Der Bundesrat hat in seiner 966. Sitzung am 23. März 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Mitteilung der Kommission zur Kenntnis und verweist auf seine Stellungnahme im Rahmen der "Konsultation der Kommission zur Zwischenevaluierung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation "Horizont 2020"" vom 16. Dezember 2016 (BR-Drucksache 749/16(B) ).
- 2. Er würdigt die Erfolge der europäischen Forschungs- und Innovationsförderung der letzten Jahrzehnte. Das aktuelle EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont 2020 hat wichtige Beiträge zur Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen und zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit geleistet und einen echten Mehrwert in der grenzüberschreitenden Forschungskooperation in Europa generiert, der allein durch koordinierte nationale Förderung nicht zu erzielen wäre. Der in Horizont 2020 gewählte Aufbau mit drei Schwerpunktbereichen der Förderung hat sich aus Sicht des Bundesrates bewährt und sollte auch im Nachfolgeprogramm beibehalten werden.
- 3. Der Bundesrat betont die Notwendigkeit einer angemessenen Finanzausstattung des nächsten EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation, damit Projekte und Fragestellungen mit einem europäischen Mehrwert in angemessener Zahl und mit akzeptablen Bewilligungsquoten gefördert werden und so die Erfolge der europäischen Forschungs- und Innovationsförderung auch in Zukunft fortgeschrieben werden können. In diesem Zusammenhang nimmt er die Empfehlungen in dem von der Kommission veröffentlichten "Report of the independent High Level Group on maximising the impact of EU Research & Innovation Programmes" (Lamy-Report) vom 3. Juli 2017 zur Kenntnis. Er hält es für notwendig, bei Horizont 2020 und dem kommenden Rahmenprogramm für Forschung und Innovation eine gute Balance zwischen der Förderung exzellenter Grundlagenforschung und der Innovationsförderung zu bewahren. Darüber hinaus muss auch eine ausgewogene Verteilung der Fördermittel zwischen Grundlagenforschung und wirtschaftsnahen Innovationen gewährleistet bleiben.
- 4. Europa braucht exzellente Forschung an Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Für Innovationen ist es wesentlich, dass in den Forschungseinrichtungen entstehendes Wissen möglichst rasch zur Wertschöpfung führen kann. Daher muss auch der Technologie- und Wissenstransfer zwischen Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen zu den Unternehmen weiter verbessert werden.
- 5. Es sollten sowohl Transferinitiativen und Transferzentren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, als auch die Gründung branchen- und anwendungsbezogener Transferzentren weiter gestärkt werden, damit die Erkenntnisse der Forschung in Innovation umgesetzt werden können und ein unmittelbarer Technologie- und Wissenstransfer erfolgen kann.
- 6. Der Bundesrat betont erneut den hohen Stellenwert der Wissenschaftsexzellenz als Grundprinzip der europäischen Forschungsförderung. Er erwartet, dass die europäische Forschungs- und Innovationsförderung im 9. Rahmenprogramm an einem breiten Forschungsbegriff ausgerichtet wird. Die Nachhaltigkeit europäischer Forschungsförderung wird nicht durch eine Fokussierung auf marktfähige Produkte erreicht, sondern auch durch exzellente Grundlagenforschung in allen Wissenschaftsbereichen.
Der Bundesrat bekennt sich weiterhin zum Prinzip des europäischen Mehrwerts durch die Initiierung und Förderung länderübergreifender Projekte. Der Mehrwert europäischer Forschungs- und Innovationsförderung wirkt sich nicht nur auf den Bereich der Wirtschaft aus, sondern auch auf die Gesellschaft, die Kultur, die Gesundheit und die Umwelt. Deswegen sollte der Impactbegriff entsprechend weiter gefasst werden und neben Produkten auch Perspektiven, Potenziale und soziale Errungenschaften einschließen.
- 7. Stipendien des Europäischen Forschungsrates (ERC-Grants) haben sich zunehmend als Auszeichnung und als Nachweis für Spitzenforschung etabliert. Auch die gastgebenden Einrichtungen gewinnen über die bei ihnen beschäftigten ERC-Stipendiaten Ansehen in der nationalen wie der globalen Wissenschaftsgesellschaft. Der Bundesrat fordert daher, den ERC zu stärken und Lehre, soweit sie zur Vermittlung von Forschungstätigkeiten und -ergebnissen erfolgt, zukünftig im Rahmen eines ERC-Grants als förderfähig anzuerkennen.
