COM (2018) 212 final; Ratsdok. 8175/18
Der Bundesrat hat in seiner 969. Sitzung am 6. Juli 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Verordnungsvorschlag in der vorliegenden Form nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Artikel 5 Absatz 4 EUV entspricht. Er beinhaltet eine Auslaufregelung in Artikel 5, nach der Personalausweise, die den Anforderungen des Artikels 3 nicht entsprechen, ihre Gültigkeit mit Ablauf ihrer Gültigkeit oder fünf Jahre nach dem Geltungsbeginn der vorgeschlagenen Verordnung verlieren - je nachdem, welcher Zeitpunkt früher eintritt.
Nach Artikel 3 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags sind die Personalausweise mit einem einen hohen Sicherheitsstandard erfüllenden Speichermedium zu versehen, das ein Gesichtsbild des Personalausweisinhabers und zwei Fingerabdrücke in interoperablen Formaten enthält.
Nach Artikel 5 Absatz 4 EUV dürfen Maßnahmen der EU inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen. Sie müssen insbesondere erforderlich und angemessen sein. Diesen Anforderungen genügt die Auslaufregelung in Artikel 5 des Verordnungsvorschlags nicht.
- 2. Die Auslaufregelung in Artikel 5 des Verordnungsvorschlags ist in Bezug auf die Anforderungen nach Artikel 3 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags nicht erforderlich, um die in Erwägungsgrund 1 genannte Freizügigkeit unter gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit der Unionsbürger durch den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nach Maßgabe der Bestimmungen des AEUV zu fördern. Unter Inanspruchnahme des Artikels 21 AEUV als Rechtsgrundlage für die vorgeschlagene Verordnung wird unter Nummer 2 der Begründung des Verordnungsvorschlags ausgeführt, dass das Ziel des Vorschlags sei, die nationalen Personalausweise und Aufenthaltsdokumente durch verbesserte Sicherheitsmerkmale sicherer zu gestalten und somit die Ausübung der Freizügigkeitsrechte in einem sichereren Umfeld zu ermöglichen. In Erwägungsgrund 3 heißt es, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 der Richtlinie 2004/38/EG ihren Staatsangehörigen gemäß den nationalen Rechtsvorschriften Personalausweise oder Reisepässe ausstellen und diese Dokumente verlängern. Der Erwägungsgrund 6 enthält die Erklärung, dass die vorgeschlagene Verordnung die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Personalausweise oder Aufenthaltsdokumente einzuführen, wenn diese nach nationalem Recht nicht vorgesehen seien. Wenn aber eine solche Verpflichtung nicht vorgesehen wird, dann ist es nicht erforderlich, in die nationale Regelung der Gültigkeitsdauer von bereits ausgestellten Personalausweisen, die keine Fingerabdrücke enthalten, einzugreifen. Dieser Eingriff führt auf der Ebene der EU zu keinem beachtenswerten Mehrwert für die oben genannten Ziele des Verordnungsvorschlags, da in anderen Mitgliedstaaten keine vergleichbaren sicheren Ausweisdokumente existieren und im Verhältnis dazu der Anteil von Personalausweisen ohne Fingerabdrücke, die vor Geltungsbeginn der Verordnung ausgestellt wurden und nach Ablauf ihrer zehnjährigen Gültigkeitsdauer ungültig werden, für den Aufbau der Sicherheitsunion vernachlässigt werden kann, zumal auch diese Personalausweise hinreichend sicher sind. Es sind Personalausweise, die von den Mitgliedstaaten im ID-1-Format hergestellt wurden (in Deutschland seit November 2010) und den im ICAO-Dokument 9303 (7. Auflage, 2015) festgelegten Mindestsicherheitsnormen entsprechen. Die Dauer ihrer Gültigkeit steht den Zielen der vorgeschlagenen Verordnung, die Sicherheit von Reise- und Identitätsdokumenten für die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität sowie für den Aufbau einer echten Sicherheitsunion zu gewährleisten, in keinem nennenswerten Ausmaß entgegen.
Für die Realisierung der Ziele des Verordnungsvorschlags ist es ausreichend, wenn bereits ausgestellte Personalausweise bis zum Ablaufdatum ihre Gültigkeit behalten, ein neuer Personalausweis im Sinne des Verordnungsvorschlags aber vor Ablauf der Gültigkeit eines Personalausweises vorzeitig beantragt werden kann. Bei der Einführung des elektronischen Personalausweises mit dem biometrischen Lichtbild in Scheckkartenformat war dies bereits in der Bundesrepublik Deutschland so praktiziert worden.
- 3. Artikel 5 des Verordnungsvorschlags ist nicht angemessen, weil die Regelung gegen das Verbot der echten Rückwirkung verstößt. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber - hier die EU - rückwirkend in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt (ausgestellter Personalausweis für zehn Jahre ohne Fingerabdrücke) eingreift, die Rechtsfolgen der Verordnung also für einen vor der Verkündung beendeten Tatbestand gelten sollen. Dies wäre nur zulässig, wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls für die Regelung der vorgeschlagenen Verordnung eingreifen, was vorliegend aber nicht bejaht werden kann. In der Begründung zu dem Vorschlag der Verordnung wird angegeben, dass die Gewährleistung der Sicherheit von Reise- und Identitätsdokumenten von maßgeblicher Bedeutung für die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität sowie für den Aufbau einer echten Sicherheitsunion sei. Dafür ist aber die Auslaufregelung mit nur fünf Jahren - wie unter Nummer 2 ausgeführt - nicht zwingend. Ausreichend und angemessen ist eine Neuausstellung nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des alten Personalausweises. Nicht nur für die Vermeidung von Kosten für die Neuausstellung, sondern auch für die Verwaltungsabläufe in den Personalausweisbehörden ist es sinnvoll, dass nicht auf einen Tag genau (Stichtag) alle Personalausweise ohne Fingerabdrücke mit einer (Rest-)Gültigkeitsdauer von mehr als fünf Jahren genau fünf Jahre nach Gültigkeitsbeginn der vorgeschlagenen Verordnung ungültig sind.
- 4. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.