Der Bundesrat hat in seiner 814. Sitzung am 23. September 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat dankt der Kommission für die Übermittlung des "Aktionsplans Staatliche Beihilfen - Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen - Roadmap zur Reform des Beihilfenrechts 2005 bis 2009".
Der Bundesrat begrüßt und unterstützt die folgenden dem Aktionsplan zu Grunde liegenden Ziele der Beihilfereform: die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, die Systematisierung der Beihilfepolitik sowie die Verfahrensvereinfachung.
Eine wirkungsvolle Beihilfenkontrolle vermeidet Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten wettbewerbsfähiger Unternehmen und sichert einen fairen Standortwettbewerb, der durch staatliche Verdrängungssubventionen möglichst wenig beeinträchtigt wird.
Der Bundesrat ist allerdings besorgt darüber, dass die Mitgliedstaaten in ihrer politischen Verantwortlichkeit für die Vergabe von Beihilfen geschwächt werden sollen. Er ist besorgt über die Instrumentalisierung der Beihilfenkontrolle zu wirtschafts- und fiskalpolitischen Zwecken und über die drohende Verlagerung des immer größer werdenden Verwaltungsaufwands von der Kommission auf die Mitgliedstaaten.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die europäische Beihilfenkontrolle gemäß Artikel 87 bis 89 EGV allein dem Schutz des gemeinsamen Markts dient. Ziel der europäischen Beihilfenkontrolle ist weder der Schutz staatlicher Mittel noch deren effiziente Verwendung. Vielmehr sind der sparsame und effiziente Umgang mit Steuermitteln herausragende Angelegenheiten gerade der Mitgliedstaaten selbst und von ihnen mit Hilfe des Haushaltsrechts, nicht aber im Rahmen der Beihilfenkontrolle seitens der Kommission durchzusetzen. Daher ist der Bundesrat besorgt über eine sich im Aktionsplan andeutende Instrumentalisierung der Beihilfenkontrolle zu wirtschafts- und fiskalpolitischen Zwecken. So sieht der Aktionsplan vor, die Zulässigkeit einer Beihilfe von der Transparenz der Mittelvergabe und der Effizienz der eingesetzten Steuermittel abhängig zu machen. Auch beabsichtigt die Kommission die Einführung von Leistungsnormen zur Prüfung, ob staatliche Beihilfen im konkreten Fall die beste Form staatlichen Handelns sind und sie die mit ihnen verbundenen Erwartungen erreicht haben. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Kommission mit diesen Vorstellungen die ihr primärrechtlich durch die Artikel 87 bis 89 EGV zugewiesenen Kompetenzen überschreitet. Ferner befürchtet er, dass die Kommission künftig aktiv in die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eingreifen könnte. Nach Ansicht des Bundesrates ist die Kommission jedoch nach der allgemeinen Kompetenzverteilung weder zur Ressourcenallokation noch zur Vereinheitlichung der Rechts- und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten noch zur Evaluierung der einzelstaatlichen Subventionspolitik berechtigt.
Der Bundesrat ist ferner besorgt über die zunehmende Tendenz, die politische Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung von Beihilfen zu schwächen. Die Aufgabe der Kommission im Bereich der Beihilfenkontrolle besteht im Schutz des gemeinsamen Markts. Dies erfolgt durch die Bestimmung, welche Subventionsäquivalente mit dem gemeinsamen Markt vereinbar sind, nicht jedoch durch die Bestimmung, in welcher Beihilfeform diese Subventionsäquivalente gewährt werden, und auch nicht durch die Bestimmung, ob eine Beihilfe mehr erfolgreich oder weniger erfolgreich ist. Sowohl die Ausgestaltung staatlicher Beihilfen als auch deren Evaluierung ist genuine Aufgabe der Mitgliedstaaten und allein nach den innerstaatlichen Mechanismen demokratischer Legitimation zu rechtfertigen.
