Der Bundesrat hat in seiner 820. Sitzung am 10. März 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es auf Grund von bestehenden Regelungen in den Landeswassergesetzen und auf Grund des Gesetzes zum vorbeugenden Hochwasserschutz des Bundes weiterer EU-rechtlicher Regelungen für nationale/deutsche Gewässer nicht bedarf. Der Bundesrat erkennt aber an, dass unter europäischen Aspekten die Bemühungen der Kommission, mit dem Instrument der EU-HWR konzertierte Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Verbesserung des Hochwasserrisikomanagements auf EU-Ebene zu initiieren, erforderlich sein mögen.
- 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den Beratungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass das bisher Erreichte beim Hochwasserschutz gesichert und insbesondere international abgestimmte Konzepte nicht in Frage gestellt werden.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass an vielen internationalen Gewässern bereits abgestimmte Hochwasseraktionspläne bestehen, die die in der EU-HWR dargestellten Ziele erfüllen. Diese existierenden Pläne müssen Bestand haben und müssen von den formalen Bestimmungen der Richtlinie ausgenommen werden. Der Bundesrat hält an seiner Forderung im Beschluss des Bundesrates vom 14. Mai 2004 (BR-Drucksache 372/04(B) ) fest, wonach bereits frühzeitig darauf hingewiesen wurde, dass durch die EU-HWR international abgestimmte Konzepte nicht in Frage gestellt werden dürfen. In Artikel 9 ist somit eine entsprechende Ausnahmeregelung aufzunehmen, nach der es keiner neuen Pläne nach Kapitel IV der Richtlinie bedarf, sofern in den Mitgliedstaaten (international abgestimmte) Managementpläne existieren, die geeignet sind, die Ziele gemäß Artikel 1 und Artikel 9 Abs. 2 zu erreichen. Auf die Begründung in der BR-Drucksache 372/04(B) wird Bezug genommen.
- 4. Das Subsidiaritätsprinzip wird durch den vorliegenden Richtlinienvorschlag verletzt. Die in Artikel 7 bzw. Artikel 9 enthaltenen Anforderungen, dass die Mitgliedstaaten auf Teileinzugsgebietsebene Hochwasserrisikokarten und Hochwassermanagementpläne erarbeiten, kann nicht akzeptiert werden. EURegelungen können sich - wie auch in der EU-Pressemitteilung vom 18. Januar 2006 dargestellt - im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nur auf regelungsbedürftige grenzüberschreitende Einzugsgebiete beschränken. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass in Artikel 4 die Wörter "jedes Einzugsgebiet und" gestrichen werden und entsprechende Folgeänderungen der Artikel 5, 7, 9 und 12 erfolgen. Sollte diese Forderung und die Forderung gemäß Ziffer 3 nicht erfüllt werden, ist die Richtlinie abzulehnen, da sie die von ihr postulierten Ziele nicht erreichen könnte und bestehende Strukturen nachhaltig zerstören würde und mit viel Aufwand vorbereitete oder durchgeführte Verfahren und Maßnahmen entwertet würden.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zudem, sich bei der Ausgestaltung der Richtlinie dafür einzusetzen, dass Doppelarbeiten und Mehraufwand vermieden werden.
- 6. Der Bundesrat folgt nicht der Begründung in der EU-HWR im Hinblick auf die Auswirkungen auf den Haushalt. Er ist vielmehr der Auffassung, dass der Vorschlag erhebliche finanzielle Folgen für die Mitgliedstaaten haben wird. Für den Fall, dass die vorausschauende Bewertung nach Artikel 4, die Erarbeitung der Hochwasser(gefahren)karten, die Erhebung des Schadenspotenzials und die Erstellung der Hochwasserrisikomanagementpläne schon für Einzugsgebiete ab 10 km2 erfordert, kommen erhebliche finanzielle und personelle Belastungen auf die Länder zu. Daher darf die Richtlinie nur Regelungen enthalten, die für eine nachhaltige grenzüberschreitende Bekämpfung von Hochwasser in der EU unbedingt notwendig sind. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass auch bei der bisherigen Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (Bestandsaufnahme) bedingt durch die Erstellung der Unterlagen deutlich höhere personelle und finanzielle Belastungen entstanden sind, als zunächst angenommen. Dies darf sich keinesfalls wiederholen. Dieser Aspekt hat im Hinblick auf die Debatte um die Haftung der Länder bei einem Verstoß gegen EU-Recht ganz besondere Bedeutung. Er beeinflusst erheblich die Beurteilung, ob der Richtlinienvorschlag dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Der Bundesrat folgt ebenso wenig der Einschätzung, durch den Richtlinienvorschlag komme es zu einer Vereinfachung von Verwaltungsverfahren. Denn es werden zusätzliche Verwaltungsverfahren erst begründet, ganz abgesehen von den erforderlichen Rechtsetzungsverfahren zur Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie in nationales Recht.
