Der Bundesrat hat in seiner 963. Sitzung am 15. Dezember 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission für eine Handels- und Investitionspolitik eintritt, die die Interessen der EU wahrt und für Fairness sorgt. Wie er in seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2015 zur Mitteilung der Kommission "Handel für alle - Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik" (BR-Drucksache 500/15(B) ) bereits festgestellt hat, machen die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft, der globale Wettbewerb der Standorte und der Regionen sowie die damit verbundene Gefahr eines Wettlaufs sozialer und ökologischer Standards nach unten die Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens der Welthandelspolitik nötig. Technologischer Wandel und Digitalisierung, globale Wertschöpfungs- und Lieferketten sowie die Herausforderungen von weltweiter Migration, s i.d.R. alität und prägen das Handeln von Gesellschaft und Unternehmen.
- 2. Die Globalisierung hat zu Wirtschaftswachstum in vielen Regionen der Welt beigetragen und dadurch auch den Lebensstandard vieler europäischer Bürgerinnen und Bürger verbessert. Aber nicht alle konnten bislang von der Globalisierung profitieren. Zudem reagieren viele Menschen mit Verunsicherung auf die tiefgreifenden Veränderungen, die mit der Globalisierung einhergehen.
- 3. Die Bundesrepublik Deutschland ist als exportabhängige Nation auf freien und fairen Handel angewiesen. Ambitionierte Freihandelsabkommen mit ihrem Vorbildcharakter für einen modernen und nachhaltigen internationalen Handel sind eine der wesentlichen Grundlagen unseres Wohlstands. Die gegenseitige Anerkennung von Standards und die Beseitigung von Handelshemmnissen auch über Europa hinaus liegen im ureigenen Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Der Bundesrat begrüßt das Anliegen der Kommission, die Handelspolitik nach Grundsätzen eines fairen und nachhaltigen Freihandels in einer globalisierten Welt auszurichten.
- 4. Mit offenem Handel auf der Grundlage eines regelbasierten multilateralen Handelssystems können die bisherigen positiven Wirkungen der europäischen Handelspolitik auf andere Regionen der Welt übertragen werden. Der Bundesrat unterstützt daher ausdrücklich das Bestreben, die Regeln des Welthandels zu modernisieren und das Primat der WTO bei der Aufstellung von Regeln wiederherzustellen, insbesondere angesichts des zunehmenden Protektionismus.
- 5. Er unterstützt ferner das Anliegen der Kommission, gemeinsam mit internationalen Partnern den globalen Ordnungsrahmen gerade auch im Bereich der Handelspolitik zu stärken. Die EU kann dabei ihre Erfahrungen aus dem europäischen Integrationsprozess einbringen und sich so für eine von Multilateralismus geprägte und auf starken Regeln beruhende friedliche Weltordnung engagieren.
- 6. Die Einhaltung, die effektive Durchsetzung und die transparente Weiterentwicklung handelspolitischer Übereinkommen zur Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen unter Beibehaltung der hohen europäischen Schutzstandards sind essenziell für deren Erfolg und die Akzeptanz in der Welt und innerhalb der EU.
- 7. Der Bundesrat begrüßt daher die positive Bewertung der Kommission hinsichtlich der zunehmenden Einbeziehung von nationalen und regionalen Parlamenten durch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten - unabhängig davon, ob die endgültige Annahme auf EU-Ebene oder zusätzlich auch auf Mitgliedstaatenebene stattfinden muss - als Maßnahmen zur Erreichung von Legitimität und Inklusivität.
- 8. Die EU als größter und erfolgreichster Binnenmarkt der Welt zeigt, wie durch engere Verknüpfung der wirtschaftlichen Verflechtungen nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung begünstigt werden kann. Die Steigerung der Kooperationen und Spezialisierungen anhand der vorhandenen Stärken wird hierdurch gefördert und trägt maßgeblich zum Wachstum innerhalb der EU bei. Ambitionierte Freihandelsabkommen, welche diese Vorteile wirtschaftlicher Verflechtungen bei entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen und möglichst weitreichenden Freiheiten ebenfalls fördern, ermöglichen es, der Globalisierung gerechte Regeln zu geben und den Fortschritt und Frieden in der Welt auszuweiten.
