838. Sitzung des Bundesrates am 9. November 2007
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Agrarausschuss (A), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Wirtschaftsausschuss (Wi) und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung (Wo) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der EU, den Herausforderungen des Klimawandels umfassend zu begegnen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt daher die von der Kommission mit der Veröffentlichung des Grünbuchs angestoßene breit angelegte Diskussion über Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels und die Frage, auf welcher Ebene solche Maßnahmen am besten ergriffen werden sollten.
- (bei Annahme entfällt Ziffer 3)
- 3. Der Bundesrat begrüßt daher, dass mit dem Grünbuch nunmehr die Diskussion über mögliche Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel eröffnet wird, der auch dann eintreten wird, wenn die gesteckten Klimaschutzziele mit einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2 Grad Celsius erreicht werden.
- 4. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine schnelle und drastische Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen eine der vordringlichsten Aufgaben im Hinblick auf den Klimaschutz ist. Allerdings bedarf es angesichts der Tatsache, dass der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten ist, frühzeitiger und konkreter Planungen für Anpassungsstrategien an den Klimawandel.
- 5. Der Bundesrat teilt daher die Auffassung der Kommission, dass neben einer deutlichen Verringerung der Treibhausgas-Emissionen auch Maßnahmen formuliert werden sollen, die geeignet sind, sich den gegenwärtigen und künftigen Klimaänderungen anzupassen. Ziel ist, die damit verbundenen Konsequenzen für den Mensch, Umwelt und Wirtschaft abzumildern.
- 6. Die Erörterung von Anpassungsmaßnahmen ist geeignet, die bisherige Eindimensionalität der Diskussion, die ausschließlich auf CO₂-Einsparung ausgerichtet war aufzubrechen.
- 7. Zur Minimierung der Anpassungskosten ist es erforderlich, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen auf weniger als 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Stand zu halten. Der Bundesrat unterstützt die Beschlüsse des EU-Energiegipfels vom 8./9. März 2007 (vgl. BR-Drucksache 061/07(B) ) und des G-8-Gipfels vom 7. Juni 2007 in Heiligendamm. Nach Auffassung des Bundesrates sind insbesondere die notwendigen Wachstums- und Zukunftsprozesse so zu gestalten, dass Klimaschutz deren integraler Bestandteil ist und ein wesentliches Element der Wertschöpfung am Standort Deutschland darstellt. Dies wird nur gelingen, wenn die Umsetzung der Klimaschutzziele zugleich mit einer Wachstumsstrategie für die betroffene Wirtschaft verbunden wird.
- 8. Der Bundesrat begrüßt vor diesem Hintergrund die Initiative der Kommission für Anpassungsmaßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass frühzeitige und wissenschaftlich fundierte Maßnahmen diskutiert werden sollten, da ein bestimmtes Maß an Klimaänderung kaum aufzuhalten ist. Er stimmt der Einschätzung der Kommission zu, dass frühzeitiges Handeln wirtschaftliche Vorteile bringen wird, weil damit potenziellen Schäden vorgegriffen wird und Gefahren für die Ökosysteme, die menschliche Gesundheit, die wirtschaftliche Entwicklung und die Infrastrukturen verringert werden.
- 9. Nach Ansicht des Bundesrates müssen Anpassungsmaßnahmen auf globaler, europäischer nationaler aber auch auf regionaler und lokaler Ebene getroffen werden. Dabei sollte sich die Kommission darauf konzentrieren, rechtliche Regelungen und politische Strategien der EU an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen. Das Prinzip der Subsidiarität ist hierbei zu beachten.
- 10. Art und Umfang der erforderlichen konkreten Anpassungsmaßnahmen sind in vielen Politikbereichen nur unter Berücksichtigung der regionalen und örtlichen Besonderheiten ermittelbar. Dies betrifft auch Maßnahmen im Bereich der von der Kommission als Schlüsselthema bezeichneten Gebäude. Bei Vorgaben für ordnungsrechtliche Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten ist auf eine ausreichende Differenzierbarkeit zu achten sowie auf Bemühungen der Mitgliedstaaten um Deregulierung, Entbürokratisierung und die Vereinfachung von Verfahrensabläufen.
