KOM (2005) 98 endg.; Ratsdok. 7583/05
Der Bundesrat hat in seiner 812. Sitzung am 17. Juni 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Im zwölften Bericht über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit teilt die Kommission die Berichterstattung erstmals in einen allgemein gehaltenen und nur einen Überblick gebenden Bericht sowie in ein ausführlicheres Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen auf. Diese Aufteilung der Berichterstattung aus Gründen der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit ist aus Sicht des Bundesrates nicht zu kritisieren. Allerdings ist es nach Auffassung des Bundesrates nicht hinnehmbar, dass dieser Anhang zum Bericht lediglich in englischer Sprache vorgelegt wurde. Einschränkungen bei der Übersetzung substanzieller Dokumente beschränken die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente bei den Entscheidungsprozessen der EU und widersprechen den Verpflichtungen der Kommission im Bereich der Übersetzung. Der Bundesrat fordert in Übereinstimmung mit der Bundesregierung die Kommission deshalb nachdrücklich auf, zukünftig die Übersetzung entsprechender Dokumente und Anhänge in die deutsche Sprache sicherzustellen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Deregulierungsinitiative der EU als wichtigen Beitrag, um die Wirtschaft von Überregulierungen durch EU-Vorgaben zu befreien sowie dadurch neue Wachstumsimpulse und eine Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik zu erzielen. Der Bundesrat fordert dazu auf, aus der EU-Deregulierungsinitiative einen kontinuierlichen Prozess zu entwickeln, in dessen Verlauf der Rechtsbestand der EU überprüft und erforderlichenfalls überarbeitet oder aufgehoben wird. Der Bundesrat nimmt den Aufruf der Kommission zur Mitarbeit am Entbürokratisierungsprozess ernst und wird diesen Kurs mit konstruktiver Kritik und eigenen Initiativen der Länder begleiten.
- 3. Darüber hinaus bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich gegenüber der Kommission dafür einzusetzen, dass Kommissionsentwürfen für Rechtsetzungsakte künftig generell Aussagen zur zeitlichen Geltung der Rechtsvorschriften beigefügt werden. Auch prinzipiell ohne beschränkte Geltungsdauer zu erlassende Rechtsetzungsakte sollten in periodischen Abständen einer Evaluierung unter dem Gesichtspunkt der Zielerreichung, Vollzugseffizienz und Vereinfachung unter besonderer Beachtung des Subsidiaritätsprinzips unterzogen werden.
- 4. Der Bundesrat nimmt in diesem Zusammenhang auch mit Sorge zur Kenntnis, dass die Zahl der Gemeinschafts-/EU-Agenturen im Jahre 2004 auf insgesamt 26 angewachsen ist. Der Bundesrat sieht die kontinuierliche Verlagerung von Exekutivbefugnissen auf europäische Agenturen zulasten der demokratischen Kontrolle und Bürgernähe der Verwaltung kritisch. Er verweist insoweit auf seinen Beschluss vom 27. Mai 2005 (BR-Drucksache 168/05(B) ).
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass es der Kommission gelungen ist, die Anzahl der im Jahr 2002 erstmals eingeführten Folgenabschätzungsverfahren im Jahr 2004 zu erhöhen und ihre Qualität insgesamt zu verbessern. Der Bundesrat zeigt sich jedoch darüber besorgt, dass die Kommission zur Durchführung dieser originären Aufgabe zusätzliche Ressourcen einfordert.
- 6. Die Aufforderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, selbst Folgenabschätzungsverfahren bei der Umsetzung von EU-Rechtsakten durchzuführen, wird von Seiten des Bundesrates unterstützt. Allerdings ist er der Auffassung, dass einer nachträglichen Folgenabschätzung auf nationaler Ebene nach bereits erfolgter Verabschiedung des EU-Gesetzgebungsakts aufgrund des häufig geringen Gestaltungsspielraums des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Entscheidend ist die Folgenabschätzung im Zusammenhang mit dem europäischen Rechtsetzungsakt.
- 7. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission auch über die Prüfung und Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit durch den Rat und das Europäische Parlament in deren Rolle als Gesetzgeber berichtet.
- 8. Der Bundesrat bedauert dabei, dass der Kommissionsbericht keine klaren Kriterien aufstellt, an denen sich die Prüfung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips der an der Gesetzgebung beteiligten Organe orientieren könnte. Ohne das vom Bundesrat in diesem Zusammenhang immer wieder angemahnte "Prüfraster" für eine angemessene Subsidiaritätsprüfung ist der substanzielle Gehalt der Subsidiaritätsprüfung nicht zu erkennen und es bleibt unklar, in welcher Weise die Kommission dem Subsidiaritätsgedanken gerecht geworden ist.
- 9. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass die Subsidiaritätsprüfung auch eine Prüfung der Zuständigkeit der EU mit einschließt. Der Grundsatz der Subsidiarität ist ein Kompetenzausübungsprinzip. Ein Verstoß gegen dieses Prinzip setzt zwingend voraus, dass eine Kompetenz für gemeinschaftliches Handeln besteht. Daher muss im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung zunächst die Frage der Rechtsgrundlage geprüft werden.
- 10. Die Kommission führt in ihrem Bericht aus, das Subsidiaritätsprinzip sei ein dynamisches Konzept, das der EU erlaube, ihre Tätigkeiten auszudehnen, soweit es die Umstände erlauben, und andererseits zu beschränken oder zu beenden, wo sie nicht mehr gerechtfertigt sind. Der Bundesrat weist jedoch eindringlich darauf hin, dass dies die EU nicht von der Notwendigkeit befreit, in jedem Fall eine ausdrückliche Einzelermächtigung als Grundlage für ein Tätigwerden zur Verfügung zu haben. Ein Handeln der EU kann nur aus den vorhandenen Rechtsgrundlagen abgeleitet werden.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich auch in Zukunft für die effektive Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in der EU einzusetzen. Der zwölfte Bericht der Kommission lässt zwar einige Besserungen erkennen. Aus Sicht des Bundesrates besteht indes weiterhin Handlungsbedarf.