963. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 2017
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission mit ihrer Mitteilung zu einer neuen Strategie für die Industriepolitik der EU gestarteten Initiative, sich erneut der Zukunft der europäischen Industrie und deren Stärkung für den internationalen Wettbewerb zu widmen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt, dass sich die Kommission erneut mit der industriepolitischen Strategie befasst.
- 3. Der Bundesrat erkennt an, dass mit der Erhöhung des Anteils des verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung von 15,5 Prozent auf 17,1 Prozent ein erster Schritt in die richtige Richtung getan ist. Allerdings sind noch erhebliche Anstrengungen nötig, um den Anteil der Industrie am BIP der EU bis 2020 wieder auf 20 Prozent zu heben. Dazu zählen vor allem der Erhalt und die Weiterentwicklung der unterschiedlichen Infrastrukturen sowie die Schaffung eines stabilen, vereinfachten und vorhersehbaren Rechtsrahmens, der die unternehmerische Initiative und Innovation begünstigt. Es ist alles zu unternehmen, um die Integration der Unternehmen der EU in die globalen Wertschöpfungsketten zu erleichtern, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und den freien und fairen Zugang zu globalen Märkten zu sichern und auszubauen.
- 4. Der Bundesrat fordert eine kohärente europäische Energie- und Klimapolitik bis 2030, die auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie achtet und Innovationsanreize für neue Technologien schafft. Die Energieversorgung muss zuverlässig, umweltverträglich und bezahlbar sein. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass dieses Zieldreieck nicht zu Lasten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrieunternehmen in ein Ungleichgewicht gerät.
- 5. Nach Auffassung des Bundesrates ist bei der Überarbeitung der Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien im Jahre 2019 dafür Sorge zu tragen, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrieunternehmen in Europa nicht negativ beeinträchtigt wird und Ausnahmen wie zum Beispiel die Entlastungen von der EEG-Umlage in Deutschland (Besondere Ausgleichsregelung) weiterhin möglich bleiben.
- 6. Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass der digitale Wandel im Mittelpunkt der industriellen Revolution steht. Er bittet darauf zu achten, dass die Maßnahmen zur Unterstützung des digitalen Wandels gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen. Außerdem muss die Digitalisierung der Industrie auch in allen Regionen stattfinden. Deshalb müssen Unterstützungsmaßnahmen so angelegt sein, dass sie auch bei Unternehmen ankommen, die ihren Sitz nicht in den Ballungszentren haben.
- 7. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Innovationskraft der Industrie ein Schlüsselfaktor für ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit ist. Aspekte, wie die in der Mitteilung angesprochene Vergrößerung der Innovationslücke der EU im Vergleich zu Ländern wie Japan und Südkorea, aber auch die nach den Zahlen des Europäischen Innovationsanzeigers 2017 eher unterdurchschnittliche Innovationsentwicklung in Deutschland müssen daher ernst genommen werden. Bei der Förderung von Innovationen müssen auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) hinreichend berücksichtigt werden. Gerade vor dem Hintergrund eines noch intensiver werdenden Innovationswettbewerbs muss darauf geachtet werden, dass Innovationen im kommenden Rahmenprogramm für Forschung und Innovation in hinreichender Weise unterstützt werden können. Außerdem bittet der Bundesrat die Kommission, Kooperationen im Innovationsbereich von Unternehmen mit Forschungseinrichtungen und untereinander sowie Innovationskooperationen europäischer Regionen noch stärker zu unterstützen.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass für die deutsche Industrie die Höhe der Strompreise und eine absolut zuverlässige Stromversorgung von herausragender Bedeutung sind. Auch vor diesem Hintergrund ist das in der Mitteilung angesprochene Winterpaket der Kommission mit dem Titel "Saubere Energie für alle Europäer" kritisch zu sehen. Insbesondere darf der Kommission nicht das vorgesehene Durchgriffsrecht bei der Stromgebotszonenkonfiguration mit unabwägbaren Folgen für die Strompreisentwicklung in Deutschland eingeräumt werden. Außerdem dürfen zentrale Aspekte der Versorgungssicherheit nicht auf europäische Institutionen verlagert werden, um für den Industriestandort Deutschland nicht die Gefahr zu begründen, dass das hohe Niveau der Versorgungssicherheit auf europäischen Durchschnitt absinken könnte. Der Bundesrat verweist daher auf seine Stellungnahme vom 31. März 2017 (BR-Drucksache 186/17(B) ) und bekräftigt noch einmal, dass er alle Vorschläge und Maßnahmen ablehnt, die das Recht der Mitgliedstaaten beeinträchtigen, die allgemeine Struktur ihrer Energieversorgung oder die Bedingungen für die Nutzung ihrer Energieressourcen selbst zu bestimmen.