- 11. Bei den weiteren Arbeiten der Kommission, etwa der geplanten Mitteilung über die Anpassung an den Klimawandel und die Weiterentwicklung anderer Politikbereiche der Gemeinschaft oder der Überarbeitung energetischer Vorgaben für Gebäude, ist besonderes Augenmerk auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu legen, da der prognostizierte Klimawandel die Mitgliedstaaten in sehr unterschiedlichem Grad und sehr unterschiedlicher Ausprägung treffen wird.
- 12. Der Bundesrat weist darauf hin, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels innerhalb Europas auch regional sehr unterschiedlich ausprägen werden. Der Bundesrat ist daher der Auffassung, dass die Bewertung möglicher regionaler Folgen des Klimawandels auf Ebene der Mitgliedstaaten, der Regionen und der Kommunen erfolgen muss.
- 13. Der Bundesrat merkt an, dass die ausgeprägte regionale Unterschiedlichkeit der natürlichen Gegebenheiten regional differenzierte Maßnahmen erfordert, deren Bestimmung und Durchführung unter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität den Mitgliedstaaten überlassen werden sollten.
- 14. Die regional unterschiedlichen Auswirkungen bedürfen Konzepte, welche die lokalen und regionalen Gegebenheiten und Entwicklungsperspektiven beachten.
- 15. Die Kommission sollte zusammen mit den Mitgliedstaaten die Problemfelder identifizieren auf denen Maßnahmen der EU die nationalen Anpassungsstrategien und ihre Implementierung auf regionaler und lokaler Ebene am besten unterstützen können.
- 16. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission über ein, dass der Klimawandel erhebliche Auswirkungen auf die Land- und Forstwirtschaft haben wird.
- (bei Annahme entfällt Ziffer 17)
- 17. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Land- und Forstwirtschaft vom Klimawandel in vielfältiger Weise betroffen ist.
- 18. So ändern sich voraussichtlich die natürlichen Rahmenbedingungen für den landwirtschaftlichen Pflanzenbau, für forstlich bedeutsame Baumarten, beim Pflanzen- und Waldschutz, in der Tierhaltung sowie bei der Bekämpfung von Tierseuchen. Die damit verbundenen erheblichen landeskulturellen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen machen Anpassungsstrategien nötig die über den Sektor hinaus auch einen Beitrag von Staat und Gesellschaft erfordern.
- 19. Der Bundesrat unterstützt in diesem Zusammenhang die Schlussfolgerung, dass zukünftig die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU verstärkt diesen neuen Anforderungen angepasst werden muss.
- 20. Hierbei sollten die Ziele der Nahrungsmittelerzeugung, des Naturschutzes und der Energieerzeugung in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander verfolgt werden.
- 21. Der Bundesrat stellt fest, dass die Land- und Forstwirtschaft bereits heute einen aktiven Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen durch die Speicherung von Kohlenstoff sowie die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen und Energieträgern leistet. Durch Erhöhung des Anteils an Biomasse zur stofflichen und energetischen Verwertung, insbesondere auch durch stärkere Verwendung von Holz beim Bauen, ließe sich der Beitrag des Sektors zum Klimaschutz noch erheblich steigern.
- 22. Der Bundesrat begrüßt, dass nunmehr auch Nutzungskonflikte thematisiert werden die zwischen dem Anbau von Nahrungsmitteln und dem Anbau von Biomasse zur energetischen Nutzung bestehen.
- 23. Der Bundesrat betrachtet die Intensivierung der Forschung und Entwicklung neuer Methoden, Techniken und Verfahren als wesentliche Voraussetzung für einen noch effektiveren Beitrag der Land- und Forstwirtschaft, um sowohl die Treibhausgas-Emissionen aus diesem Sektor weiter zu reduzieren, als auch die Bereitstellung von nachwachsenden Rohstoffen zur stofflichen und energetischen Verwertung zu erhöhen sowie einen Beitrag zur Steigerung der Kohlenstoffbindung und -speicherung zu leisten.
- 24. Darüber hinaus sollten auch mögliche Auswirkungen betrachtet werden, die aus der Umwidmung bislang extensiv oder agrarisch nicht genutzter Flächen (Brachen, Regenwälder) entstehen, die durch Anreize zur Energiegewinnung aus Biomasse ausgelöst wird.
