Gesetzesantrag der Länder Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des § 103 des Strafgesetzbuches - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten -

A. Problem und Ziel

Der Straftatbestand der Beleidung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten stellt ein Sonderstrafrecht dar, das die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter und anderer Regierungsvertreter, wenn sie sich in Deutschland aufhalten, gesondert sanktioniert und dafür einen höheren Strafrahmen vorsieht als die allgemeinen Beleidigungsdelikte.

Das ist insbesondere deshalb problematisch, weil Beleidigungen gegen diese Personengruppe in aller Regel keinen privaten Hintergrund haben, sondern Ausfluss des Diskurses in öffentlichen Angelegenheiten sind. In allen praktisch relevanten Fällen betrifft die Tat somit das Spannungsfeld zwischen Ehrschutz und Meinungsfreiheit (bzw. Presse- oder Kunstfreiheit).

Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben wiederholt betont, dass der Freiheit der Meinungsäußerung sogar ein größeres Gewicht zukommt, wenn von einer Äußerung ein Politiker oder ein Repräsentant des Staates betroffen ist (EGMR, NJW 1999, 1321; EGMR, NJOZ 2012, 833; BVerfG, NJW 1992, 2815; BVerfGE 93, 266).

Unter diesen Umständen erscheint ein Sonderstrafrecht, das die Regierungsvertreter ausländischer Staaten in besonderer Weise vor Ehrverletzungen schützen soll, nicht mehr zeitgemäß.

In dem sensiblen Bereich des Ehrangriffes auf ausländische Regierungsvertreter sollte die Strafverfolgung nicht von einer Entscheidung der Bundesregierung (Strafverfolgungsermächtigung gem. § 104a StGB) abhängig sein. Diese wird zudem in die ungünstige Lage gebracht, einen vermeintlichen Ausgleich der mit dem Strafverlangen verbundenen Erwartungen des ausländischen Regierungsoberhaupts, den hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz herbeiführen zu müssen.

B. Lösung

Ersatzlose Streichung des § 103 StGB.

C. Alternativen

Beibehaltung der bisherigen Rechtslage.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Keine.

2. Vollzugsaufwand Keiner

E. Sonstige Kosten

Keine.

F. Bürokratiekosten

Keine. Durch das Gesetz werden für die Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltung keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.

Gesetzesantrag der Länder Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des § 103 des Strafgesetzbuches - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten -

Der Präsident des Senats Hamburg, 27. April 2016

der Freien und Hansestadt Hamburg

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich

Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und die Landesregierungen von Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen haben beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des § 103 des Strafgesetzbuches - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten - zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 945. Sitzung des Bundesrates am 13. Mai 2016 aufzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Olaf Scholz

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des § 103 des Strafgesetzbuches - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten -

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 103 wie folgt gefasst:

" § 103 (weggefallen)".

2. § 103 wird aufgehoben.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeines

Der Straftatbestand der Beleidung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten war bereits bei seiner Wiedereinführung im Rahmen des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes 1953 umstritten. Unter anderem bestand die Befürchtung, dass die Strafbarkeit insbesondere im Hinblick auf Diktaturen zu weit ausgedehnt werden könnte (MünchKommStGB/Kreß, 2. Aufl. 2012, § 103, Rn. 3)

Die erhöhte Strafandrohung beruht auf einem überholten kooperatistischen Staatsverständnis, welches die einzelnen Bürgerinnen und Bürger auch im Hinblick auf die Erfüllung staatlicher Aufgaben mit in die Pflicht nimmt. Nach modernem Verständnis ist die Pflege der diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, deren Erhaltung die Vorschrift unter anderem dienen soll, aber alleinige Aufgabe des Staates und nicht der Bürgerinnen und Bürger. Es entspräche einem modernen Grundrechtsverständnis, beleidigende Angriffe von Bürgern auf (ausländische) Staatsorgane auf der interpersonalen Ebene der Beleidigungsdelikte zu belassen.

Eine praktische Relevanz der Strafvorschrift ist kaum feststellbar. In der Presse wird darüber berichtet, dass das Amtsgericht Regensburg 2007 nach einer Beleidigung der damaligen schweizerischen Bundespräsidentin im Internet einen Strafbefehl über 50 Tagessätze wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Regierungen erlassen haben soll, der offenbar ohne Hauptverhandlung rechtskräftig geworden ist. Obergerichtliche Rechtsprechung existiert nur im Verwaltungsrecht, wobei es jeweils um die Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer ging.

