Der Bundesrat hat in seiner 836. Sitzung am 21. September 2007 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung entschieden ab. Die dort festgelegte Bundesbeteiligung ist unangemessen, beruht auf inakzeptablen Berechnungen, wird den Bedürfnissen der Länder und Kommunen nicht gerecht und vernachlässigt die dem Bund aus seinem Handeln erwachsene Verantwortung.
- 2. Zwar begrüßt der Bundesrat, dass die Bundesregierung wesentliche Elemente seines Gesetzentwurfs zur Änderung des Wohngeldgesetzes und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BR-Drs. 752/06(B) ) aufgegriffen hat und zu einem Systemwechsel bei der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bereit ist.
Die Abkehr von der bisherigen Erstattung über eine Festbetragsregelung und die Überführung des bisher in der Höhe gesetzlich festgeschriebenen Bundesanteils in eine prozentuale Beteiligung folgt dem Vorschlag des Bundesrates. Sie bewirkt die von Ländern und Kommunen seit langem geforderte Dynamisierung der Bundeserstattung und bringt wesentliche Vereinfachungen im Verwaltungsverfahren, indem auf eine aufwändige und letztlich nicht durchführbare Revision verzichtet werden kann. Dass sich die Aufteilung der Bundesmittel auf die Länder künftig nicht mehr an den sachfremden Wohngeldausgaben, sondern an den Grundsicherungsausgaben orientieren soll, ist ein Gebot der Gerechtigkeit und wird nachhaltig begrüßt. Begrüßt wird auch die Absicht des Bundes, die Kosten von Gutachten der Rentenversicherungsträger direkt zu übernehmen.
- 3. Der Bundesrat weist aber darauf hin, dass die von den Kommunen zu tragenden Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung seit 2003 kontinuierlich gestiegen sind.
Die Ursachen für diesen Kostenanstieg sind vielfältig. Er ist u. a. zurückzuführen auf die Tatsache,
- - dass insbesondere wegen des Verzichts auf den Unterhaltsrückgriff wesentlich mehr Menschen Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen als zuvor Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt;
- - dass eine Vielzahl Unterhaltspflichtiger, die bis zum Jahre 2002 ihre Unterhaltsleistungen ordnungsgemäß erbracht haben, auf Grund der neuen Rechtslage ihre Zahlungen eingestellt haben und so neue Ausgaben für die Allgemeinheit entstanden sind und bei den Kommunen anfallen;
- - dass legale Mitnahmeeffekte, z.B. bei Mietverhältnissen, gang und gäbe sind;
- - dass die geringen Steigerungen der Rentenhöhe sowie die Verringerung der Anrechnungsmöglichkeiten zu verringerten Rentenhöhen und dadurch zu einer langfristig andauernden Steigerung der Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung führen, ohne dass Länder und Kommunen dies beeinflussen könnten, obwohl sie die Lasten dafür tragen müssen.
- 4. Vor diesem Hintergrund hält es der Bundesrat für nicht akzeptabel, dass der Bund weiterhin an seiner Auffassung festhält, er habe sich nur an bestimmten Kosten zu beteiligen, wie Gutachterkosten oder Kosten, die durch den grundsätzlichen Verzicht auf den in der Sozialhilfe üblichen Unterhaltsrückgriff entstehen. Er verweist darauf, dass er schon mehrfach eine Übernahme aller Grundsicherungskosten durch den Bund gefordert hat (BR-Drs. 247/02(Beschluss) , BR-Drs. 805/02(Beschluss) ).
Die unter Ziffer 3 genannten Ursachen des Kostenanstiegs sind auf das gesetzgeberische Handeln des Bundes zurückzuführen. Der Bund muss daher auch die Verantwortung für die eingetretenen Entwicklungen übernehmen. Die Aufteilung der Gesamtkosten in "grundsicherungsbedingte Mehrkosten", die vom Bund nach § 34 Abs. 2 WoGG zu erstatten sind, und sonstige Kosten, welche die Kommunen ohne Ersatz übernehmen müssen, ist sachfremd und muss daher aufgegeben werden.
- 5. Darüber hinaus halten die von der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf angestellten Berechnungen einer kritischen Prüfung nicht stand. Sie beruhen weitgehend auf Annahmen oder Schätzungen, die von den Ländern und Kommunen nicht geteilt werden können. Eines der Hauptprobleme besteht darin, dass es objektiv unmöglich ist, die Mehrkosten der Kommunen wegen des grundsätzlichen Wegfalls des Unterhaltsrückgriffs zu ermitteln. Da der Unterhaltsrückgriff weggefallen ist und Nachfragen der Sozialhilfeträger nach etwaigen Unterhaltspflichten nicht zulässig sind, ist es heute unmöglich, die aus dem Wegfall des Unterhaltsrückgriffs resultierenden Mehrkosten objektiv zu beziffern. Darüber hinaus entsprechen verschiedene Annahmen im Rechenwerk nicht den Realitäten. So hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales überzeugend dargelegt, dass die im Entwurf der Bundesregierung ermittelten Fallzahlen wegen der Nichtanwendung der Unterhaltsvermutung deutlich zu niedrig angesetzt sind.
- 6. Der Bundesrat lehnt die im Gesetzentwurf vorgesehene Höhe der Bundesbeteiligung (7,1 Prozent) an den Grundsicherungsleistungen ab. Er sieht die in § 46a SGB XII-E mit lediglich 7,1 Prozent bemessene Bundesbeteiligung an den Grundsicherungsleistungen als zu gering an. Vor dem Hintergrund erheblicher Kostensteigerungen bei der Grundsicherung ist es nicht hinnehmbar, dass der Bund seine Kostenbeteiligung weit unter das bisherige, bereits nicht ausreichende Volumen absenkt.
Der Bundesrat verweist auf seinen Gesetzentwurf vom 24. November 2006 (Drs. 752/06(B) ), der auf eine angemessene Kostenteilung zwischen Bundes- und Länderebene abzielt.
- 7. Der Bundesrat fordert deshalb die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der neben den in Ziffer 2 begrüßten Änderungen folgenden Eckpunkten gerecht wird:
- - Keine Verminderung der Bundesbeteiligung gegenüber dem Status quo.
- - Festsetzung einer angemessenen prozentualen Beteiligungsquote des Bundes an den Gesamtkosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, welche den in den letzten Jahren überproportional gestiegenen Kosten und Fallzahlen Rechnung trägt.
- - Dynamisierung der prozentualen Beteiligungsquote des Bundes, um der demographischen Entwicklung und vor allem den Folgen aus den Rentenreformen Rechnung zu tragen. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auch § 46 SGB II eine dynamisierte Beteiligungsquote enthält.