Aus diesem Grund steht der Bundesrat auch einer von der Kommission vorgeschlagenen Kontrolle durch die Kommission, ob die Mitgliedstaaten ihre mit den Beihilferegelungen und Beihilfemaßnahmen beabsichtigten Ziele auch erreicht haben, kritisch gegenüber. Die wirtschaftspolitisch ausgerichtete Zielerreichungskontrolle von gewährten Beihilfen liegt im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Die Kommission ist nicht berechtigt, Regeln für diese nationalstaatliche Aufgabe vorzugeben. Die ihr eingeräumten primärvertraglichen Kompetenzen lassen das nicht zu.
Die Vorschläge der Kommission haben insofern aus Sicht des Bundesrates auch verfassungsrechtliche Dimensionen und werfen grundsätzliche Fragen nach der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen der EG und den Mitgliedstaaten auf. Vor diesem Hintergrund widerspricht der Bundesrat nachdrücklich dem im Aktionsplan angedeuteten Paradigmenwechsel im Bereich der Beihilfenkontrollpolitik.
- 3. Das von der Kommission zur Rechtfertigung staatlicher Beihilfen entwickelte Kriterium des Marktversagens stellt einen interessanten Ansatz für eine Einschätzung der Auswirkungen staatlicher Beihilfen auf den Wettbewerb dar. Der Bundesrat wendet sich allerdings dagegen, dass das Marktversagen im Beihilferecht eine zentrale Bedeutung als Kriterium für die Prüfung der Zulässigkeit von Beihilfen erhält. Um im Einzelfall einsetzbar zu sein, bedarf dieses Kriterium jedoch einer Präzisierung, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Zulässigkeit und Grenzen des Einsatzes von Beihilfen zuverlässig beurteilen zu können. Auch sollten den Mitgliedstaaten eine Mitwirkungsmöglichkeit und ein Beurteilungsspielraum bei der Definition eines Marktversagens eingeräumt werden. Vor allem die Auswahl der Mittel, um einem erkannten Marktversagen zu begegnen, sollte grundsätzlich ausschließlich den Mitgliedstaaten und ihren Gebietseinheiten überlassen bleiben. Für eine Zweckmäßigkeitskontrolle staatlicher Wirtschaftsförderung hat die Kommission kein Mandat.
- 4. Der Bundesrat hat Verständnis dafür, dass die Kommission - insbesondere infolge des Beitritts der zehn neuen Mitgliedstaaten - eine erhebliche Mehrbelastung zu bewältigen hat. Er begrüßt und unterstützt daher grundsätzlich alle Anstrengungen, um die Kommission von weniger wichtigen Fällen zu entlasten. Insofern begrüßt er die Feststellung der Kommission, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, die beihilferechtlichen Vorschriften anzuwenden und das Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Er ist allerdings besorgt, dass die Vorschläge der Kommission letztendlich nicht zu einem Verwaltungsabbau führen, sondern der Verwaltungsaufwand lediglich von der Kommission auf die Mitgliedstaaten verlagert wird. Eine reine Verlagerung von Verwaltungsaufwand lehnt der Bundesrat ebenso entschieden ab, wie alle Eingriffe in die innerstaatliche Verwaltungsorganisation, insbesondere im Bereich der nationalen und regionalen Rechnungshöfe oder der einzelstaatlichen Gerichte.
- 5. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Kommission, das Verfahrensrecht zu vereinfachen und Verwaltungskosten zu senken. Die in diesem Zusammenhang vorgeschlagene systematische Negativentscheidung bei nicht ordnungsgemäß angemeldeten Beihilfen lehnt er jedoch ab. Eine solche Folge unterlassener Beihilfeanmeldungen ist weder primärrechtlich legitimiert noch verhältnismäßig.
- 6. Der Bundesrat lehnt mit allem Nachdruck die Schaffung neuer, zusätzlicher unabhängiger Beihilfeüberwachungsbehörden oder anderer Einrichtungen in den Mitgliedstaaten ab. Eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Einrichtung derartiger Behörden wäre schon rechtlich nicht zulässig. Dies würde einen tiefen Eingriff in den mitgliedstaatlichen Verwaltungsaufbau darstellen. Hierfür steht der Gemeinschaft eine Kompetenz nicht zu.
