992. Sitzung des Bundesrates am 3. Juli 2020
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die EU-Kohäsionspolitik durch die Förderung von Investitionsprojekten vor Ort einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung und zur Förderung einer digitalen und grünen Wirtschaft in Europa leisten kann. Er begrüßt daher die vorgeschlagene Mittelaufstockung der EU-Kohäsionspolitik durch das Programm REACT-EU in Höhe von 55 Milliarden Euro.
- 2. Der Bundesrat unterstützt die Zielsetzung der Kommission, die zusätzlichen EU-Mittel so schnell wie möglich für kohäsionspolitische Förderprojekte bereitzustellen. Je früher kohäsionspolitische Projekte gestartet werden können, desto früher können sie die wirtschaftliche Erholung unterstützen. Der Bundesrat fordert daher eine schnelle Einigung über die nötige Anpassung des aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) sowie über den künftigen MFR und das Aufbauinstrument "Next Generation EU". Er sieht in der Komplexität der Finanzierungsstruktur - angesichts der zu entscheidenden Volumina, der bisherigen Positionen der Mitgliedstaaten und der erforderlichen Beteiligung von allen 27 nationalen Parlamenten beim Aufbauinstrument "Next Generation EU" - jedoch erhebliche Risiken für zeitliche Verzögerungen.
- 3. Der Bundesrat kann den Vorschlag zur Verteilung der zusätzlichen Mittel auf die Mitgliedstaaten in einem iterativen Verfahren auf der Basis jeweils neuester verfügbarer statistischer Daten im Oktober 2020 und Oktober 2021 nachvollziehen. Er weist aber darauf hin, dass diese langen Unsicherheiten über die zur Verfügung stehenden Mittel die Förderung größerer investiver Projekte ausschließen und dass damit die Gefahr von Mittelverlusten besteht. Zudem kommt es zu mehrmaligen Programmänderungen mit wenig Nutzen, aber erheblichem Verwaltungsaufwand für alle Beteiligten. Der Bundesrat fordert daher eine einmalige Festlegung der Mittelbudgets der Mitgliedstaaten für die gesamte Laufzeit des Programms REACT-EU vor Beginn des Programms.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Verankerung von REACT-EU in der laufenden Förderperiode zu einer Überlappung mit den Vorbereitungsarbeiten für die Programme der neuen Förderperiode führt. Es werden durch die Verfahren zur Änderung laufender Programme erhebliche Ressourcen gebunden. Diese Kapazitäten fehlen für einen schnellen und kraftvollen Start der neuen EU-Strukturfondsprogramme 2021 bis 2027.
- 5. Der Bundesrat fordert eine rasche Einigung auf alle notwendigen Rechtsgrundlagen sowohl für REACT-EU als auch für die kommende Förderperiode, um diese enormen Herausforderungen nicht zu einem signifikanten Risiko für den Erfolg der Kohäsionspolitik anwachsen zu lassen, wie es sich aus weiteren und andauernden Planungsunsicherheiten ergäbe. Ebenso fordert der Bundesrat die Kommission auf, ihren Teil der gemeinsamen Verantwortung zu tragen und bei den anstehenden Genehmigungsverfahren für beide Förderperioden pragmatisch, rasch und kooperativ vorzugehen.
- 6. Der Bundesrat kann den Vorschlag der Kommission, zusätzliche Mittel im Rahmen von REACT-EU ausschließlich für die Zielsetzung "Unterstützung der Krisenbewältigung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und Vorbereitung einer grünen, digitalen und stabilen Erholung der Wirtschaft" zu verwenden, grundsätzlich nachvollziehen. Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung, dass eine Beschränkung ausschließlich auf neue Förderbereiche nicht zielführend ist. Bereits in den Programmen etablierte Förderbereiche, die der übergeordneten Zielsetzung ebenfalls dienen, dürfen von einer Förderung mit REACT-EU-Mitteln nicht ausgeschlossen werden. Es sollte möglich sein, solche Förderbereiche mit REACT-EU-Mitteln zu verstärken.
- 7. Der Bundesrat stellt fest, dass die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Umsetzung der aktuell laufenden EU-Strukturfondsprogramme 2014 bis 2020 umfassend und grundlegend sind. Der Bundesrat begrüßt daher, dass auch die Kommission dies betont und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie konsequenterweise als "force majeure" im Rahmen verschiedener Regelungen der Strukturfonds-Verordnungen anerkennt. Im geänderten Kommissionsvorschlag zur sogenannten Dachverordnung für die nächste Förderperiode heißt es in der Begründung wörtlich:
"Außerdem hat die COVID-19-Pandemie die Kapazitäten der Begünstigten unterminiert, im Rahmen der Programme des Zeitraums 2014 bis 2020 unterstützte Vorhaben wegen Verzögerungen bei der Durchführung und Mängeln rechtzeitig abzuschließen. Aufgrund der Folgen der Krise für den Haushalt sind die Begünstigten unter Umständen nicht in der Lage, die betroffenen Vorhaben vor Fristablauf abzuschließen." Hinzu kommt, dass auch die Kapazitäten vieler Bewilligungsstellen durch die Umsetzung von unmittelbaren Hilfsprogrammen umfassend ausgelastet sind.
- 8. Der Bundesrat bedauert, dass die Kommission vor diesem Hintergrund im geänderten Vorschlag zur Dachverordnung der zukünftigen Förderperiode lediglich eine Erleichterung der auf Einzelvorhaben bezogenen Phasing-Regelung zwischen den beiden Förderperioden vorgeschlagen hat. Dies ist unzureichend, da die Anwendungsvoraussetzungen bei weitem nicht alle relevanten Fälle erfassen. Es besteht weiterhin das Risiko, dass kohäsionspolitisch wünschenswerte Projekte scheitern und der Ruf der Kohäsionspolitik wegen des Bestehens auf dieser starren Frist Schaden nimmt. Der Bundesrat fordert daher eine Regelung in der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 zur Verlängerung der aktuellen Förderperiode 2014 bis 2020 um zwei Jahre. Die Frist für Ausgaben auf der Ebene der Begünstigten sollte demnach vom 31. Dezember 2023 auf den 31. Dezember 2025 verlängert werden.
- 9. Weiterhin sieht der Bundesrat wegen der Corona-Krise die Gefahr eines Mittelverfalls schon während der laufenden Förderperiode, da begonnene Projekte unterbrochen wurden und neue Projekte später starten. Daher sollte nach Auffassung des Bundesrates auch die Mittelbindung der Tranchen der Jahre [2017,] 2018 und 2019 - wie die der zusätzlichen Mittel des REACT-EU - erst mit der Vorlage der Abschlussunterlagen im Februar 2025 aufgehoben werden. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, eine entsprechende Änderung der Frist des Artikels 136 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 vorzunehmen.
- 10. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 11. Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik, der Finanzausschuss und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.