Noch 1981 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die polizeiliche Sicherstellung von Spruchbändern, mit denen die chilenische Regierung als "Mörderbande" bezeichnet wurde, gerechtfertigt gewesen sei, da diese den Tatbestand des § 103 StGB erfülle und nicht gem. § 193 StGB gerechtfertigt sei (BVerwGE 64, 55). Nach der modernen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Bewertung als Schmähkritik eher auf die sog. Privatfehde beschränkt (BVerfGE 93, 266; BVerfG, NJW 1999, 204) und der Begriff eng auszulegen ist, dürfte diese Auslegung aber überholt sein.

2010 hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ein Urteil des VG München auf, das das Verbot während einer Versammlung zum Christopher Street Day eine Papstpuppe und diverse Abbildungen des Papstes mit homosexuellen Attributen als rechtmäßig eingestuft hatte (BayVGH, Urteil vom 08.03.2010 - 10(B) 09.1102, 10(B) 09.1837; juris). Das in dem Zusammenhang eingeleitete Strafverfahren wegen § 103 StGB war bereits gem. § 170 StPO eingestellt worden.

Schon die wenigen praktischen Anwendungsfälle zeigen, dass tatbestandlich als Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten anzusehendes Verhalten regelmäßig im Kontext der Meinungsfreiheit gesehen werden muss. In den seltensten Fällen wird es sich um rein private, persönliche Beleidigungen des Regierungsmitglieds handeln. Vielmehr wird regelmäßig die Kritik an Regierungshandeln im Vordergrund stehen. Insofern ist aber zu berücksichtigen, dass das Recht, Maßnahmen von staatlichen Einrichtungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf zu kritisieren, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2815). Dies muss auch für die Kritik an ausländischen Regierungen und deren Vertretern gelten.

Der Schutz von Vertretern ausländischer Staaten gem. § 103 StGB geht dabei nach geltendem Recht sogar noch weiter als der besondere Ehrschutz des deutschen Staatsoberhauptes, da § 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten) die Tat nur dann besonders unter Strafe stellt, wenn sie öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften verwirklicht wird, während § 103 StGB auch private Handlungen erfasst.

Die Verfahrensvoraussetzung einer durch die Bundesregierung zu erteilenden Strafverfolgungsermächtigung ist insbesondere im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen der überragenden Bedeutung der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit und der mit dem Strafverlangen der ausländischen Regierung verbundenen politischen Erwartung problematisch.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Die praktische Relevanz des § 103 StGB ist gering. Von 2007 bis 2014 ist es bundesweit überhaupt nur zu insgesamt 5 Verurteilungen wegen eines Delikts aus dem Dritten Abschnitt des Strafgesetzbuches (Straftaten gegen ausländische Staaten) gekommen (Strafverfolgungsstatistik Bund).

Eine Strafbarkeitslücke entstünde durch die ersatzlose Streichung - anders als etwa bei § 104 StGB - nicht. Ehrverletzende Äußerungen gegenüber dem geschützten Personenkreis könnten weiterhin durch die Tatbestäns Vierzehnten Abschnitts des Strafgesetzbuches (Beleidigung) sanktioniert werden. Die Entscheidung über die Strafverfolgung und die Frage, ob die Tat als Ausdruck der Meinungsfreiheit wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB würde damit der Politik entzogen, und in die Hänr zuständigen Strafverfolgungsbehörden und der unabhängigen Gerichte gelegt.

Völkerrechtlich besteht zwar eine Pflicht, Angriffe auf Repräsentanten eines ausländischen Staates zu bestrafen, ob diese Pflicht sich jedoch auch auf Ehrangriffe i.S.d. § 103 StGB bezieht, ist strittig und wird zunehmend kritisch gesehen. Nach h.M. begründet dies jedenfalls keine Verpflichtung, Sonderstrafnormen mit erhöhter Strafdrohung aufzustellen (MünchKommStGB/Kreß, 2. Aufl. 2012, Vor §§ 102 ff., Rn. 2 f.).

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.