Niedersächsischer Ministerpräsident Hannover, 18. September 2019
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Niedersächsische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates für den umfassenden Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 981. Sitzung des Bundesrates am 11. Oktober 2019 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Weil
Entschließung des Bundesrates für den umfassenden Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat betont die zentrale Bedeutung von "grünem" Wasserstoff als Wegbereiter für die sektorübergreifende Umsetzung der Klimaschutzziele. Aus erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff bietet die Möglichkeit, die Defossilierung in Sektoren umzusetzen, die einer direkten Elektrifizierung aus technischen oder ökonomischen Gründen nur schwer zugänglich sind. "Grüner" Wasserstoff kann dafür direkt oder weiterverarbeitet in Form von synthetischem Gas (z.B. Methan) oder synthetischem flüssigen Kraftstoff (z.B. Methanol) genutzt werden. Als Bindeglied zwischen Strom- und Gassektor bietet "grüner" Wasserstoff zudem die Möglichkeit, künftig zwei Wege zum Transport von erneuerbaren Energien zu nutzen. Auf diese Weise kann das erhebliche volkswirtschaftliche Kapital der Gastransport- und Gasspeicherinfrastruktur effizient in den Wandel der Energieerzeugung eingebunden werden.
- 2. Der Bundesrat hebt hervor, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien auch vielfältige Chancen für den Wirtschafts- und Industriestandort bietet. "Grüner" Wasserstoff spielt dabei nicht nur für die Versorgung mit Energie und Kraftstoffen eine wichtige Rolle, sondern ist auch unabdingbar für die Vermeidung von Prozessemissionen im Bereich der Grundstoffindustrie. Aus Sicht des Bundesrates ist "grüner" Wasserstoff daher ein Schlüsselrohstoff für eine auf Wachstum und Klimaschutz ausgerichtete Industrie.
- 3. Vor diesem Hintergrund bekräftigt der Bundesrat seine Entschließungen vom 23.11.2018 (vgl. BR-Drs. 563/18(B) , Ziffer 3) sowie vom 15.02.2019 (BR-Drs. 013/19(B) , Teil B) zur Unterstützung der Herstellung und Nutzung von "grünem" Wasserstoff und zum Erfordernis einer bundesweiten Wasserstoffstrategie. Der Bundesrat begrüßt daher ausdrücklich die zwischenzeitliche Ankündigung der Bundesregierung, eine nationale Wasserstoffstrategie aufzulegen, und bittet die Bundesregierung, die Länder umfassend in diesen Prozess einzubinden. Zudem bittet der Bundesrat die Bundesregierung, vorhandene Wasserstoffstrategien der Länder bei der Erarbeitung der nationalen Wasserstoffstrategie zu berücksichtigen und wirksam zu unterstützen.
- 4. Der Bundesrat hält insbesondere die nachfolgenden Maßnahmen für den konsequenten Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien für notwendig und bittet die Bundesregierung:
- a. Von essentieller Bedeutung sind faire Marktchancen für "grünen" Wasserstoff. Die Wettbewerbsfähigkeit von "grünem" Wasserstoff ist über eine Reform der Steuern und Umlagen im Energiesektor gezielt und wirksam zu stärken. Hierbei ist ein rechtsverbindlicher Investitionsrahmen mindestens für den Zeitraum der Abschreibung der Anlagen erforderlich. Um darüber hinaus im erforderlichen Maße Kostendegressionen bei der Herstellung und Nutzung von Elektrolyse-Anlagen realisieren zu können, bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die für die Förderung von Reallaboren zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel deutlich auszuweiten.
- b. Die energie- und klimapolitisch angestrebte Zielsetzung, bis 2030 mindestens 65 Prozent der Stromversorgung über erneuerbare Energien zu decken, ist schnellstmöglich gesetzlich zu verankern und die zusätzlichen Bedarfe an regenerativem Strom für die Produktion von Wasserstoff unverzüglich über eine angemessene Ausweitung der jährlichen Kontingente für die Ausschreibung erneuerbarer Energien zu berücksichtigen.