- 7. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der Küstenschutz sich maßgeblich vom Binnenhochwasserschutz unterscheidet. Die Risikoeinschätzung erfolgt im Küstenschutz nicht durch Jährlichkeiten bestimmter Hochwasserszenarien, sondern durch die Bestimmung von Bemessungswasserständen, die zwischen den Küstenländern abgestimmt und regelmäßig überprüft werden. Als Reaktion auf die in der Vergangenheit stattgefundenen Sturmfluten haben die Küstenländer alle strategischen, planerischen und baulichen Maßnahmen getroffen oder vorbereitet, um auf zukünftige Sturmfluten adäquat reagieren zu können. So sind die Bereiche mit potenziell signifikantem Risiko bereits weitgehend ermittelt. Damit steht das Ergebnis einer etwaigen Bestandsaufnahme nach Artikel 4 für die sturmflutgefährdeten Gebiete bereits fest. Auch die in Artikel 7 geforderten HWR-Karten liegen weitgehend vor. Alle Bewohner der sturmflutgefährdeten Gebiete sind entweder direkt als beitragspflichtige Mitglieder des für sie zuständigen Deichverbands oder indirekt durch verschiedene Beteiligungsverfahren in Planungsprozessen des Küstenschutzes in die Entscheidungsprozesse im Hinblick auf ihre Schutzinteressen eingebunden. Damit ist eine Information und Konsultation der Betroffenen stets gewährleistet. Für den Bereich des Küstenschutzes stellt der Bundesrat fest, dass die Ziele der EUHWR bereits vollständig im Sinne der Kommission geregelt sind. Er bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass in den Artikeln 4 Abs. 2, 5 Abs. 1 und Abs. 2, 7 Abs. 1 und 9 Abs. 1 und Abs. 2 die Begriffe "Küstengebiete" bzw. "Küstenabschnitte" gestrichen werden.
- 8. Bei Betrachtungen zum Hochwassermanagement von grenzüberschreitenden Gewässern ist es erforderlich, sich auf das auf der Grundlage der Wasserrahmenrichtlinie abgestimmte Einzugsgebiet zu beziehen. Weiterhin ist es dabei zweifelsfrei sinnvoll, Synergien zu nutzen, die sich aus der Erarbeitung der Bewirtschaftungspläne nach der Wasserrahmenrichtlinie ergeben. Dies betrifft aber nur die Verwendung von gemeinsamen Berichtsgrundlagen. Auch wäre jeweils eine gegenseitige nachrichtliche Übernahme der Planungen denkbar. Eine weitergehende Verknüpfung ist jedoch kontraproduktiv. Die beiden Planungsprozesse würden sich auf Grund der unterschiedlichen Zielsetzungen sowie Beteiligten- und Interessenslagen nur gegenseitig blockieren. Der Bundesrat lehnt daher eine enge Verknüpfung der EU-HWR mit der Wasserrahmenrichtlinie ab.
- 9. Der vorliegende Vorschlag einer EU-HWR gewährt den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung und der Festlegung in den einzelnen Teilbereichen (Kapitel II, III und IV) Handlungsfreiheit. Es muss sichergestellt werden, dass nach Verabschiedung der Richtlinie keine detaillierten Regelungen, z.B. im vorgesehenen CIS-Prozess, erfolgen werden, die den Aufwand deutlich erhöhen würden. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass durch solche Prozesse der ursprünglich angenommene Aufwand vervielfacht wird, ohne einen entsprechenden Nutzen für die Erreichung der angestrebten Ziele. Die Richtlinie sollte sich auf Zielvorgaben beschränken und den Mitgliedstaaten die erforderlichen Spielräume gewähren.
- 10. Die Richtlinie darf nicht zum Ziel haben, auch die Auswirkungen von Sturzfluten und Hochwasserereignissen aus der Siedlungsentwässerung zu regeln. Hochwasser im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie sollte daher als zeitlich beschränkte Überflutung von Land, die von einem Binnenoberflächengewässer verursacht wird, definiert werden.
- 11. Dementsprechend sollte in Erwägungsgrund Nummer 8 die Bezugnahme auf Kanalisationsnetze entfallen, zumal wegen der lokal beschränkten Auswirkungen diesbezüglich der Bedarf für eine europäische Regelung nicht besteht.
- 12. Die Fristsetzungen erscheinen unrealistisch. Dies betrifft sowohl die Frist für die Bewertung des Hochwasserrisikos in Artikel 6, für die in Anbetracht der für die vorausschauende Bewertung erforderlichen umfänglichen Datenerhebungen, Bewertungen und Prognosen sowie bei grenzüberschreitenden Gewässern der Koordinierungen mit den betreffenden Mitgliedstaaten sechs statt drei Jahre angemessen wären als auch die Frist für die rechtliche Umsetzung, für die in Anbetracht der Erfahrungen bei der rechtlichen Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie drei statt zwei Jahre angemessen wären.
- 13. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG ist diese Stellungnahme maßgeblich zu berücksichtigen, weil Vorschriften für den Wasserhaushalt der Rahmengesetzgebung gemäß Artikel 75 Abs. 1 Nr. 4 GG unterliegen und damit im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. Nach dem Wasserhaushaltsgesetz müssen viele Materien durch Landesrecht zwingend ausgefüllt werden. Insbesondere gilt dies für Vorschriften für die Bewirtschaftung nach Flussgebietseinheiten gemäß § 1b Abs. 2 und 3 WHG und die für den Hochwasserschutz einschlägigen Bestimmungen gemäß §§ 31a WHG ff. Sollte der Vorschlag für eine EU-Hochwasserrichtlinie in jetziger Form umgesetzt werden wären zwangsläufig Änderungen im WHG und im den Rechtsrahmen ausfüllenden Landesrecht erforderlich.
- 14. Der Bundesrat benennt gemäß § 6 Abs. 1 EUZBLG i. V. m. Abschnitt IV der Bund-Länder-Vereinbarung für die Beratungen der Vorlage "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bewertung und Bekämpfung von Hochwasser" in den Gremien der Kommission und des Rates
einen Vertreter des Freistaates Sachsen,
Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft
Prof. Dr. Socher).