Die vorhandenen Förderlinien "Starting Grant", "Consolidator Grant", "Advanced Grant" und "Proof of Concept" müssen in einem künftigen Rahmenprogramm eine Budgetaufstockung erfahren. Für die Fortführung der wieder eingeführten Förderlinie "Synergy Grants" oder neuer teamorientierter Fördermaßnahmen ist eine weitere Mittelaufstockung erforderlich, um einer weiteren Überzeichnung entgegenzuwirken.
- 8. Dem Bundesrat sind die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen ein besonderes Anliegen. Zur Stärkung der Mobilität und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses muss dieses erfolgreiche Programm fortgeführt und mit höherer Mittelausstattung versehen werden.
- 9. Weiterhin sollen im Schwerpunktbereich Wissenschaftsexzellenz die Thematiken der "Future Emerging Technologies" (FET) und der Forschungsinfrastrukturen eigenständig fortgeführt werden. Sie bilden die Grundlagen für Forschung und Innovation und leisten einen bedeutenden Beitrag bei der Realisierung eines europäischen Forschungsraumes.
- 10. Der Bundesrat betont die Notwendigkeit eines breiten Innovationsbegriffs, der technische und nichttechnische sowie soziale Innovationen beinhaltet. Er begrüßt die Pläne der Kommission für einen Europäischen Innovationsrat (European Innovation Council - EIC), unter dessen Dach Instrumente wie "FET Open", "Fast Track to Innovation" (FTI) und das KMU-Instrument koordiniert werden sollen.
- 11. Der Bundesrat sieht in den Empfehlungen der unabhängigen High-Level-Group von Innovatoren hinsichtlich des EIC einen wesentlichen Beitrag im Hinblick auf die Ausgestaltung des kommenden Rahmenprogramms für Forschung und Innovation. Er teilt die Auffassung der High-Level-Group, dass die Unterstützung der EU für Innovationen optimiert werden sollte. Insbesondere müssen im kommenden Rahmenprogramm genügend Mittel für Innovationen bereitgestellt werden. Außerdem sollten die Unterstützungsangebote einfacher, in der Umsetzung schneller und in der Wirkung auf marktfähige Innovationen effektiver werden.
- 12. Der Bundesrat bittet die Kommission, schon während der bis 2020 vorgesehenen Pilotphase des EIC darauf zu achten, dass neben den Unternehmen auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen Zugang zum EIC erhalten. Ein angemessenes Verhältnis des EIC zu den übrigen Förderbereichen des zukünftigen Rahmenprogramms für Forschung und Innovation ist sicherzustellen. Da erste Erfahrungen aus dem Pilotprojekt erst dann vorliegen werden, wenn über die Ausgestaltung des neuen Rahmenprogramms weitestgehend entschieden ist, sollte der EIC mit einer relativ hohen Flexibilität starten.
- 13. Der Bundesrat betont die Notwendigkeit eines gleichwertigen Zugangs der Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zur europäischen Forschungsförderung auch innerhalb des Schwerpunktbereichs Innovation. Nur so können erfolgreiche Innovationsprozesse gelingen. Er bittet die Kommission, im nächsten Rahmenprogramm für Forschung und Innovation auch im Bereich der produktorientierten Forschung mit hohem Reifegrad ("Technology Readiness Level" - TRL) die Einführung eines "Fast Track to societal Innovation" zu prüfen oder einen "Society Readiness Level" als Indikator ins Auge zu fassen.
- 14. Schlüsseltechnologien sind für Europa von besonderer Bedeutung und müssen im 9. Rahmenprogramm angemessen berücksichtigt werden. Dabei sollten Schlüsseltechnologien sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Forschung mit hohem Anwendungspotenzial über alle TRL gefördert werden.
- 15. Der Bundesrat betont die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) auch in europäischen Innovationsprozessen. Vor dem Hintergrund eines sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs müssen gerade auch KMU noch innovationsstärker werden. Dies muss im kommenden Rahmenprogramm für Forschung und Innovation berücksichtigt werden. Er teilt die positive Einschätzung der Kommission bezüglich des KMU-Instrumentes bei der Unterstützung von Innovationen und hält es für erforderlich, diesem Instrument auch im 9. Rahmenprogramm einen starken Stellenwert einzuräumen. Daher muss sichergestellt sein, dass es im kommenden Programm für Forschung und Innovation mindestens wieder ein 20-Prozent-Ziel für Mittel, die an KMU gehen, geben wird.
