Der Bundesrat hat in seiner 981. Sitzung am 11. Oktober 2019 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst
Anlage
Entschließung des Bundesrates: Klimaschutz in der Marktwirtschaft - Für ein gerechtes und effizientes System der Abgaben und Umlagen im Energiebereich
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass das bestehende System der staatlich induzierten Preisbestandteile klima- und innovationspolitische Fehlanreize setzt. Strom findet selbst zu Zeiten mit sehr hoher regenerativer Produktion häufig nicht den Weg in den Mobilitäts- und Wärmesektor, da er aufgrund staatlich induzierter Preisbestandteile im Wettbewerb mit fossilen Heiz- und Kraftstoffen benachteiligt ist. Das Zusammenwachsen der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität im Rahmen der Sektorkopplung erfordert eine konsistente Ausgestaltung der Abgaben und Umlagen auf die verschiedenen Energieträger.
- 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher um eine systematische Überprüfung der Abgaben und Umlagen im Energiesektor. Überprüft werden soll, wie durch Umlagen und Abgaben induzierte Wettbewerbsverzerrungen für den Bundeshaushalt aufkommensneutral abgebaut und ein fairer Wettbewerb der Technologien auch über die Sektorgrenzen hinaus ermöglicht werden kann.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass auch für Strom aus Erneuerbaren Energien, für den keine EEG-Vergütung in Anspruch genommen wird, derzeit grundsätzlich die volle EEG-Umlage und die Stromsteuer anfallen. Er bittet die Bundesregierung um Prüfung, wie angemessen zwischen EEG-gefördertem und nicht EEG-gefördertem Strom differenziert werden kann. Geprüft werden sollte dabei auch die Option, dass für diesen Strom eine angemessene Reduzierung bis hin zu einer Befreiung von der EEG-Umlage und der Stromsteuer erfolgt.
- 4. Der Bundesrat begrüßt die von Deutschland und Frankreich verabschiedete Erklärung von Meseberg vom 19. Juni 2018 und die darin vereinbarte vertiefte interministerielle Zusammenarbeit in Form einer bereits eingesetzten hochrangigen Arbeitsgruppe zu Klimafragen (sogenannte "Meseberger Klima-AG"), in deren Arbeitsprogramm die Entwicklung von Instrumenten zur Freisetzung nachhaltiger finanzieller und wirtschaftlicher Anreize wie eine CO₂-Bepreisung diskutiert werden sollen, als wichtige Maßnahme für ein abgestimmtes Vorgehen innerhalb Europas.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, aufbauend auf einer umfassenden Überprüfung Reformvorschläge vorzulegen mit dem Ziel, Entlastungen von der EEG-Umlage und/oder der Stromsteuer zu erreichen sowie zügig eine CO₂-Bepreisung unter Beachtung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und sozialpolitischer Belange einzuführen.
- 6. Die Reformen sollten grundsätzlich so ausgestaltet werden, dass Verbraucher in ihrer Gesamtheit nicht höher belastet werden und die soziale Verträglichkeit gewahrt wird. Zugleich sollen Wettbewerbsverzerrungen abgebaut und der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt werden, indem die Rahmensetzungen für Flexibilitäten und Sektorkopplung verbessert werden. Dadurch sollen volkswirtschaftlich effiziente und innovative Geschäftsmodelle für Energiewende und Klimaschutz in allen Sektoren ermöglicht und so auch Wirtschafts- und industriepolitische Potenziale mobilisiert werden.
- 7. Im Zusammenhang mit der umfassenden systematischen Überprüfung von Abgaben und Umlagen im Energiesektor sowie den daraus resultierenden Reformvorschlägen weist der Bundesrat, insbesondere vor dem Hintergrund der Eckpunkte zum Klimaschutzprogramm 2030, ausdrücklich darauf hin, dass die damit verbundenen finanziellen Lasten fair zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufzuteilen sind. Hierzu muss die Bundesregierung zunächst darlegen, in welchem Umfang sich aus dem geplanten Maßnahmenpaket im Einzelnen finanzielle Belastungen für die Haushalte von Ländern und Kommunen ergeben, sowie die Bereitschaft erklären, sich perspektivisch an den zu erwartenden finanziellen Mehrbelastungen angemessen zu beteiligen.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Prüfung, wie eine CO₂-Bepreisung in allen Sektoren verfassungs- und europarechtskonform umgesetzt werden kann und um eine Initiative zur Umsetzung ggf. erforderlicher Rechtsänderungen.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, unabhängig vom Einstieg in eine Reform des Systems der Abgaben und Umlagen im Energiesektor schnell regulatorische Voraussetzungen zu schaffen, um betriebswirtschaftlich tragfähige Nutzungen von ansonsten abgeregelten Strommengen zu ermöglichen. Dazu sollte das Instrument der "Zuschaltbaren Lasten" für alle dafür potenziell in Frage kommenden Technologien, insbesondere der Umwandlung von Strom in Wasserstoff (Powerto-Gas), angewendet und die Begrenzung auf 2 Gigawatt aufgehoben werden.
- 10. Der Bundesrat stellt fest, dass gerade bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern in der Praxis immer noch große Defizite bei der sinnvollen Nutzung von gesicherten Smart Metern, transparenten Verbrauchskontrollen und Steuerungseinrichtungen sowie energiemarktkonformen zeit- und lastvariablen Tarifen bestehen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verbessern.
