Der Bundesrat hat in seiner 797. Sitzung am 12. März 2004 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. In Bezug auf inländische Erdgasfernleitungsnetze fehlt der Gemeinschaft die Regelungskompetenz, da sie auch bei einem Tätigwerden auf der Grundlage des Artikels 95 EGV zur Beachtung des Subsidiaritätsprinzips (Artikel 5 Abs. 2 EGV) verpflichtet ist. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, bei den weiteren Verhandlungen sicherzustellen, dass der Vorschlag - ebenso wie die im Strombereich bereits existierende, parallele Verordnung über den grenzüberschreitenden Stromhandel - ausschließlich an grenzüberschreitende Sachverhalte anknüpft.
- 2. Die Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, bis zum 1. Juli 2004 die Beschleunigungsrichtlinie Erdgas (Richtlinie 2003/55/EG) in nationales Recht umzusetzen. Nach der Beschleunigungsrichtlinie ist die Kommission verpflichtet, deren Umsetzung zu beobachten, einen jährlichen Bericht anzufertigen und gegebenenfalls Empfehlungen für eine weitere Harmonisierung abzugeben. Dieses in der Richtlinie festgelegte Vorgehen wird durch den vorgesehenen Verordnungsvorschlag bereits vor der Anfertigung eines ersten Berichts durch die Kommission dadurch konterkariert, dass die Kommission bereits jetzt davon ausgeht, dass die jeweilige nationale Umsetzung den Vorgaben der Beschleunigungsrichtlinie nicht genügt.
- 3. Die Verordnung der Kommission über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen soll 2005 in Kraft treten. Indem die Kommission bereits ein Jahr nach Ablauf der Umsetzungsfrist den Mitgliedstaaten alle wesentlichen Aspekte der inhaltlichen Ausgestaltung des Netzzugangs detailliert vorschreibt, wird das Subsidiaritätsprinzip unterlaufen. Nationale Besonderheiten (z.B. Versorgungsgrad und Netzstruktur) werden nicht berücksichtigt.
Es ergibt sich die Gefahr von Widersprüchen mit den jeweiligen nationalen Regelungen. Die hieraus resultierende rechtliche Unsicherheit sowie die permanent wechselnden gesetzlichen Vorgaben für die deutsche Gaswirtschaft wirken sich negativ auf das Investitionsklima und damit auf die Versorgungssicherheit aus.
- 4. Die "Guidelines for Good TPA Practice" des Madrid-Forums vom September 2003 legen unter anderem Leitlinien zur Sicherstellung von Nichtdiskriminierung und zur Förderung des grenzüberschreitenden Handels fest. Auf diese Leitlinien haben sich die Teilnehmer des Forums (Mitgliedstaaten, Regulierungsbehörden, Netzbetreiber) auf freiwilliger Basis geeinigt. Die Verordnung ist auch aus diesem Grund nicht notwendig. Darüber hinaus weicht der Verordnungsvorschlag bereits materiell von den Guidelines ab (z.B. in Bezug auf das Verfahren zum Engpassmanagement).
Der Vorschlag einer Netzzugangsverordnung verschafft der Kommission weit reichende Kompetenzen. Im Rahmen des vorgeschlagenen Komitologieverfahrens kann die Kommission ohne Einbeziehung von Ministerrat und Europäischem Parlament Festlegungen zu Einzelaspekten des Netzzugangs erlassen, die weit über die Regelungen des Madrid-Forums und der EU-Beschleunigungsrichtlinie hinausgehen. Eine Beteiligung der Mitgliedstaaten und der nationalen Entscheidungsgremien an der Regelung des Zugangs zu Fernleitungssystemen wird durch das Komitologieverfahren ausgeschlossen. Das Verfahren führt folglich langfristig zur Entstehung einer europäischen Regulierung, die die Mitgliedstaaten bereits in den Verhandlungen zur Beschleunigungsrichtlinie abgelehnt haben. Hier ist auch deutlich geworden, dass Umsetzungsspielräume bei den nationalen Gesetzgebungsorganen verbleiben sollen.
- 5. Die Beibehaltung der nationalen Regelungskompetenz hinsichtlich des Zugangs zum Fernleitungsnetz ist von essenzieller Bedeutung für die nationale Energiepolitik. Die Ausgestaltung der Netzzugangsregeln kann sich erheblich auf die Versorgungssituation des jeweiligen Mitgliedstaats auswirken. So ist beispielsweise für die Versorgungssituation der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich, ob die Netzzugangsregeln Transite begünstigen oder nicht.