Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 14. Juni 2006 angenommen.
Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 3348 - vom 6. Juli 2006.
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf den Vertrag über eine Verfassung für Europa,
- - unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. Januar 2005 zu dem Vertrag über eine Verfassung für Europa1,
- - unter Hinweis auf die Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom 18. Juni 2005 zur Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa, zum Abschluss der Tagung des Europäischen Rates vom 16. und 17. Juni 2005,
- - unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 15. und 16. Dezember 2005,
- - unter Hinweis auf seine Entschließung vom 19. Januar 2006 zur Reflexionsphase: Struktur, Themen und Kontext für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union2,
- - gestützt auf Artikel 108 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass in einigen Mitgliedstaaten eine konkrete Debatte über die Zukunft der Europäischen Union eingeleitet worden ist, an der sich sowohl die politischen Akteure als auch die Bürger beteiligen, wobei jedoch noch nicht überall in der Union eine umfassende Debatte eingeleitet worden ist, insbesondere nicht in all den Mitgliedstaaten, die den Verfassungsvertrag noch nicht ratifiziert haben,
B. in der Erwägung, dass die Organe der Europäischen Union einen Beitrag zu dieser Debatte leisten, indem sie Diskussionsforen - einschließlich Online-Foren - an ihren Arbeitsorten sowie an ausgewählten Orten in den Mitgliedstaaten veranstalten, wobei jedoch der gegenwärtige Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion noch keine breitere Öffentlichkeit in der Union erreicht hat,
C. in der Erwägung, dass am 8. und 9. Mai 2006 mit einer gemeinsamen Sitzung der Mitglieder des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten der Union die interparlamentarische Dimension dieser Debatte eröffnet wurde,
D. in der Erwägung, dass eine dringende Notwendigkeit besteht, dass diese Debatte die Bürger in sämtlichen Mitgliedstaaten erreicht, vor allem in denjenigen, die den Verfassungsvertrag noch nicht ratifiziert haben und vorher ein Referendum abhalten wollen,
E. in der Erwägung, dass am 9. Mai 2006 in Estland die Billigung des Verfassungsvertrags durch das Parlament erfolgte und dies hoffentlich in Kürze auch in Finnland erreicht werden wird,
F. in der Erwägung, dass damit die Zahl der Länder, die den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, auf 16 steigen würde, während zwei Länder wegen des negativen Ausgangs eines Referendums dazu nicht in der Lage sind und andere Länder zögern, den Ratifizierungsprozess einzuleiten oder fortzusetzen, mit dem Ergebnis, dass dieser Prozess inzwischen in den meisten der restlichen Mitgliedstaaten ins Stocken geraten ist,
- 1. bekräftigt sein Engagement, so schnell wie möglich eine konstitutionelle Lösung für die Europäische Union zu erreichen, sowie seine Unterstützung für den Vertrag über eine Verfassung für Europa;
- 2. warnt vor jedwedem Versuch, den im Verfassungsvertrag erzielten umfassenden Kompromiss aufzutrennen, da dies das politische Projekt Europa ernsthaft in Frage stellen und die Gefahr einer geschwächten und geteilten Union schaffen würde; bekräftigt daher seinen Widerstand gegen die stückweise Durchführung von Teilen der über die Verfassung erzielten globalen Einigung und seinen Widerstand gegen die sofortige Einsetzung einer Kerngruppe von Mitgliedstaaten, um auf diese Weise den Verfassungsprozess für die Union als Ganzes zu umgehen;
- 3. befürwortet andererseits diejenigen demokratischen Verbesserungen der institutionellen Verfahren, die im Rahmen der bestehenden EU-Verträge beschlossen werden können, beispielsweise Verbesserung der Transparenz im Ministerrat, Reform der Komitologieregelung, Nutzung der Überleitungsklausel für qualifizierte Mehrheitsbeschlüsse und die Mitentscheidung im Bereich Justiz und Inneres, Verbesserung der Kontrolle durch die nationalen Parlamente und Einführung einer Form der Bürgerinitiative;