- 11. Mit dem Clean Energy Package und insbesondere mit der novellierten Strombinnenmarktrichtlinie schafft die Europäische Union die rechtlichen Grundlagen dafür, dass auch Haushaltskunden durch eine aktive Marktteilnahme beispielsweise als Prosumer an den Entwicklungen der Energiewende teilhaben und davon profitieren können. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, frühzeitig die nationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen anzupassen und die entsprechenden Festlegungen im Sinne der Verbraucherinnen und Verbrauchern zu treffen.
- 12. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung weiter auf, für die Verbraucherinnen und Verbraucher Anreize für ein flexibles Verbrauchsverhalten durch eine Stärkung der Strompreissignale bei der Preisbildung vorzusehen. Diese Anreize können sowohl aus dem Bereich der Beschaffung als auch aus dem Bereich der Netzentgelte kommen.
Begründung:
Da das bestehende System der staatlich induzierten Preisbestandteile im Energiesektor klima- und innovationspolitische Fehlanreize setzt, ist eine aufkommensneutrale Reform dringend erforderlich. Sie sollte die Schaffung von energiewirtschaftlich sinnvollen Flexibilitätsoptionen anreizen und ökonomische Hemmnisse beseitigen, die einer systemstabilisierenden Sektorkopplung entgegenstehen.
Die Finanzierung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien sollte reformiert werden. Die Kosten der Technologieförderung und die Kosten für Privilegierungen sollten zukünftig nicht mehr allein von den Stromverbrauchern finanziert werden. So kann die EEG-Umlage spürbar gesenkt werden.
Den Einstieg in eine systematische und verursachergerechte CO₂-Bepreisung fordert auch ein breites Bündnis von Wissenschaftlern, Verbänden und Unternehmen, unter anderem der Bundesrechnungshof, die Monitoringkommission der Bundesregierung, der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, die Deutsche Energieagentur, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sowie ein Wissenschaftler-Bündnis und ein Bündnis international tätiger Unternehmen.
Derzeit wird auch für Strom aus Erneuerbaren Energien, für den keine EEG-Vergütung in Anspruch genommen wird, grundsätzlich die volle EEG-Umlage und die Stromsteuer fällig. Zukünftig sollte angemessen zwischen EEG-gefördertem und nicht EEG-gefördertem Strom differenziert werden.
Bei der CO₂-Bepreisung ist ein koordiniertes Vorgehen möglichst in der EU, mindestens aber mit Nachbarländern insbesondere im wettbewerbssensiblen Sektor der Stromerzeugung sinnvoll und erforderlich.
Eine Weiterentwicklung der Energiebesteuerung zu einem wirksamen Klimaschutzinstrument kann dadurch erfolgen, dass die Besteuerung der Energieträger an deren CO₂-Intensität orientiert wird. Dadurch würde die Energiesteuer Innovationsimpulse für emissionsarme und effiziente Technologien erzeugen und kann so auch wirtschafts- und industriepolitische Potenziale mobilisieren. Das zusätzliche Aufkommen kann zur Gegenfinanzierung des Mittelbedarfs für die Senkung der EEG-Umlage und für eine soziale Flankierung verwendet werden.
Rechtswissenschaftliche Expertisen kommen zu dem Ergebnis, dass eine CO₂-Orientierung der bestehenden Energiesteuer verfassungs- und europarechtlich grundsätzlich unproblematisch ist, wohingegen eine CO₂-Bepreisung der Einsatzstoffe in der Stromerzeugung im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Kernbrennstoffsteuer als finanzverfassungsrechtlich problematisch gilt.
Die erheblichen Summen, welche die Stromverbraucher für die sogenannten Einspeisemanagement-Maßnahmen zu schultern haben, schaden der Akzeptanz der Energiewende erheblich. Deswegen sollte man alle Möglichkeiten zur Reduktion dieser Belastungen nutzen.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind wichtige Akteure auf den Energiemärkten. Im Zuge der Energiewende müssen daher die Marktregeln und Marktmechanismen verbraucherfreundlich weiterentwickelt werden. Mit geeigneten Maßnahmen kann die Energiewende kosteneffizienter und verbraucherfreundlicher gestaltet und systembedingten Kostensteigerungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher aktiv entgegengewirkt werden. Unter anderem müssen die Regelungen mehr Flexibilität insbesondere auf der Nachfrageseite ermöglichen und die Grundlagen für neue flexiblere Produkte, zum Beispiel bei Smart-Home-Anwendungen, Smart Metern, Eigenverbrauchsoptimierung und der Marktintegration von Prosumern, schaffen. Für eine bessere Synchronisation der fluktuierenden erneuerbaren Stromerzeugung und dem Energieverbrauch können zeit- und lastvariable Tarife dienen, die ein flexibles Verhalten belohnen. Diese Anreize können sowohl aus dem Bereich der Beschaffung (EEX/Börsenpreise) als auch aus dem Bereich der Netzentgelte (Messung/Netzstabilität/Versorgungssicherheit) kommen.
Mit dem Legislativpaket "Winterpaket zur Energieunion (Clean Energy Package)", das 2018 angenommen wurde, hat die EU-Kommission weitreichende gesetzliche Vorgaben für den Verbraucherschutz und die Energieverbraucherrechte geschaffen, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen.