Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) - Reformvorschläge für den Zuckersektor KOM (2004) 499 endg.; Ratsdok. 11491/04
Der Bundesrat hat in seiner 803. Sitzung am 24. September 2004 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Die Kommission hat dem Rat und dem Europäischen Parlament die Mitteilung zur "Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) - Reformvorschläge für den Zuckersektor" mit folgenden Eckpunkten vorgelegt:
- - Beginn der Reform am 1. Juli 2005, also ein Jahr früher als bisher festgeschrieben.
- - Kürzung des Zuckerrübenmindestpreises bis zum Wirtschaftsjahr 2007/2008 um 37 %.
- - Reduzierung der Zuckerquoten bis zur Kampagne 2008/2009 um 2,8 Mio. Tonnen.
- - Ausgleich von 60 % der Einkommenseinbußen der Rübenerzeuger.
- - Handelbarkeit von Quoten zwischen den Mitgliedstaaten.
- - Keine Mengenbegrenzung von Zucker, der zur Herstellung von Bioethanol und Ähnlichem verwendet wird.
- - Senkung des Garantiepreises für Rohzucker aus den AKP- und LDC-Staaten. Umwandlung der derzeit unbegrenzten zollfreien Zuckereinfuhren aus Westbalkanländern in Zollkontingente auf der derzeitigen Lieferhöhe.
- 2. Der Vorschlag der Kommission stellt die deutsche Landwirtschaft sowie die Zuckerwirtschaft vor größte Anpassungsprobleme und gefährdet eine große Zahl von Arbeitsplätzen besonders im ländlichen Raum. Dabei ist auf Folgendes besonders hinzuweisen :
- - Vorleistungen der europäischen Zuckerrübenanbauer sowie der Zuckerwirtschaft, die im Vorgriff auf die Konkretisierung der Rahmenbedingungen auf Grund der WTO-Verhandlungen und des Zucker-Panels erbracht wurden, sind bei den Vorschlägen weitgehend außer Acht geblieben.
- - Durch die in den Reformvorschlägen vorgesehenen Preis- und Quotenkürzungen ergeben sich massive Auswirkungen auf die Einkommen der Landwirte und die Strukturen im ländlichen Raum. Viele Zuckerrübenanbaubetriebe werden zur Einkommenssicherung ein zweites Einkommensstandbein entwickeln müssen. Vielfach sind entsprechende außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze zumindest kurzfristig nicht verfügbar.
- - Das Wegbrechen dieser Betriebe hätte nachteilige Auswirkungen auf die Strukturen im vor- und nachgelagerten Dienstleistungs- und Handelsbereich. Die Folge wäre eine wirtschaftliche Schwächung des ländlichen Raums. Die Schließung von Fabriken hat in der Regel die Einschränkung oder die gänzliche Einstellung des Rübenanbaus in der Region zur Folge.
- - Der von der Kommission vorgesehene Finanzausgleich ersetzt die Erlöseinbußen nur zu einem Teil und lässt den resultierenden Wertverlust der Unternehmen außer Acht. Da zumindest die ursprünglich genossenschaftlich ausgerichteten Unternehmen in erheblichem Maß aus bäuerlichem Kapital finanziert sind, werden die Landwirte insoweit doppelt belastet. Zudem besteht die Gefahr, dass die Rohstoffversorgung für einen wirtschaftlichen Betrieb vieler Zuckerfabriken dann nicht mehr gewährleistet werden kann, was weitere Schließungen zur Folge hätte.
- - Eine Anpassung der Anbauplanung auf Grund der geänderten Bedingungen bereits zum l. Juli 2005 ist nicht mehr möglich. Die Fruchtfolge bzw. das Flächenmanagement in den Betrieben ist bereits weitgehend festgelegt, das Ausweichen auf Alternativfrüchte ist damit nur noch sehr bedingt möglich.
- - Durch die Anpassung der Fabrikkapazitäten ist eine Verlängerung der Rübenkampagne über den Spätherbst hinaus zu erwarten mit erheblichem Investitionsbedarf bei den Landwirten für eine frostgeschützte Lagerung. Angesichts der mit den Vorschlägen verbundenen Preiseinbrüche wäre dies nicht leistbar.
- - Der Übergangszeitraum ist auch für die Zuckerfabriken zu kurz. Die Anpassung der Fabrikkapazitäten an ein verändertes Mengengerüst erfordert sehr viel mehr Zeit, als in der Mitteilung vorgesehen ist.
