaft in vollem Umfang Rechnung zu tragen.