- 9. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Bedeutung der Automobilindustrie für die Wirtschaft der EU anerkennt. Bei den angekündigten Vorschlägen zur "emissionsarmen Mobilität" ist darauf zu achten, dass eine ausgewogene Balance zwischen Klimaschutz sowie Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in der Automobilindustrie hergestellt wird. Der Bundesrat hält es für erforderlich, angesichts der bestehenden Unsicherheiten im Hinblick auf alternative Antriebe auf Technologieoffenheit zu achten. Im Hinblick auf den Markt für alternative Antriebe ist dafür Sorge zu tragen, dass europaweit Infrastrukturen für alternative Kraftstoffe aufgebaut werden, die für alle zugänglich sind.
- 10. Der Bundesrat weist darauf hin, dass im Hinblick auf Klimaschutzziele und die CO₂-Regulierung für Pkw das technisch Machbare berücksichtigt werden muss. Dabei ist die teilweise noch fehlende Akzeptanz alternativer Antriebe bei den Kundinnen und Kunden zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang hält es der Bundesrat für notwendig, im Automobilbereich einen einheitlichen Binnenmarkt zu gewährleisten, ohne dass es zu Alleingängen von Mitgliedstaaten, zum Beispiel im Hinblick auf Verbote von Verbrennungsmotoren oder die Einführung nationalstaatlicher E-Auto-Quoten, kommen kann.
- 11. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass Investitionen in Batterien eine strategische Bedeutung zukommt. Der Bundesrat hält es für notwendig, die Forschungen für die nächste Generation von Batterietechnologien in Zusammenarbeit mit der Industrie zu intensivieren. Des Weiteren müssen die Rahmen- und Investitionsbedingungen für den Aufbau einer Batteriezellfertigung durch Einstufung der Batteriezellfertigung als Industrieprojekt von gemeinsamem europäischen Interesse verbessert werden.
- 12. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die vielfältigen Herausforderungen, mit denen die europäische Industrie konfrontiert ist, nur gelöst werden können, wenn den Unternehmen dauerhaft ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten zu den unterschiedlichen Finanzierungsanlässen zur Verfügung stehen. Dies setzt eine Regulierung mit Augenmaß voraus, die immer auch die Bedeutung der gesamten Finanzbranche für die Wachstums- und Innovationsfähigkeit der Industrie im Blick behält. Insbesondere sollte der Versuchung widerstanden werden, den Unternehmen Vorgaben für die Art der jeweils individuellen Finanzierungsform zu machen. Insofern begrüßt der Bundesrat die Initiativen der Kommission, die die vorhandenen Finanzierungangebote für die KMU spürbar verbreitern und deutlich verbessern. Zugleich werden aber Überlegungen abgelehnt, die einzelne Finanzierungsformen benachteiligen oder erschweren. Insbesondere für KMU wird der Bankkredit auch künftig ein zentraler Finanzierungsbaustein bleiben müssen. Die Erschwerung der Kreditvergabemöglichkeiten, etwa durch komplexe Nachhaltigkeitskriterien, wird negative Auswirkungen auf Wachstumspotentiale und die Innovationsfähigkeit der Unternehmen haben.
- 13. Zu Recht legt die Kommission besonderes Augenmerk auf die spezifischen Bedürfnisse und Potentiale von KMU sowie die Stärkung vollständiger Wertschöpfungsketten in der EU. Ebenso wie die Kommission hält der Bundesrat es für sehr wichtig, neben dem Sozial-, Verbraucher- und Umweltschutz die vielschichtigen Auswirkungen von Rechtsvorschriften im Rahmen einer "besseren Rechtsetzung" auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit, auf Investitionen sowie auf die KMU im Besonderen zu berücksichtigen.