- - Die Zusammenführung von Verarbeitungskapazitäten auf weniger Fabrikstandorte stößt wegen zunehmender Transportentfernungen an logistische und wirtschaftliche Grenzen; außerdem entstehen dadurch erhebliche Verkehrs- und Umwelteinwirkungen.
- - Es ist zu befürchten, dass sich ohne Mengenbegrenzung der Zuckerimportmöglichkeiten für die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) der Gleichgewichtspreis erst auf weit niedrigerem Niveau als von der Kommission angenommen einstellen wird. Dieses Risiko wird noch verstärkt durch die weit über der derzeitigen Erzeugung liegende dem Balkan zugestandene Importquote.
- 3. Der Bundesrat verweist auf den Beschluss vom 13. Februar 2004 (BR-Drucksache 844/03(Beschluss) ) zu der Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat und das Europäische Parlament: Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der GAP - Tabak, Olivenöl, Baumwolle und Zucker (KOM (2003) 554 endg.; Ratsdok. 12965/03) und auf seine Entschließung in BR-Drucksache 266/03(Beschluss) zu den laufenden WTO-Verhandlungen im Agrarbereich. Er bittet die Bundesregierung, bei den laufenden Beratungen auf EU-Ebene zu den vorliegenden Reformvorschlägen für den Zuckersektor auf die Berücksichtigung und Einhaltung folgender zentraler Anliegen zu drängen:
- - Der Bundesrat erkennt an, dass angesichts geänderter Rahmenbedingungen auch Anpassungen der Regelungen in der Zuckermarktordnung erforderlich sind. Er lehnt jedoch Vorleistungen im Vorgriff auf die Konkretisierung der Rahmenbedingungen auf Grund der WTO-Verhandlungen und des Zucker-Panels ab. Die EU sollte aufgefordert werden, sich für den Erhalt des AKP-Reexports einzusetzen und gegebenenfalls Regelungen zu entwickeln, die nicht zu weiteren Quotenkürzungen führen.
- - Der Bundesrat sieht die Beratungen des WTO-Zucker-Panels mit Sorge. Für den Fall eines negativen Ergebnisses bittet der Bundesrat die Bundesregierung, mit allem Nachdruck darauf hinzuwirken, dass die EU dagegen alle verfügbaren, insbesondere rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft.
- - Die Erhaltung wichtiger Instrumente der EU-Zuckermarktordnung wie
- - - Absicherung eines ausreichenden Binnenmarktpreises für Zuckerrüben und Zucker,
- - - Außenschutz und
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- - - Quoten für die Zucker-, Isoglukose- und Inulinproduktion wird grundsätzlich begrüßt. Bei der Ausgestaltung der Instrumente ist zwingend darauf zu achten, dass diese die gleiche Wirksamkeit entfalten wie das bisherige Marktordnungssystem.
- - Der Bundesrat wendet sich jedoch mit allem Nachdruck gegen die Höhe der angestrebten Preissenkungen und Quotenkürzungen sowie die Dimension der angestrebten Verminderung des Außenschutzes. Eventuell unvermeidliche Preissenkungen und Quotenkürzungen müssen in möglichst gleichen Schritten erfolgen und über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren verteilt werden.
- - Den betroffenen Rübenanbauern in der Europäischen Union müssen für die eventuell unvermeidlichen Preissenkungen hinreichende Ausgleichszahlungen innerhalb des vorhandenen Finanzrahmens gewährt werden. Die Regelungen zur Gewährung der Ausgleichszahlungen müssen so ausgestaltet werden, dass sie die Einbeziehung der entkoppelten Zahlungen in das Betriebsprämienmodell als betriebsindividuellen Zuschlag zu den Flächengrundprämien erlauben. Die Höhe des betriebsindividuellen Zuschlags muss sich nach der betrieblichen Quote zum Zeitpunkt der Einführung dieser Zahlungen bemessen.
- - Das Ausmaß eventuell unvermeidlicher Preissenkungen darf die für einen geordneten Betrieb erforderliche Rohstoffversorgung der Fabriken nicht gefährden. In diesem Zusammenhang könnte geprüft werden, inwieweit eine teilweise Koppelung der Ausgleichszahlungen an die Rübenerzeugung sowohl den Interessen der Zuckerrübenanbauer als auch denen der Zuckerfabriken gerecht werden könnte.