- 7. Der Bundesrat lehnt auch die Absicht der Kommission, die einzelstaatlichen Gerichte verstärkt in die Beihilfekontrolle einzubinden, ab. Die von der Kommission beabsichtigte, über das Maß der in der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der Mitgliedstaaten im Bereich der staatlichen Beihilfen von 1995 hinausgehende Beeinflussung der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten im Bereich der staatlichen Beihilfen lässt einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung sowie gegen das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit befürchten. Angesichts der entgegenstehenden Verfassungsprinzipien lässt sich eine wie auch immer geartete Einflussnahme auf die Gerichte, insbesondere eine Beschneidung ihrer Unabhängigkeit, und sei sie noch so geringfügig, nicht verantworten.
- 8. Mit Blick auf die von der Kommission angestrebte Verfahrensvereinfachung befürwortet der Bundesrat im Grundsatz die Absicht der Kommission, eine allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung zu erlassen. Die Absicht der Kommission, weitere Bereiche, wie etwa Rettungsbeihilfen für KMU und Umweltschutzbeihilfen, in die Gruppenfreistellung aufzunehmen, bewertet er ebenfalls positiv. Dadurch kann unnötiger Verwaltungs- und Verfahrensaufwand vermieden werden. In der Vergangenheit hat die Kommission allerdings die Überführung von Leitlinien in Freistellungsverordnungen wiederholt dazu genutzt, die bestehenden Spielräume einzuengen. Einer derartigen Verschärfung widerspricht der Bundesrat nachdrücklich. Darüber hinaus weist der Bundesrat darauf hin, dass die Existenz von Freistellungsverordnungen mit notwendigerweise strengeren Beihilfebeschränkungen die Möglichkeit nicht ausschließen darf, im Wege eines Notifizierungsverfahrens eine von den Regeln der Freistellungsverordnung abweichende Beihilfe oder Beihilferegelung genehmigt zu erhalten.
- 9. Der Bundesrat begrüßt das Vorhaben der Kommission, das interne Verwaltungsverfahren zu straffen. Die Auffassung der Kommission, dass die lange Verfahrensdauer in Beihilfeverfahren unter anderem auf die Anzahl der vorzulegenden Sprachfassungen zurückzuführen sei, darf jedoch nicht zu einer Reduzierung auf die englische und französische Sprache führen. Denn dadurch würde lediglich ein wesentlicher Teil der von der Kommission zu leistenden Arbeit auf die Mitgliedstaaten verlagert und eine erhebliche Rechtsunsicherheit, insbesondere bei den bewilligenden Behörden und den Beihilfeempfängern, hervorgerufen.
- 10. Der Bundesrat spricht sich auch gegen eine Einführung des Neuausrichtungsansatzes im Bereich der horizontalen Beihilfeinstrumente, wie etwa dem Gemeinschaftsrahmen für Forschung und Entwicklung, aus. Ist es auf der einen Seite richtig, entsprechend den Schlussfolgerungen Europäischer Räte staatliche Beihilfen auf horizontale Ziele auszurichten, darf dies nicht dazu führen, dass sich innerhalb horizontaler Regelungen die Zulässigkeit von Beihilfen allein nach dem europäischen Mehrwert bemisst. Auch insoweit würde der Ansatz der Kommission den primärrechtlichen Regelungen der Artikel 87 bis 89 EGV widersprechen. Zudem darf die Privilegierung der horizontalen Ziele nicht dazu führen, dass die Regionalförderung relativiert wird.
- 11. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich die beabsichtigte Anhebung der "Deminimis"-Schwellenwerte.
- 12. Der Bundesrat begrüßt auch das Ziel, die Mitteilung der Kommission zum Risikokapital zu überarbeiten. Er bittet die Bundesregierung, sich insbesondere für die Anhebung der Tranchenhöhe, eine flexiblere Handhabung des Anteils der Privatbeteiligung und eine Aufhebung der Kumulierungsregelung einzusetzen.