- 14. Vor diesem Hintergrund hält es der Bundesrat für erforderlich, bei der Entwicklung und Bewertung industriepolitischer Maßnahmen zusätzlich die Auswirkungen von Stoffregulierungen - und insbesondere stärker faktische Auswirkungen von REACH-Zulassungspflichten auf das Marktverhalten - in den Fokus zu nehmen. Dies richtet sich an alle Entscheidungsträger und beteiligten Behörden auf nationaler und EU-Ebene.
Im Rahmen einer nachhaltigen Industriepolitik ist auch dafür Sorge zu tragen, dass Unternehmen Geschäftsfelder nicht in Drittstaaten verlagern, in denen vergleichbar hohe Arbeitsschutz- und Umweltschutzstandards nicht gewährleistet sind. Dies ist insbesondere bei Zulassungspflichten und -entscheidungen sowie bei Beschränkungen nach der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 vom 18. Dezember 2016 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung) zu berücksichtigen.
Nach wie vor ist in vielen Fällen schon der sehr hohe finanzielle Aufwand zum Beispiel für REACH-Zulassungsanträge (im Schnitt 120.000 Euro) für viele KMU nicht leistbar oder bei geringen Tonnagen unwirtschaftlich, so dass es zur Aufgabe von Geschäftsfeldern in der EU kommt und sich dies in der Folge in der gesamten Wertschöpfungskette auswirkt.
- 15. Mit besonderer Sorge sieht der Bundesrat REACH-Zulassungspflichten für Stoffe, die nur im Herstellungsverfahren eines Produktes Einsatz finden, im Endprodukt selbst aber nicht mehr enthalten sind, so dass nur die Produkthersteller in der EU (nicht aber die Importeure in Drittstaaten) betroffen sind und erhebliche Wettbewerbsnachteile erleiden.
- 16. Der Bundesrat hält es in diesem Zusammenhang für absolut prioritär, dass vor Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste für eine Zulassungspflicht eine transparente und für die Betroffenen nachvollziehbare Prüfung der Risikomanagement-Optionen (Risikomanagementoptionsanalyse - RMOA) unter frühzeitiger Einbeziehung der Wirtschaft erfolgt. Soweit eine solche RMOA in bisherigen Verfahren nicht erfolgt ist, müssen die dafür maßgeblichen Bewertungen auch im fortgeschrittenen Stadium der jeweiligen Stoffregulierung nachgeholt werden.
- 17. Der Bundesrat weist auf die essentielle Bedeutung von Planungs- und Rechtssicherheit für die Unternehmen auch im Hinblick auf die Zulässigkeit der Herstellung oder Verwendung bestimmter Chemikalien hin.
Die Geltungsdauer einer REACH-Zulassung muss mit Investitions- und Innovationszyklen sowie dem Zeitaufwand für weitere Produkt- und Materialzulassungen kompatibel sein.
Über rechtzeitig gestellte Zulassungsanträge muss vor Ablauf des Sunset-Date entschieden sein (im Fall Chromtrioxid waren am Sunset-Date noch 20 von 23 Zulassungsanträgen offen), da die übergangsweise Zulässigkeit der Stoffherstellung und Stoffverwendung praktisch keine konkurrenzfähige Basis für längerfristige Lieferbeziehungen bietet.
- 18. Der Bundesrat unterstützt nachdrücklich das Engagement der Kommission für die Sicherung einer zuverlässigen, nachhaltigen und kostengünstigen Rohstoffversorgung. Die Förderung der heimischen Rohstoffwirtschaft ist dafür eine wichtige Säule. Sie fördert die regionale Wertschöpfung und verringert die Abhängigkeit von Rohstoffimporten. Vor diesem Hintergrund hält der Bundesrat eine finanzielle Unterstützung der EU für die Unternehmen bei der Erkundung neuer Bergwerke (Risikokapital) und für die Sanierung historischer Altlasten zur Förderung der Akzeptanz zukünftigen Bergbaus wie auch eines Rohstoffbewusstseins in der Bevölkerung für essentiell.
- 19. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 20. Der Ausschuss für Kulturfragen und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.