Der Bayerische Ministerpräsident München, den 2. Juli 2004
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dieter Althaus
Sehr geehrter Herr Präsident!
Gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich die in der Anlage beigefügte
- Entschließung des Bundesrates zur Herbeiführung eines EU-Programms zur Kulturpflege europäischer Vertreibungsgebiete
mit dem Antrag, dass der Bundesrat diese fassen möge. Ich bitte, die Entschließung gemäß § 36 Abs. 2 GOBR auf die Tagesordnung der 802. Sitzung am 09. Juli 2004 zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Edmund Stoiber
Entschließung des Bundesrates zur Herbeiführung eines EU-Programms zur Kulturpflege europäischer Vertreibungsgebiete
Die Europäische Union wird von der Überzeugung geleitet, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in den Mitgliedsstaaten in entscheidendem Maße von kulturellen Gesichtspunkten bestimmt wird. Europäische Kultur besteht aus Gemeinsamkeiten in der Vielfalt, darunter auch aus Brüchen, wie sie durch Vertreibung verursacht werden. Vertreibungserfahrungen sind Teil der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Kulturleistungen, die in Vertreibungsräumen entstanden sind, sind Teil der europäischen Kultur. Die immer enger werdende Union muss solchen Verwerfungen europäischer Geschichte Rechnung tragen. Bilaterale Ansätze reichen nicht aus, diese Kapitel gesamteuropäischer Vergangenheit zu bewältigen. Daher bedarf es nach Auffassung des Bundesrates eines EU-Programms, das die Geschichtsregionen, die durch Vertreibung zum Kulturerbe mehrerer Völker und Europas insgesamt geworden sind, in ihren Geschehnissen, Erträgen und Erscheinungsformen erschließt.
Ein solches Programm verzichtet auf ein Urteil über Vertreibung. Es will die materiellen und immateriellen Werke schützen, bewahren und entwickeln, die in Vertreibungsgebieten geschaffen wurden, aber in ihrer Existenz bedroht sind, wenn sie verdrängt und vergessen werden.
Unterstützt werden sollen u. a.
- · die Verdeutlichung von Vertreibungsräumen als besondere Geschichtsregionen
- · auch am Ursprungsort und unter Einbeziehung der betroffenen Minderheiten,
- · die Restaurierung, Pflege und angemessene Nutzung von Kulturdenkmälern,
- · die Arbeit von einschlägigen kulturellen Einrichtungen,
- · die Aufbereitung von kulturgeschichtlichen Schriftquellen und
- · Kooperationsmaßnahmen in Forschung und historischer Bildungsarbeit.
Europa muss nicht nur in seinen Grenzregionen zusammenwachsen, sondern auch in seinen Geschichtsregionen. Dafür ist die fachliche Dialogfähigkeit unabdingbar. Kulturorganisationen, die sich mit der Wahrung und Entwicklung des kulturellen Erbes solcher Geschichtsregionen beschäftigen, arbeiten und wirken im europäischen Interesse. Auch in diesem Sinne fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, sich für ein entsprechendes EU-Programm zur Kulturpflege europäischer Vertreibungsgebiete einzusetzen.