- - Der Bundesrat lehnt Eingriffe schon zum l. Juli 2005 in die erst 2001 durch den Rat bis einschließlich 2006 festgelegten Regelungen ab und hält die vorgesehenen Übergangszeiten für zu kurz. Die landwirtschaftlichen Betriebe und Zuckerfabriken brauchen zur erforderlichen Anpassung der Betriebsabläufe und Kapazitäten mehr Zeit. Sie brauchen ferner eine langfristige und nachhaltige Perspektive für die Zeit nach 2008 (Planungssicherheit).
- - Der Bundesrat ist der Auffassung, dass vor der Zulassung einer Quotenübertragung zwischen den Mitgliedstaaten die zu erwartenden Auswirkungen sorgfältig geprüft werden müssen. Diese Prüfung erfordert die Anhörung aller betroffenen Wirtschaftsbeteiligten.
- - Der Bundesrat bittet darum, dass alle Möglichkeiten für die Vereinbarung fester Mengengerüste in angemessenem Umfang, wie sie auch mit den AKP-Staaten bestehen und von den LDC-Staaten selbst gefordert werden, genutzt werden, um auch für LDC-Länder kalkulierbare Rahmenbedingungen und eine höhere Preisstabilität zu erreichen.
- 4. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Herstellung von Bioethanol eine wichtige Maßnahme zum Ausgleich der jährlichen Schwankungen der europäischen Zuckerproduktion darstellen kann. Allerdings stellt die Erzeugung von Bioethanol aus Rüben für die Landwirte (noch) keine wirtschaftlich interessante Alternative zur Zuckerherstellung dar. Diese Aussage gilt auch für die von der Kommission vorgeschlagenen Rübenpreise. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung deshalb um Prüfung, ob und in welchem Umfang die Erzeugung von Bioethanol die Chance bietet, zusätzliche Verwendungsalternativen für Zucker zu erschließen. Damit würde sich auch die Möglichkeit eröffnen, jahrgangsbedingte Ertragsschwankungen auszugleichen.
Der Bundesrat bittet um Prüfung, ob potenziellen Zuckerexportländern anstelle von Abnahmegarantien für Zucker die Förderung der heimischen Bioethanolproduktion angeboten werden kann. Angesichts der Entwicklung auf den internationalen Energiemärkten erscheint dieser Weg ausbaufähig.
Zur Vermeidung von ungleichen und unzumutbaren Belastungen einzelner EU-Mitgliedstaaten bei der Verwendung von Bioethanol im Treibstoffsektor hält der Bundesrat (in Anlehnung an die handelbaren CO₂-Zertifikate im Immissionsrecht) die Entwicklung handelbarer Bioethanol-Verkaufsoptionen (Zertifikate) anstelle von Abnahmegarantien für eine Möglichkeit, um unnötige Transporte von Bioethanol von einem Kontinent zum anderen zu vermeiden. Die finanziellen Lasten eines solchen Zertifikathandels müssten nach dem Verursacherprinzip angemessen verteilt werden. Kosten, die aus politischen Zusagen gegenüber Drittländern resultieren, dürfen nicht der Zuckerwirtschaft angelastet werden; sie müssten vom Haushalt der Europäischen Union übernommen werden.
- 5. Der Bundesrat stellt fest, dass die von der Kommission dargelegten Haushaltsauswirkungen des Reformvorschlags noch erheblichen Klärungsbedarf über die letztendliche Höhe der Belastungen und deren konkrete Finanzierung aufwerfen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, in den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene vordringlich diese Fragen abzuklären.
- 6. Weiterhin fordert der Bundesrat, dass die Reform nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Nettozahlerposition Deutschlands führen darf. Soweit eine nationale Mitfinanzierung zu leisten ist, hat diese der Bund zu tragen. Eine Belastung der Länderhaushalte durch zusätzliche Ausgaben im Zusammenhang mit der Zuckermarktordnung lehnt der Bundesrat ab.
- 7. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat noch einmal darauf hin, dass er die bereits durch wiederholt gefasste Beschlüsse (zuletzt am 13. Februar 2004 - BR-Drucksache 844/03(Beschluss) ) geforderte nationale Kofinanzierung der Direktbeihilfen, die in Deutschland vollständig und dauerhaft vom Bund sicherzustellen ist, für eine sinnvolle Option zur Sicherung der Finanzierbarkeit der Gemeinsamen Agrarpolitik in der erweiterten Union hält.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die dargestellten Positionen in den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene mit Nachdruck zu verfolgen.