- 9. Die von der Kommission vorgeschlagenen Initiativen sind vor dem Hintergrund eines offenen Handels auf der Grundlage des regelbasierten multilateralen Handelssystems hinsichtlich der Zielrichtung grundsätzlich zu begrüßen.
- 10. Der Bundesrat hebt hervor, dass Handelspolitik auch immer zur Umsetzung der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beitragen sollte. Er begrüßt, dass die Kommission diesen Zusammenhang in ihrer Mitteilung anerkennt und auch auf den Zusammenhang mit der Umsetzung der Europäischen Migrationsagenda und der Europäischen Sicherheitsagenda hinweist.
- 11. Das Ziel einer EU-weit flächendeckenden Landwirtschaft darf nicht durch Handelsliberalisierungen gefährdet werden.
- 12. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auch bei zukünftigen Handelsabkommen bestimmte besonders sensible Bereiche Sonderregelungen erfordern werden. In solchen Bereichen können Maßnahmen (auch handelspolitische Schutzinstrumente) notwendig sein, die zur Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen beitragen, ohne dabei das Gleichgewicht zwischen den Interessen der handelspolitischen Partner zu gefährden. Der Bundesrat erinnert an seine in seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2015 (BR-Drucksache 500/15(B) ) erhobene Forderung, dass Handelsabkommen keine Verpflichtung der Staaten zur Privatisierung von Dienstleistungen enthalten und unbeschadet der durch Privatisierung möglichen Effizienzgewinne einer Ausweitung des Spektrums der Dienstleistungen, die der Staat der Öffentlichkeit anbietet, nicht entgegenstehen dürfen.
- 13. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass die Übernahme strategischer Vermögenswerte durch ausländische Investoren beobachtet werden muss. Unter Wahrung des Grundsatzes offener Märkte müssen Gefahren für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung verhindert werden, soweit solche ausländischen Direktinvestitionen den zentralen Interessen der EU oder ihrer Mitgliedstaaten zuwiderlaufen. Dabei sind Eingriffe in die Souveränität der Mitgliedstaaten zu vermeiden. Zudem sind positive Effekte ausländischer Direktinvestitionen angemessen bei der Bewertung der Investitionen zu berücksichtigen, um die damit verbundene Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu fördern.
- 14. Hierbei sind die hohen europäischen Umweltschutz-, Arbeitsschutz-, Verbraucherschutz- und Sozialschutzstandards zu berücksichtigen. Der Bundesrat begrüßt daher die Übernahme der Vorreiterrolle durch die EU im Bereich der Standards. Dies gilt in zunehmendem Maße auch für die Verarbeitung und den Schutz von personenbezogenen Daten und des geistigen Eigentums. Auch die europäischen Schutzstandards für Herkunftsbezeichnungen müssen gewahrt bleiben.
- 15. Der Bundesrat stellt insoweit in Bezug auf sensible landwirtschaftliche Produkte mit Sorge fest, dass mit Australien und insbesondere auch mit Neuseeland Verhandlungen über bilaterale Freihandelsabkommen aufgenommen werden sollen. Gerade Neuseeland verfügt über erhebliche Wettbewerbsvorteile in sensiblen Bereichen der Landwirtschaft, wie beispielsweise der Milchwirtschaft. Eine weitere Marktöffnung im Agrarsektor kann hier zu erheblichen Nachteilen für heimische Erzeuger führen. Die Bundesregierung wird daher gebeten, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass der Außenschutz für sensible Produkte im gleichen Umfang wie gegenüber Mitgliedern der Welthandelsorganisation aufrechterhalten wird.