- 13. Der Bundesrat stimmt der Kommission zu, wenn diese zwecks erfolgreicher Umsetzung der Lissabon-Strategie die Bereitstellung moderner Infrastruktureinrichtungen im Bereich Verkehr, Energie, Information und Kommunikation fordert. Allerdings ist er besorgt darüber, dass Infrastrukturvorhaben der Mitgliedstaaten immer weiter dem Bereich der gewerblichen Wirtschaft zugeordnet werden. Er betrachtet Investitionen in Infrastrukturprojekte, die allen potenziellen Nutzern diskriminierungsfrei zugänglich sind, als Maßnahmen von allgemeinem Interesse, die dem Anwendungsbereich des europäischen Beihilferechts gerade nicht unterfallen und bittet die Bundesregierung, in diesem Sinne eine Klarstellung bei der Kommission zu erreichen.
- 14. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, im Falle öffentlichprivater Partnerschaften von der Kommission eine Klarstellung zu erreichen, dass eine staatliche Beihilfe dann nicht vorliegt, wenn das Vorhaben nach den Regeln des Vergaberechts und damit für alle tatsächlichen und potenziellen Wettbewerber unter nicht diskriminierenden Bedingungen ausgeschrieben wurde.
- 15. Im Hinblick auf die geplante Überarbeitung der Mitteilung über staatliche Beihilfen für den öffentlichrechtlichen Rundfunk bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die Kommission zu ersuchen, der besonderen Bedeutung des Rundfunks - wie sie im Amsterdamer Protokoll über den öffentlichrechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten ihren Niederschlag gefunden hat - Rechnung zu tragen. Wie bereits in den Stellungnahmen der Bundesregierung in den laufenden Rundfunkverfahren, auf die verwiesen wird, dargelegt worden ist, besteht ein besonderes öffentliches Interesse an journalistischredaktionell bearbeiteten, an die Allgemeinheit gerichteten Inhalten unabhängig von ihrem Übertragungsweg. Das Kriterium des Marktversagens kann für den öffentlichrechtlichen Rundfunk keine Geltung beanspruchen.
- 16. Der Bundesrat schlägt vor, die Kommission zu ersuchen, eine Regelung für Fälle des internationalen Standortwettbewerbs zu schaffen. Außerhalb der EU gelten derartig weitgehende Beschränkungen wie die des europäischen Beihilferechts nicht. Bereits in der Vergangenheit wurden außerhalb der EU mit massiver staatlicher Hilfe Konkurrenten aufgebaut und in der Folge gingen Arbeitsplätze in Europa verloren. Diese Entwicklung wird andauern. Wird diese Wettbewerbssituation ignoriert, bedeutet dies Standortnachteile mit Folgen für die Beschäftigung in Europa. Daher sollten die Globalisierung und ihre Wirkungen auch im Rahmen der Beihilfekontrolle berücksichtigt werden. Denkbar wäre insofern eventuell eine Öffnungsklausel für Entscheidungen in Fällen, in denen eine internationale Wettbewerbssituation im Hinblick auf die Ansiedlung eines Unternehmens (internationaler Standortwettbewerb) gegeben ist, dies könnte ggf. durch die Konkretisierung einer geeigneten Leitlinie erfolgen. Der Bundesrat begrüßt das Anliegen, auch im Rahmen der WTO darauf zu dringen, beihilfekontrollrechtliche Vorschriften mit ähnlichem Schutzniveau für den Wettbewerb wie innerhalb der EU zu verankern.
- 17. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, dass er die zahlreichen Vorschläge des Aktionsplans zur Reform horizontaler Beihilfeinstrumente dem jeweiligen Konkretisierungsgrad eingehend analysieren und bewerten wird. Er weist darauf hin, dass inhaltliche Festlegungen zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht sind und behält sich ergänzende Stellungnahmen zu gegebener Zeit vor.