- c. Vor dem Hintergrund des zusätzlichen Bedarfs an erneuerbaren Energien für die Herstellung von Wasserstoff stellt der Bundesrat fest, dass die Beschränkung des Windenergieausbaus an Land im sogenannten Netzausbaugebiet nicht zweckmäßig ist. Der Bundesrat bedauert zudem, dass die bisherige Regelung den Grundsatz "Nutzen statt Abregeln" nicht angemessen abbildet. Das Netzausbaugebiet ist daher künftig als Netzinnovationsgebiet zu definieren, in dem netzbezogene Innovationen wie die Kopplung der Strom- und Gasnetzinfrastruktur mithilfe von Elektrolyseuren ermöglicht werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zudem, unverzüglich eine Verordnung für eine technologieoffene Ausschreibung für zuschaltbare Lasten vorzulegen.
- d. Die Bundesregierung sollte sich für den Erhalt und Ausbau der vorhandenen Infrastruktur zum Transport und zur unterirdischen Speicherung von Wasserstoff sowie die Bereitstellung der Infrastruktur zum Import von "grünem" Wasserstoff über deutsche Häfen einsetzen.
- e. Es ist eine kontinuierlich ansteigende Beimischungsquote für "grünen" Wasserstoff und erneuerbares Methan in den Gasversorgungsnetzen festzulegen.
- f. Die regulatorischen Hindernisse aus dem Emissionshandel für die Produktion synthetischer Gase oder Flüssigtreibstoffe (wie Methan oder Methanol) aus "grünem" Wasserstoff und CO₂ sind zu beseitigen, bspw. mittels Anrechnung oder Gutschriften der Zertifikate im Rahmen des ETS.
- g. Für Raffinerien sind baldmöglichst die Voraussetzungen zu schaffen, um die Anrechnung von "grünem" Wasserstoff im Produktionsprozess zu ermöglichen und den sich aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) ergebenden Spielraum für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft zu nutzen.
- h. Die Förderprogramme für die Entwicklung und Nutzung alternativer, auf erneuerbaren Energien basierender Antriebe und klimaschonender Treibstoffe sowie emissionsarme Fahrzeuge sind zu verstetigen und aufzustocken.
- i. Die Bundesregierung sollte sich auf europäischer Ebene für einen Rechtsrahmen einsetzen, der den Einsatz von emissionsarmen Schwerlastfahrzeugen innerhalb der Mautsysteme erleichtert und unterstützt.
- j. Es ist ein Marktanreizprogramm für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft (beispielsweise für Investitionen in Brennstoffzellen und Elektrolyseure) zu entwickeln.
- 5. Der Bundesrat sieht große Potentiale für die Nutzung von "grünem" Wasserstoff im Schienenverkehr und hält dazu folgende Maßnahmen für notwendig:
- a. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass Strom zur Erzeugung von "grünem" Wasserstoff, der für den Betrieb von Schienenbahnen eingesetzt wird, hinsichtlich Steuern, Abgaben und Umlagen gleichbehandelt werden sollte wie Strom, der zum direkten Betrieb von elektrischen Schienenbahnen eingesetzt wird. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, insbesondere die Voraussetzungen für die Befreiung von Strom von der EEG-Umlage vorzusehen, der für die Erzeugung von "grünem" Wasserstoff zur Nutzung im Schienenverkehr eingesetzt wird.
- b. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es angemessener Rahmenbedingungen zum Aufbau der für den Schienenverkehr erforderlichen Wasserstoffinfrastruktur bedarf. Dies gilt insbesondere für Elektrolyseure zur Herstellung von "grünem" Wasserstoff zum Betrieb von Schienenfahrzeugen, für Verdichterstationen und für Tankstellen für brennstoffzellenbetriebene Schienenfahrzeuge. Außerdem ist die für den Schienenverkehr erforderliche Wasserstoffinfrastruktur als Teil der Bahninfrastruktur zu betrachten. Der Bundesrat sieht insoweit, ebenso wie bei der Infrastruktur für die Bahnstromversorgung, den Bund im Rahmen seiner Verantwortung für die Eisenbahnen des Bundes in der Pflicht.
- 6. Der Bundesrat sieht darüber hinaus die anstehende Weiterentwicklung des europäischen Gasmarktdesigns unter Berücksichtigung der zunehmenden Verzahnung der Sektoren, des Europäischen Emissionshandelssystems im Hinblick auf Carbon Capture and Utilization (CCU) sowie die Fortschreibung der europäischen Regeln für Beihilfen im Energie- und Umweltbereich als wichtige Chancen, um den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien effektiv zu unterstützen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, einen zentralen energiepolitischen Schwerpunkt der im Juli 2020 beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf die Handlungsbedarfe im Bereich "grüner Wasserstoff" zu legen.