Der Bundesrat hat in seiner 910. Sitzung am 7. Juni 2013 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass eine leistungsfähige Justiz eine wichtige Grundvoraussetzung für Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit und damit auch Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit darstellt. Insbesondere kann ein Mangel an Qualität, Unabhängigkeit und Effizienz das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in die Justiz beeinträchtigen und negative Standortentscheidungen nach sich ziehen.
- 2. Der Bundesrat betont, dass die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze in allen Mitgliedstaaten das gemeinsame Wertefundament der Union bildet. Die Justizsysteme der Mitgliedstaaten müssen zu jedem Zeitpunkt nach dem Beitritt zur Union dem gemeinsamen in Artikel 2 EUV niedergelegten Wertekanon entsprechen. Zeigen sich Defizite im Bereich der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte, müssen die Organe der Union zu deren Behebung tätig werden. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass zur Vorbereitung und ggf. Rechtfertigung entsprechender Maßnahmen eine regelmäßige, grundsätzlich anlassunabhängige Erhebung von Daten auch über den Justizbereich hilfreich sein kann.
- 3. Der Bundesrat hat aber Bedenken, ob das Vorhaben des EU-Justizbarometers die Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten achtet. Für die Organisation ihrer Justizsysteme sind ausschließlich die Mitgliedstaaten zuständig. Diese Zuständigkeit schließt die Aufgabe der regelmäßigen Evaluation der Justizsysteme mit dem Ziel der stetigen Verbesserung mit ein.
Dennoch teilt der Bundesrat die Einschätzung der Kommission, wonach sich die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten umso reibungsloser gestaltet, je effektiver die nationalen Justizsysteme funktionieren. Es obliegt der Union, eine justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen zu entwickeln (Artikel 81 Absatz 1 AEUV), ferner die Durchführung der im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beschlossenen Unionspolitik zu evaluieren (Artikel 70 AEUV).
Zu diskutieren ist, ob insbesondere die Kompetenz der Durchführungsevaluierung in Artikel 70 AEUV auch die Bewertung, Überwachung oder Koordinierung der nationalen Justizsysteme auf europäischer Ebene umfassen könnte, zudem unabhängig von grenzüberschreitenden Aspekten und ohne die Beschränkung auf die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen.
Vor diesem Hintergrund begrüßt der Bundesrat den Vorschlag der Kommission zu einem offenen Dialog und einer konstruktiven Zusammenarbeit, insbesondere die für den 21./22. November 2013 angekündigte Konferenz "Assises de la justice", und geht davon aus, dass erst danach weitere Schritte unternommen werden.
- 4. Nach Ansicht des Bundesrates erscheint es nicht naheliegend, die nach Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 5 Absatz 1 AEUV vorgesehene Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten auf die nationalen Justizsysteme zu erstrecken. Er stimmt mit der Kommission zwar darin überein, dass die Ausgestaltung der nationalen Justizsysteme auf einen Wirtschaftsstandort ausstrahlt. Die von der Kommission gezogene Schlussfolgerung, wonach die Justiz Teil der Wirtschaftspolitik ist, vermag der Bundesrat aber nicht zu teilen. Der Stellenwert der dritten Gewalt und ihre Unabhängigkeit weisen über ihre Bedeutung für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und Wachstum weit hinaus. Der Bundesrat hält daher eine Einbeziehung des EU-Justizbarometers in die Instrumente der wirtschaftspolitischen Koordination wie dem Europäischen Semester systematisch für nicht gerechtfertigt.
- 5. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission für das EU-Justizbarometer auf CEPEJ-Datenmaterial zurückgegriffen hat. Diese Erhebungen konzentrieren sich auf statistische Effizienz-Parameter, deren unkommentierte Übernahme kritisch zu hinterfragen ist. Die - in der Unterschiedlichkeit der einzelnen Justizsysteme begründete - fehlende Vergleichbarkeit der Daten, die von der Kommission selbst eingeräumt wird, sowie der Erhebungszeitraum der CEPEJ-Daten alle zwei Jahre sind nach seiner Ansicht weitere wichtige Gründe, das EU-Justizbarometer nicht in den jährlichen Prozess der wirtschaftspolitischen Koordination wie dem Europäischen Semester einzubeziehen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, seine Position bei den Verhandlungen im Rat über die künftige Ausgestaltung des EU-Justizbarometers zu berücksichtigen. Nach Ansicht des Bundesrates sollte das Augenmerk darauf gerichtet werden, die beabsichtigte Verknüpfung der Instrumente der wirtschaftspolitischen Steuerung und Überwachung der Haushaltspolitik mit dem EU-Justizbarometer aus den oben dargelegten Gründen zu lösen. Auch sollte darauf geachtet werden, dass aus dem EU-Justizbarometer keine zusätzlichen Belastungen für die Justiz erwachsen.
- 7. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.