- 25. Der Bundesrat sieht in der Abschaffung der obligatorischen Flächenstilllegung in der EU und der Rückführung dieser landwirtschaftlichen Flächen in die Nutzung einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung der landwirtschaftlichen Produktion, zum Abbau bürokratischer Hemmnisse und zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen.
- 26. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den künftigen Anpassungen der GAP- insbesondere im Rahmen des "Health-Checks" - bei den Verhandlungen auf EU-Ebene darauf zu achten, dass es zu keiner Ausweitung der Modulation - auch nicht im Hinblick auf die Anpassung an den Klimawandel - kommt.
- 27. Die Betonung eines nachhaltigen Bewirtschaftungs- und Nachfragemanagements für Wasser wird begrüßt. Dies macht deutlich, dass die öffentliche Hand eine maßgebliche Rolle in diesem Bereich spielen muss. Die Verknappung der lebensnotwendigen Ressource Wasser darf nicht über Marktgesetze zu existenzbedrohenden Folgen in der Versorgung führen. Eine Liberalisierung des Wassermarkts wäre daher der falsche Weg.
- 28. Da Maßnahmen zur Klimaanpassung, wie z.B. im Hochwasserschutz, oft grenzüberschreitend vorgenommen werden müssen, sind entsprechende Kooperationen, wie sie z.B. in der Richtlinie zur Bewertung und zum Management von Hochwasserrisiken verbindlich vorgesehen sind, zu fördern. Die Kommission kann dies durch Förderung von Projekten sowie durch die Organisation von europaweiten Netzwerken zum Erfahrungsaustausch unterstützen.
- 29. Als Bereich mit hoher Priorität in der Forschung sieht der Bundesrat die Entwicklung umfassender und integrierter Methodiken für die Abschätzung und Bewertung von Klimafolgen, von Verwundbarkeiten und der Kostenwirksamkeit von Anpassungsmaßnahmen an. Hiermit verbunden ist die Forschung zur Verbesserung der Risikobewertung, der Entwicklung von Indikatoren zur Messung des Erfolges von Anpassungsmaßnahmen sowie der Kosten-Nutzen-Analyse von Anpassungsmaßnahmen im Vergleich zur "no action"-Option.
- 30. Die Vermittlung des vorhandenen Wissens und dessen praktischer Anwendung sollte ein weiterer Schwerpunkt sein. Insofern kommt der wissenschaftlich fundierten Sensibilisierung der Öffentlichkeit, dem Informations- und Erfahrungsaustausch zu praktischen Anpassungsprozessen sowie zu erfolgreichen Anpassungsprojekten Vorrang zu. Dabei kommt es nach Auffassung des Bundesrates über die Beteiligung von Interessengruppen auf europäischer Ebene hinaus vor allem darauf an, für die Menschen in Europa erlebbar zu vermitteln, dass - neben der prioritären drastischen Verringerung des Treibhausgasausstoßes - eine Anpassung an den Klimawandel erforderlich und auch möglich ist.
- 31. Die Anpassung an den Klimawandel betrifft in erheblichem Umfang auch die Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene. Die Bundesregierung wird daher gebeten sich gegenüber der Kommission dafür einzusetzen, bei der Konsultation von Interessengruppen (Abschnitt 5.4, S. 28 des Grünbuchs) die kommunalen Spitzenverbände einzubeziehen.
- 32. Der Bundesrat sieht mit großem Interesse dem für 2009 angekündigten Bericht über Auswirkungen des Klimawandels auf die Politikbereiche der Gemeinschaft entgegen. Der Bundesrat erwartet, dass die Kommission in diesem Bericht konkret darstellt, in welchen Bereichen sie Rechtsetzungsvorschläge erwägt und welche Zielrichtung diese Vorschläge haben sollen. Dieser Bericht sollte auch eine Diskussion und Bewertung bestehender Zielkonflikte zwischen der Anpassung an den Klimawandel und Zielen wie z.B. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Entbürokratisierung sowie besserem regionalen und sozialen Zusammenhalt enthalten.
B
- 33. Der Ausschuss für Kulturfragen und der Verkehrsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.