956. Sitzung des Bundesrates am 31. März 2017
A
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat erinnert an seine Stellungnahme zum "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität", KOM (2011) 32 endg.; Ratsdok. 6007/11, vom 18. März 2011, vgl. BR-Drucksache 073/11(B) . Den dort aufgeführten Bedenken wird die Richtlinie (EU) Nr. 2016/681 nicht ausreichend gerecht. Sie gelten daher auch in Bezug auf den vorliegenden Gesetzentwurf zur Umsetzung dieser Richtlinie.
- b) Die Bedenken gegen den Gesetzentwurf werden bestärkt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung im Bereich der Telekommunikation (vgl. zuletzt das Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 -). Hiernach muss sich eine Vorratsdatenspeicherung, die in die Grundrechte nach Artikel 7 und 8 der EU-Charta eingreift, auf das absolut Notwendige beschränken. Insbesondere muss ein Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Zweck bestehen. Die Bekämpfung der schweren Kriminalität kann für sich genommen nicht eine unterschiedslose Vorratsspeicherung von (kommunikationstechnischen) Verkehrs- und Standortdaten rechtfertigen und ohne Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme pauschal sämtliche Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, erfassen, auch wenn sie keinerlei Anhaltspunkte dafür bieten, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Diese Grundsätze lassen sich auch auf die Fluggastdatenspeicherung übertragen. Nach dem vorliegenden Konzept dient die Fluggastdatenverarbeitung nicht allein dem einmaligen Abgleich zum Zwecke der Sicherung der Flugbewegungen oder der Sicherheitsprüfung bei einem Grenzübertritt. Vielmehr wird für einen Zeitraum von fünf Jahren ab Datenübermittlung ein umfangreicher Datenpool für den späteren Zugriff von Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden geschaffen. Die umfangreiche Fluggastdatenspeicherung geht voraussichtlich über das unbedingt erforderliche Maß hinaus, das zur Verhinderung und Aufdeckung terroristischer Straftaten und grenzübergreifender schwerer Kriminalität erforderlich ist. Daher bestehen an der Vereinbarkeit der Regelungen mit der EU-Grundrechtecharta erhebliche Zweifel.
- c) Der Bundesrat bittet den Deutschen Bundestag, bei seinen Beratungen die demnächst anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Abkommen zwischen der EU und Kanada über die Übermittlung von Fluggastdatensätzen zu berücksichtigen (Verfahren über den Gutachtenantrag 1/15). Angesichts der vom Gerichtshof vorgelegten Fragen dürfte auch die Beachtung der EU-Grundrechtecharta Gegenstand des Gutachtens werden (siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 8. September 2016).
2. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine nachvollziehbare Darstellung der den Ländern voraussichtlich entstehenden Kosten vorzulegen.
Begründung:
Laut Gesetzesbegründung geht der Bund davon aus, dass für Länder und Kommunen kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand anfällt. Diese Einschätzung ist aus folgenden Gründen in Zweifel zu ziehen:
Gemäß § 6 FlugDaG-E kann die Fluggastdatenzentralstelle die aus einem Abgleich resultierenden Fluggastdaten und Ergebnisse der Verarbeitung zur weiteren Überprüfung oder zur Veranlassung geeigneter Maßnahmen unter anderem an die Landeskriminalämter und die Verfassungsschutzbehörden der Länder übermitteln. Durch diese Weitergabe von Informationen oder Treffern werden Folgemaßnahmen in den Ländern ausgelöst (Verdacht einer Straftat, Legalitätsprinzip). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass hierdurch ein nicht unerheblicher Aufwand, zum Beispiel durch höheren Personalbedarf, in den Ländern verursacht wird. Es sollte daher eine nachvollziehbare Darstellung der den Ländern voraussichtlich entstehenden Kosten vorgelegt werden.
3. Zu § 4 Absatz 1 FlugDaG
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob der Straftatenkatalog des § 4 Absatz 1 FlugDaG-E um die Straftatbestände § 109h (Anwerben für fremden Wehrdienst), § 235 (Entziehung Minderjähriger) und § 237 (Zwangsheirat) StGB erweitert werden sollte.
Begründung:
§ 4 FlugDaG-E regelt die Voraussetzungen für die Verarbeitung der Fluggastdaten. Der Gesetzentwurf enthält hierzu in § 4 Absatz 1 FlugDaG-E einen Straftatenkatalog, der die relevanten Straftatbestände für die Bekämpfung und Verfolgung des internationalen Terrorismus, insbesondere des islamistischen Terrorismus, abbildet. Der Abgleich der Fluggastdaten soll der Identifizierung derjenigen Personen dienen, die die im Straftatenkatalog benannten Straftaten begangen haben oder bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie solche Straftaten innerhalb eines übersehbaren Zeitraumes begehen werden. Aus Sicht des Bundesrates erscheint eine Überprüfung des Katalogs im Hinblick auf eine mögliche Ergänzung um folgende Straftatbestände angezeigt:
Zu 109h StGB:
§ 109h StGB ist von dem Straftatenkatalog des § 4 Absatz 1 FlugDaG-E nicht umfasst. Das unter Strafe gestellte Anwerben für fremden Wehrdienst weist in bestimmten Fällen jedoch deutliche Bezüge zum internationalen Terrorismus auf. So engagieren sich Anhänger des Salafismus in Deutschland seit längerem stark für den Einsatz von Kämpfern in Syrien. Unter anderem wird auch bereits gegen einen bundesweit bekannten Salafistenprediger wegen des Verdachts des Anwerbens für einen fremden Wehrdienst ermittelt.
Neben dem islamistischen Terrorismus finden sich auch Anwendungsbeispiele in anderen Phänomenbereichen, beispielsweise im Bereich des Anwerbens für eine kämpfende PKK-Unterorganisation. Die Prüfung einer entsprechenden Aufnahme des § 109h StGB in den Straftatenkatalog des § 4 Absatz 1 FlugDaG-E erscheint daher mit Blick auf eine effektive Umsetzung der Zielvorgaben der Richtlinie (EU) Nr. 2016/681 sachgerecht.
Zu §§ 235 und 237 StGB:
Eine Überprüfung des Straftatenkataloges des § 4 Absatz 1 FlugDaG-E ist auch im Hinblick auf die Straftatbestände der Entziehung Minderjähriger und der Zwangsheirat - §§ 235, 237 StGB - geboten. Beiden Delikten kommt insbesondere im Zusammenhang mit dem IS-Terror bzw. seiner Förderung verstärkt Bedeutung zu. Im Referentenentwurf waren sie noch aufgeführt, vom Anwendungsbereich des Gesetzes in der vorliegenden Entwurfsfassung werden sie jedoch nicht erfasst. Im Sinne einer effektiven und umfassenden Schutzgewährung sollte daher auch insoweit eine entsprechende Ergänzung erwogen werden.
B
- 4. Der Finanzausschuss, der Verkehrsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.