- 16. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen sowohl hinsichtlich handelspolitischer Schutzinstrumente als auch verschiedener Aspekte des Marktzugangs (unter anderem auch der öffentliche Beschaffungsmarkt) für die Akzeptanz der Handelspolitik unverzichtbar ist. Die Schlussfolgerungen für auch künftige Handelsabkommen müssen neben den bestehenden Vereinbarungen (zum Beispiel bezüglich derzeitigen Zollkontingenten für landwirtschaftliche Produkte aus Neuseeland) die Auswirkungen des "Brexits" sowie das Gleichgewicht zwischen den Interessen der handelspolitischen Partner im Blick haben. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, sich für faire Wettbewerbsbedingungen in den für Deutschland relevanten Branchen wie der Landwirtschaft oder der energieintensiven Industrien mit teilweise sensiblen Produkten einzusetzen.
- 17. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen um eine größere Transparenz und die Einrichtung einer Gruppe, welche die EU bei Handelsabkommen beraten soll, sowie die Folgenabschätzung zur Unterstützung der Verhandlungen. Insbesondere für den Handel wichtiger Agrar- und Ernährungsgüter, aber auch für die Einordnung der Chancen und Risiken für KMU sowie für den Dienstleistungssektor ist eine solche Transparenz von zentraler Bedeutung.
- 18. Er hebt die Bedeutung qualitativ hochwertiger Folgenabschätzungen zu den Auswirkungen des Zollabbaus und den weiteren angestrebten Verhandlungszielen hervor, die vor Eintritt in die Verhandlung neuer Freihandelsabkommen - auch den nationalen Parlamenten - vorgelegt und veröffentlicht werden müssen, beginnend mit den geplanten Abkommen mit Neuseeland und Australien.
- 19. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass die Kommission den Mitgliedstaaten vor Eintritt in die Verhandlung neuer Freihandelsabkommen, beginnend mit Neuseeland und Australien, Folgenabschätzungen aus dem Zollabbau für den Handel wichtiger Agrar- und Ernährungsgüter vorlegt und diese Ergebnisse veröffentlicht. Um eine transparente, mit dem Ziel der breiten politischen und öffentlichen Zustimmung angelegte Verhandlungsführung zu erreichen, ist sicherzustellen, dass dabei insbesondere die Auswirkungen auf die Land- und Ernährungswirtschaft dargestellt werden.
- 20. Ungeachtet der noch ausstehenden Klärung der Zuständigkeiten für die Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten begrüßt der Bundesrat die von der Kommission angekündigten Maßnahmen zur Sicherung der Transparenz, Legitimität und Inklusivität des Verhandlungs- und Annahmeprozesses. Sowohl die Kommission als auch die nationalen Regierungen stehen nach seiner Auffassung in der Pflicht, die nationalen und regionalen Parlamente frühestmöglich und umfassend in die Handelsgespräche einzubeziehen und damit die Transparenz, Legitimität und Inklusivität der Verhandlungen zu laufenden und künftigen Freihandelsabkommen auf höchstem Niveau sicherzustellen.
- 21. Der Bundesrat sieht in diesem Zusammenhang die geplante Vorlage der Empfehlungen für Verhandlungsrichtlinien für Handelsabkommen an die nationalen Parlamente als einen notwendigen Schritt an.
- 22. Er begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene Schaffung einer Gruppe aus Interessenvertretern, die die EU bei den Verhandlungen zu Handelsabkommen beraten soll. Er geht davon aus, dass mögliche wirtschaftliche, soziale und ökologische Bedenken dieser Gruppe zu den verhandelten Vertragsinhalten in den Verhandlungen Berücksichtigung finden werden. Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Agrar- und Ernährungswirtschaft für den ländlichen Raum Europas sollen der von der Kommission vorgeschlagenen, neu zu installierenden, die EU bei Handelsabkommen beratenden Gruppe auch Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft angehören. Die Bundesregierung wird gebeten, gegenüber der Kommission auf die Beteiligung des Agrarsektors hinzuwirken.