- 16. Gerade auch um grundlegende Innovationen marktfähig zu machen, soll es nach Auffassung des Bundesrates auch im kommenden Rahmenprogramm für Forschung und Innovation eine Förderung von Innovationen mit europäischer Dimension für KMU geben. Dabei soll das KMU-Instrument optimiert werden. Dabei ist auch darauf zu achten, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Förderung durch geeignete Maßnahmen verbessert wird.
- 17. Der Bundesrat betont die Bedeutung der europäischen Verbundforschung und hierbei insbesondere die Forschung in kleinen Verbünden mit 5 bis 15 Partnern. Er hält es für erforderlich, die Verbundforschung innerhalb der gesamten Innovationskette zu verankern und darin auch den Bereich der Grundlagenforschung zu stärken. Er fordert die Kommission daher auf, für die Verbundforschung ein signifikantes Budget innerhalb des 9. Rahmenprogramms vorzusehen.
- 18. Forschungsprojekte und Verbundprojekte mit Forschungseinrichtungen sind wichtig, um den Mehrwert europäischer Kooperationen für KMU und mittelstandorientierte Forschungseinrichtungen erfahrbar zu machen. Dazu muss in der nächsten Förderperiode ab 2021 eine ausreichende Finanzierung bereitgestellt werden. Der Bundesrat setzt sich darüber hinaus für die Wiedereinführung eines KMU-spezifischen Forschungsprogramms (ähnlich wie "Research4SME" im 7. Forschungsrahmenprogramm und früher) ein, bei dem besonders die Zusammenarbeit von KMU und Forschungseinrichtungen unterstützt wird.
- 19. Der Bundesrat nimmt die Absicht der Kommission zur Kenntnis, über die Definition konkreter Entwicklungsziele mit strategischer Relevanz ("Missionen") die Effizienz der europäischen Forschungs- und Innovationsförderung und deren öffentliche Wahrnehmung zu stärken. Er weist darauf hin, dass für die Anwendung dieses Verfahrens auf die Forschungsförderung noch keine ausreichenden Erfahrungen bestehen und beispielsweise die Beziehung zu den "FET-Flagship-Initiativen" noch völlig ungeklärt ist. Er hält es daher für geboten, "Missionen" zunächst behutsam und nur bezogen auf einen kleinen Teil des zur Verfügung stehenden Budgets einzusetzen und zu evaluieren. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Länder an dem Prozess zur Definition und Auswahl der "Missionen" frühzeitig und aktiv zu beteiligen.
- 20. Er spricht sich für eine Fortsetzung des eingeschlagenen Wegs der Vereinfachung ("Simplification") aus. Die europäische Forschungs- und Innovationsförderlandschaft ist übersichtlich zu gestalten und der Vereinfachungsprozess in Abhängigkeit von den jeweiligen Förderformen voranzutreiben.
Die künftige Förderung muss Förderinstrumente enthalten, die möglichst zielgerichtet wirken. So sind in frühen Innovationsphasen Zuschüsse anderen Förderinstrumenten vielfach überlegen.
Die Zuwendungen für Forschung und Innovation dürfen nicht durch die Finanzierung in Form von Darlehen ersetzt werden. Auch eine Forschungsförderung über Pauschalbeträge lehnt der Bundesrat ab.
- 21. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 2016 zur Zwischenevaluierung von Horizont 2020 (BR-Drucksache 749/16(B) ) die zentrale Bedeutung der Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den EU-13-Staaten für das zukünftige Rahmenprogramm betont. Er betont erneut die Notwendigkeit, bestehende Beteiligungsmethoden zu modifizieren, neue Beteiligungsformate und Anreizsysteme zu entwickeln und sachgerecht finanziell auszustatten, um die gesellschaftliche und politische Akzeptanz der europäischen Förderung zu erhöhen.
- 22. Der Bundesrat begrüßt im Grundsatz Überlegungen der Kommission, Synergien zwischen dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation und anderen europäischen Förderprogrammen zu schaffen.