- 4. fordert den Europäischen Rat auf, von der Reflexionsphase zu einer Analysephase, die sich bis Mitte 2007 erstreckt, überzugehen, um bis spätestens zur zweiten Jahreshälfte 2007 einen klaren Vorschlag dafür herbeizuführen, wie weiter mit dem Verfassungsvertrag zu verfahren ist;
- 5. fordert den Europäischen Rat auf, von jedem Mitgliedstaat klare Zusagen zu erreichen, was die von ihm vorgeschlagenen Mittel und Wege betrifft, um eine offene unionsweite und strukturierte Debatte über die entscheidenden Fragen der Zukunft Europas während der verlängerten Reflexionsphase in Gang zu setzen und voran zu treiben;
- 6. fordert die Kommission auf, ihren Plan D für die zweite Stufe der Reflexionsphase anzupassen und ausreichend Finanzmittel für die geplanten Aktivitäten bereitzustellen;
- 7. fordert den Europäischen Rat auf, die Mitgliedstaaten, die die Ratifizierungsverfahren noch nicht abgeschlossen haben, dazu anzuhalten, bis zum Ende der Reflexionsphase glaubwürdige Szenarien auszuarbeiten und darzulegen, wie sie weiter verfahren wollen;
- 8. regt an, dass der Europäische Rat einen geeigneten Rahmen entwickelt, damit - sobald es der politische Kalender gestattet - ein spezifischer Dialog mit den Vertretern der Länder stattfinden kann, in denen das Referendum über den Verfassungsvertrag einen negativen Ausgang hatte, um zu sondieren, ob und unter welchen Bedingungen es für sie möglich erscheinen würde, das Ratifizierungsverfahren wieder aufzunehmen;
- 9. fordert die Kommission auf, sich diesem Ansatz anzuschließen und dem Europäischen Rat einen "Fahrplan" für seine bestmögliche Umsetzung vorzulegen;
- 10. weist die Kommission darauf hin, dass eine Verfassungsordnung zur rechtsverbindlichen Verankerung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, zur Errichtung einer europäischen Demokratie wie auch für eine handlungsfähigere und sozialere Union unerlässlich ist;
- 11. fordert die Kommission auf, eine Studie über die Kosten auszuarbeiten, die dadurch entstehen, dass der Verfassungsvertrag nicht, wie ursprünglich gehofft, am 1. November 2006 in Kraft treten wird;
- 12. zieht aus den Debatten mit Mitgliedern der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten der Union, die am 8. und 9. Mai in Brüssel stattfanden, die folgenden Schlussfolgerungen:
- a) die Notwendigkeit einer Fortsetzung des Verfassungsprozesses der Europäischen Union, der in den Konzepten von Frieden und Solidarität sowie anderen gemeinsamen Werten verankert ist, ist bestätigt worden;
- b) es besteht kein Zweifel, dass die Mitgliedstaaten der Union nicht in der Lage sein werden, die großen politischen Herausforderungen für Europa allein zu bewältigen;
- c) es ist allgemein anerkannt, dass der Verfassungsvertrag der Europäischen Union einen geeigneten Rahmen für die Bewältigung dieser Herausforderungen bieten würde;
- d) es wird eine eingehendere Analyse erforderlich sein, damit im Jahr 2007 Vorschläge entwickelt werden können, die noch vor den nächsten Europawahlen zu einer Lösung führen sollten;
- e) der interparlamentarische Dialog über den Verfassungsprozess, in dem das Europäische Parlament und die Parlamente der Mitgliedstaaten Partner sind, ist von wesentlicher Bedeutung und muss fortgesetzt werden; begrüßt die Ankündigung des Sprechers des finnischen Parlaments, wonach im Dezember 2006 ein zweites parlamentarischen Forum abgehalten werden soll;
- f) verweist in diesem Zusammenhang auf seine eigenen Vorschläge, die Debatten in den parlamentarischen Foren so zu gestalten, dass ein intensiver und lebendiger Austausch stattfinden kann, der darauf abzielt, Übereinstimmung in den zentralen Fragen der Zukunft Europas und über die weitere Vorgehensweise zu erzielen;
- 13. bekräftigt seine Zielvorgabe, dass die erforderliche konstitutionelle Lösung vorliegen sollte, wenn die Bürger der Union im Jahre 2009 zur Teilnahme an den Europawahlen aufgerufen sind;
- 14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
1 ABl. C 247 E vom 6.10.2005, S. 88.
2 Angenommene Texte, P6_TA(2006)0027.