953. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2017
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass sich die Kommission in ihrer Mitteilung dazu verpflichtet, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2015 verabschiedete Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und die darin enthaltenen globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) auf europäischer Ebene umfassend, das heißt in den internen und externen Politiken, umzusetzen und die nachhaltige Entwicklung zu einem Hauptleitprinzip ihrer gesamten Politik zu erheben. Damit kommt die Kommission einer schon seit langem bestehenden Verpflichtung der europäischen Verträge nach (Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 EUV).
- 2. Es wird zudem begrüßt, dass die Mitteilung die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips und der Kompetenzabgrenzung zwischen EU und Mitgliedstaaten im Kontext der nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt.
- 3. Der Bundesrat hält es dementsprechend für konsequent, dass die Kommission ankündigt, dass es im Rahmen des neuen, über 2020 hinausreichenden mehrjährigen Finanzrahmens der EU zu einer Umschichtung von Haushaltsmitteln auf Maßnahmen zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele kommen müsse.
- 4. Auch die von der Kommission vorgesehene regelmäßige Berichterstattung über die Fortschritte der EU zur Umsetzung der Agenda 2030 ab dem Jahr 2017 wird begrüßt.
- 5. Der Bundesrat teilt aber nicht die Auffassung der Kommission, dass bereits das bisherige Governance-System innerhalb der Kommission und der EU insgesamt die Umsetzung des Leitprinzips der nachhaltigen Entwicklung und der Agenda 2030 sicherstellt. Es existieren dazu bisher keine ausreichenden verfahrensmäßigen Vorkehrungen im Entscheidungssystem der Kommission oder der EU.
- 6. Wie groß die Herausforderungen der EU bei der nachhaltigen Entwicklung und der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele sind, zeigt der Bericht des Europäischen Statistikamtes Eurostat, der zeitglich mit der KommissionsMitteilung im November 2016 vorgelegt wurde.
- 7. Die notwendigen Fortschritte werden nach Auffassung des Bundesrates nur bei einer konsequenten Ausrichtung der EU-Politiken zu erreichen sein. Dazu ist insbesondere ein Herunterbrechen der globalen Nachhaltigkeitsziele durch eigene ambitionierte Nachhaltigkeitsziele der EU erforderlich, die einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der globalen Ziele leisten.
- 8. In vielen Staaten weltweit und in fast allen Mitgliedstaaten der EU werden derzeit eigene Nachhaltigkeitszielsysteme in Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele erarbeitet oder wurden solche Zielsysteme bereits verabschiedet. Die Bundesregierung hat im Januar 2017 nach Beteiligung der Länder eine neue Bundes-Nachhaltigkeitsstrategie mit eigenen Zielen zu allen 17 globalen Nachhaltigkeitszielen verabschiedet. Viele Länder haben eigene Nachhaltigkeitsstrategien verabschiedet oder angepasst bzw. arbeiten an eigenen Zielsystemen zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele. Diese werden fortlaufend an neue Entwicklungen, auch auf EU-Ebene, anzupassen sein.
- 9. Da in vielen der relevanten Politikfelder Handeln der EU eine wichtige Rolle spielt (zum Beispiel Agrar- und Umweltpolitik), ist für einen effektiven Beitrag Europas zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele ein europäischer Nachhaltigkeitsrahmen erforderlich. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich die Aktivitäten auf EU-Ebene und die Aktivitäten in den Mitgliedstaaten und Regionen gegenseitig ergänzen und verstärken.
- 10. Wichtig erscheint dabei vor allem eine Anpassung der Finanzierungssysteme, insbesondere der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds, der Gemeinsamen Agrarpolitik und der EU-Forschungsprogramme. In diesen Instrumenten ist über das bestehende Klimaziel hinaus nachhaltige Entwicklung als bereichsübergreifender Grundsatz in allen Phasen der Programmierung und Umsetzung zu verankern.
- 11. Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, dass es zeitnah auf EU-Ebene zur Festlegung von ambitionierten strategischen Zielen zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele bis zum Jahr 2030 und zur Vereinbarung eines Indikatorensystems kommt. Dies kann beispielsweise, wie auch vom Ausschuss der Regionen der EU in mehreren Stellungnahmen gefordert, in einer neuen EU-Nachhaltigkeitsstrategie oder einer auf die Europa-2020-Strategie aufbauenden Europa-2030-Strategie geschehen. Ein solcher neuer strategischer Ansatz ist auch mit einem wirksamen Umsetzungsmechanismus zu versehen, der bei der bisherigen Nachhaltigkeitsstrategie der EU von 2001 fehlte. Es muss sichergestellt werden, dass sich in der Kommission künftig eine mit hinreichenden Kapazitäten und Einflussmöglichkeiten ausgestattete Arbeitseinheit mit der Umsetzung des Leitprinzips der nachhaltigen Entwicklung und der Agenda 2030 in der ganzen thematischen Breite befasst; hier kommt dem Generalsekretariat der Kommission eine besondere Bedeutung zu.
- 12. Die laufenden Arbeiten an einem neuen Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik auf Grundlage der Mitteilung der Kommission vom 22. November 2016 (COM (2016) 740 final) zeigen, dass zur Zeit weiterhin nur politikfeldspezifisch über die Folgerungen aus der Agenda 2030 und ihre Umsetzung auf der EU-Ebene diskutiert wird und klar formulierte strategische Ziele und Indikatoren fehlen.
- 13. Insbesondere mit Blick auf die für Ende 2017 angekündigten ersten Vorschläge der Kommission zum neuen mehrjährigen Finanzrahmen der EU nach 2020 erscheint es nicht ausreichend, dass die Festlegung von Zielen für 2030 in einen zeitlich in keiner Weise festgelegten langfristigen Reflexionsprozess verschoben wird. Der Bundesrat fordert die Kommission deshalb auf, bereits bei Vorlage der für Ende 2017 angekündigten ersten Vorschläge zum neuen mehrjährigen Finanzrahmen die angekündigte Umschichtung von Haushaltsmitteln zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele zu berücksichtigen, und verweist dabei insgesamt auf seine Stellungnahme vom 16. Dezember 2016 (BR-Drucksache 521/16(B) ).
- 14. Die Kommission sollte nach Auffassung des Bundesrates außerdem umgehend einen interinstitutionellen Konsultationsprozess unter Beteiligung der Mitgliedstaaten sowie der Regionen und Länder der EU einleiten, um den notwendigen strategischen Gesamtrahmen für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf EU-Ebene zeitnah zu erarbeiten. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU hat bereits wichtige erste Konsultationsmaßnahmen unternommen.
- 15. Dieser Konsultations- und Entscheidungsprozess sollte auch mit dem Nachdenken über die Zukunft Europas, eingeleitet nach dem EU-Referendum im Vereinigten Königreich, verbunden werden. Eine neue strategische Vision 2030 der EU erscheint auch wichtig, um das Vertrauen der Unionsbürgerinnen und -bürger in die Zukunft der EU zu festigen. Das 60. Jubiläum der Römischen Verträge, das die EU im März dieses Jahres feiern wird, bietet einen guten Anlass, für die Erarbeitung einer solchen neuen Vision für die EU.
- 16. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission und das Europäischen Parlament.