Antrag des Landes Berlin
Entschließung des Bundesrates zur gesetzlichen Verankerung des Informantenschutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bürgerlichen Gesetzbuch

Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, den 6. September 2011

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
der Senat von Berlin hat beschlossen, die in der Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur gesetzlichen Verankerung des Informantenschutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bürgerlichen Gesetzbuch dem Bundesrat zuzuleiten.

Ich bitte Sie, gemäß § 36 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates die Beratung in den Ausschüssen zu veranlassen.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wowereit

Entschließung des Bundesrates zur gesetzlichen Verankerung des Informantenschutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bürgerlichen Gesetzbuch

Der Bundesrat möge beschließen:

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf einzubringen, mit dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch eigene Hinweise oder Unterstützungshandlungen auf die betriebliche Verletzung gesetzlicher Pflichten aufmerksam machen, vor eventuellen unverhältnismäßigen Maßregelungen seitens der Arbeitgeber geschützt werden. Dafür sind klare und eindeutige Regelungen im Bereich des Informantenschutzes notwendig. Denn die bis dato bestehende gesetzliche Regelungslücke und die zu dieser Thematik ergangenen zum Teil divergierenden Rechtsprechungsentscheidungen führen zu einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zugleich sollte durch den Gesetzentwurf auch gefördert werden, dass berechtigte Hinweise auf vorliegende Unzulänglichkeiten nicht als Diffamierung oder Denunziantentum, sondern als notwendiger und schützenswerter Beitrag zur Beseitigung gesetzeswidriger Zustände anzusehen sind.

Der Gesetzentwurf soll sich an folgenden Eckpunkten orientieren:

In § 612a BGB sind nachstehende Arbeitnehmerrechte gesetzlich festzuschreiben:

Das bisher in § 612a BGB geregelte allgemeine Maßregelungsverbot soll als § 612b BGB - neu - weiter gelten.

Begründung:

Über das derzeit geltende allgemeine Maßregelungsverbot des § 612a BGB ("Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt") hinaus gibt es gegenwärtig keinen gesetzlich ausdrücklich verankerten Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich zur Beseitigung von gesetzeswidrigen innerbetrieblichen Zuständen durch Hinweise oder sonstige unterstützende Handlungen an außerbetriebliche Stellen, z.B. zuständige Ordnungs- oder Strafverfolgungsbehörden, wenden. Ein verbindliches System, in welcher Weise und unter welchen Umständen zunächst auf eine innerbetriebliche Abhilfe hinzuwirken ist und unter welchen Voraussetzungen eine außerbetriebliche Anzeige von Missständen sachgerecht ist, ohne dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dadurch Sanktionen oder sonstigen Nachteilen ausgesetzt sein dürfen, existiert bisher nicht. Es ist daher für die Betroffenen nicht erkennbar, inwieweit Hinweise der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf innerbetriebliche Missstände eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung darstellen.

Lebensmittelskandale, aber auch Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch unerlaubte Videoüberwachung und nur unzureichende Standards in Pflegeeinrichtungen haben gezeigt, dass es häufig der Mitwirkung der Betroffenen bedarf, derartige Missstände aufzudecken und abzustellen.

Die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen gerichtlichen Entscheidungen liefern keine sichere Rechtsgrundlage für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie deren Arbeitgeber. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2001 (1 BvR 2049/00) festgestellt, die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren könne - soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden - im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Juli 2003 (2 AZR 235/06) jedoch darauf abgestellt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob eine Anzeige nicht doch Grund für eine fristlose Kündigung sein könne, zu berücksichtigen sei, ob nicht auch andere Motive des Beschäftigten, etwa eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers vorgelegen habe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nunmehr am 21. Juli 2011 in dem Rechtsstreit einer in einer Berliner Pflegeeinrichtung tätigen Arbeitnehmerin, die nach einer erfolgten Strafanzeige fristlos entlassen worden war, entschieden, dass in diesem Einzelfall eine Verletzung von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgelegen habe, insbesondere weil das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der institutionellen Altenpflege in einem staatlichen Unternehmen so wichtig seien, dass es gegenüber dem Interesse dieses Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen überwiege. Die zuvor mit dem Sachverhalt befassten deutschen Gerichte hatten den Sachverhalt unterschiedlich beurteilt.

Zur Herstellung eines klaren gesetzlichen Handlungsrahmens ist eine Änderung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches erforderlich. Es sollte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich werden, dass diese das Recht haben, sich repressionslos bei Ihrem Arbeitgeber über gesetzeswidrige Zustände, das heißt Straftaten und auch Ordnungswidrigkeiten, im Betrieb zu beschweren und bei Nichtabhilfe durch den Arbeitgeber eine außerbetriebliche Stelle zu informieren. Darüber hinaus bedarf es eines klaren gesetzlichen Regelungsrahmens für die Fälle, in denen ausnahmsweise eine vorherige innerbetriebliche Beschwerde nicht zumutbar erscheint.

Durch die Weitergeltung des allgemeinen Maßregelungsverbotes als § 612b BGB - neu - ist gesichert, dass die Inanspruchnahme des Anzeigerechts nicht zu arbeitgeberseitigen Sanktionen führen dürfen und insb. maßregelnde Kündigungen, Versetzungen, der Verlust von Positionen, Funktionen oder Bezügen unzulässig sind.