Der Bundesrat hat in seiner 874. Sitzung am 24. September 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Vorhaben der Kommission, einen europäischen Rechtsrahmen für Sicherungssysteme im Versicherungssektor zu schaffen. Er unterstützt das Ziel der Kommission, mit einer solchen Harmonisierung europaweite Mindeststandards zu schaffen und damit Schutzlücken zu schließen, die sich vor allem aus fehlenden oder unzureichenden Sicherungssystemen in anderen Mitgliedstaaten ergeben.
- 2. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass die Harmonisierung mittels einer Richtlinie im Sinne des Artikels 288 AEUV erfolgen sollte. Der Bundesrat spricht sich in diesem Zusammenhang nachdrücklich für eine Mindestharmonisierung aus. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, ein höheres Schutzniveau beizubehalten oder einzuführen. Darüber hinaus müssen den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume verbleiben, um Besonderheiten des nationalen Versicherungsmarktes Rechnung zu tragen.
- 3. Der Bundesrat ist in Übereinstimmung mit der Kommission der Ansicht, dass Sicherungssysteme so ausgestaltet sein müssen, dass sie nur als Ultima Ratio zum Einsatz kommen. Vorrangig muss das Bestreben sein, Insolvenzen von Versicherungsunternehmen zu verhindern beziehungsweise abzuwenden. An den Bemühungen um adäquate Eigenkapitalanforderungen, ein wirksames Risikomanagement, effektive Governance-Strukturen und eine mit hinreichenden Befugnissen ausgestattete Versicherungsaufsicht ist daher festzuhalten.
- 4. Der Bundesrat befürwortet eine Harmonisierung der Sicherungssysteme auf der Grundlage des so genannten Herkunftslandprinzips, das eine effektive Versicherungsaufsicht gewährleistet und zusätzliche Belastungen für grenzüberschreitend anbietende Versicherungsunternehmen vermeidet, die durch eine Beteiligung an mehreren Sicherungssystemen entstehen könnten. Um Schutzlücken zu vermeiden, muss aber in Bezug auf Versicherungsunternehmen mit Sitz in Drittstaaten das so genannte Aufnahmelandprinzip gelten. Diese Unternehmen wären damit den Vorschriften des Mitgliedstaates unterworfen, in dem sie ihr Versicherungsgeschäft betreiben, und müssten sich an den dort eingerichteten Sicherungssystemen beteiligen. Es muss nach Auffassung des Bundesrates sichergestellt sein, dass die harmonisierten europäischen Sicherungssysteme sämtliche Sachverhalte erfassen, bei denen entweder das Versicherungsunternehmen seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat oder aber Versicherungsgeschäfte innerhalb der EU betreibt.
- 5. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, europaweite Mindeststandards für Sicherungssysteme vorrangig im Bereich von Lebensversicherungen und substitutiven Krankenversicherungen einzuführen. Dessen ungeachtet kann eine Einbeziehung von Sachversicherungen vor allem dann sinnvoll sein, wenn es um die Abdeckung erheblicher wirtschaftlicher Risiken geht. Betroffen sind etwa Gebäude- und Elementarversicherungen. Soweit die bei einer Insolvenz des Versicherungsunternehmens entstehenden Nachteile für den Versicherungsnehmer und die Anspruchsberechtigten jedoch überschaubar sind, sollte eine Begrenzung in Betracht gezogen werden. Denn jede Ausweitung der Sicherungssysteme erhöht deren Finanzbedarf. Das wirkt sich auf die von den Versicherungsunternehmen abzuführenden Beiträge und damit zwangsläufig auch auf die von den Versicherungsnehmern zu zahlenden Prämien aus.
- 6. Um die Finanzierbarkeit der Sicherungssysteme zu gewährleisten, erwägt die Kommission zum einen, den Kreis der geschützten Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten zu beschränken. Der Bundesrat unterstützt diesen Ansatz, sofern alle natürlichen und solche juristischen Personen geschützt sind, deren wirtschaftliche Existenz beim Ausfall eines Versicherungsunternehmens gefährdet sein könnte. Zum anderen zeigt sich die Kommission offen für Entschädigungshöchstgrenzen und sonstige Leistungsbeschränkungen wie Selbstbeteiligungen. Der Bundesrat hält derartige Beschränkungen zumindest in Bezug auf solche Versicherungen für bedenklich, die einen Versorgungszweck erfüllen.
- 7. Hinsichtlich der Gestaltung der Sicherungssysteme spricht sich der Bundesrat dafür aus, der Bestandsübertragung (Portfoliotransfer) zumindest für bestimmte Versicherungen, hier vorrangig die Lebensversicherung und die substitutive Krankenversicherung, den Vorzug zu geben. Versicherungsnehmern ist vor allem dann mit einer Entschädigung nicht gedient, wenn sie im Anschluss an die Insolvenz ihres bisherigen Versicherungsunternehmens keinen neuen Vertrag mit einem anderen Unternehmen abschließen können. Zudem sind vor allem Lebensversicherungen und substitutive Krankenversicherungen aufgrund der sich während der Versicherungszeit ändernden Risikomerkmale (insbesondere Alter und Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers) in der Regel nicht durch neue Verträge mit vergleichbaren Bedingungen zu ersetzen.
- 8. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.