- 23. Die systemische Entwicklung von Synergien sollte unter Beachtung des Zielprimats innerhalb der jeweiligen Fonds erfolgen. Nur so kann eine Zielüberfrachtung oder ein Zielkonflikt für die spezifischen Ziele vermieden werden. Der Wettbewerb unter allen Regionen Europas ist der einseitigen Bevorzugung von weniger leistungsstarken Regionen vorzuziehen. Wettbewerbliche Verfahren erfordern zwar einen erhöhten Aufwand der Abstimmung und bringen weniger Interoperabilität, doch sie sind geeignet, Innovationen hervorzubringen und tragen zur Exzellenzförderung bei.
- 24. Der Bundesrat weist darauf hin, dass zur Realisierung von Synergien sowohl verbesserte Abstimmungen innerhalb der Kommission als auch mit den Mitgliedstaaten erforderlich sind. Darüber hinaus erachtet er eine Harmonisierung der verschiedenen Förderbedingungen sowie eine Vereinfachung der rechtlichen Verfahren der entsprechenden Programme für notwendig. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Kommission die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Synergien unterstützt und konkrete Vorschläge vorlegt.
- 25. Erfolgreiche Forschung und Innovation kann in Europa besser erreicht werden, wenn das in jeder europäischen Region vorhandene verschiedenartige Knowhow, soweit möglich, miteinander geteilt wird (Open Innovation). In diesem Zusammenhang sollten in der kommenden EU-Förderperiode zusätzliche Fördermöglichkeiten für die interregionale Zusammenarbeit im Innovationsbereich jenseits der bisherigen Interreg-Gebietskulissen geschaffen werden. Dies würde auch der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Europas dienen.
- 26. Der Plan der Kommission, die Zusammenarbeit europäischer Hochschulen im Bildungs- wie im Forschungs- und Innovationsbereich und die aktuell in der Diskussion stehende Schaffung von Netzwerken europäischer Hochschulen zu stärken, wird grundsätzlich unterstützt. Der Bundesrat hält fest, dass dies von den Hochschulen selbst ausgehen muss. Die EU kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, indem sie diese Form der Bottom-up-Zusammenarbeit finanziell fördert. Damit einhergehende Eingriffe in die hochschulischen Curriculae, für welche auf EU-Ebene keine Zuständigkeit besteht, lehnt er ab.
- 27. Der Bundesrat sieht in der Information von Bürgerinnen und Bürgern über wissenschaftliche Errungenschaften und den Mehrwert der europäischen Forschungs- und Innovationsförderung eine der zukünftigen Herausforderungen für die Akzeptanz von Wissenschaft und Forschung in der Gesellschaft. Er begrüßt daher die verstärkte Einbindung gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure und neuer Formen der Bürgerbeteiligung in der Wissenschaftskommunikation in das nächste Rahmenprogramm für Forschung und Innovation. Eine Bürgerbeteiligung beim Setzen der Forschungsagenden (so genanntes Co-Design) lehnt er als Eingriff in die in Deutschland verfassungsrechtlich garantierte Wissenschaftsfreiheit jedoch ab.
- 28. Der Bundesrat setzt sich dafür ein, dass die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen und Entscheidungsgremien sowie die Einbeziehung der Genderdimension in Forschungsprogramme und Inhalte der Forschung konsequent weiter verfolgt wird.
- 29. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, dass die zivile Ausrichtung der europäischen Rahmenprogramme für Forschung und Innovation beibehalten werden sollte. Verteidigungsorientierte Forschung darf aufgrund ihrer besonderen Sensibilität, ihrer speziellen Erfordernisse und Zielsetzungen nicht in zukünftige Forschungsrahmenprogramme integriert werden. Im Rahmen der EU-Verteidigungspolitik ist auch ein signifikanter Budgetanteil für Verteidigungsforschung vorgesehen. Wo diese im EU-Kontext zu verorten ist, wird momentan in Brüssel kontrovers diskutiert. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine verteidigungsorientierte Forschung aufgrund ihrer besonderen Sensibilität sowie ihrer speziellen Erfordernisse und Zielsetzungen strikt vom 9. Forschungsrahmenprogramm getrennt werden und die Dotierung entsprechender Haushaltslinien nicht zu Lasten des 9. Forschungsrahmenprogramms erfolgen sollte.
- 30. Er behält sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt zu den weiteren Entwicklungen zu einem Nachfolgeprogramm von Horizont 2020 erneut Stellung zu nehmen.
- 31. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.