Punkt 1 der 887. Sitzung des Bundesrates am 30. September 2011
Der Bundesrat möge zu dem Gesetz folgende Entschließung fassen:
"Den Euro dauerhaft stabilisieren - Notwendige Maßnahmen über die Europäische Finanzstabilitäts-Fazilität hinaus"
I. Die europäische Einigung nützt uns
- 1. Die EU ist mehr als eine Wirtschafts- und Währungsunion. Mit dem europäischen Einigungsprojekt verknüpfen sich Hoffnungen und Perspektiven für eine friedliche, demokratische, auf gemeinsame Überzeugungen und Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität basierende Entwicklung. Zudem bietet die EU einen wesentlichen Rahmen zur Gestaltung der Globalisierung.
- 2. Die europäische Währung ist ein zentraler Baustein für die europäische Integration und eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren und den Erfolg des europäischen Binnenmarktes.
- 3. Deutschland gehört zu den Gewinnern der europäischen Integration und der gemeinsamen Währung. Ohne die Einbindung in europäische Strukturen hätte es keine Wiedervereinigung gegeben. Der Euro ist eine der wesentlichen Grundlagen des deutschen Exporterfolgs der vergangenen Jahre. Deshalb liegt es im besonderen deutschen Interesse, den europäischen Einigungsweg fortzusetzen und die Währungsunion zu stabilisieren sowie dauerhaft krisenfest zu machen.
II. Aus der Krise der Währungsunion darf keine Krise Europas werden
- 4. Aufgrund des im Wesentlichen durch die Finanzmarktkrise hervorgerufenen hohen Schuldenstands mehrerer Euro-Staaten ist die gemeinsame europäische Währung in Gefahr geraten. Vorschläge, wonach hoch verschuldete Staaten den Euro aufgeben oder gar aus der EU austreten sollen, bieten keine Lösung. Im Gegenteil verstärken sie den Druck auf die gemeinsame Währung und beinhalten eine erhebliche Sprengkraft für das europäische Einigungsprojekt insgesamt.
- 5. Die notwendige Konsolidierung der nationalen Haushalte muss mit einer Erfolg versprechenden nachhaltigen Wachstums- und Wettbewerbsstrategie verbunden werden. Hier ist auch die Solidarität in der EU gefordert. Die EU-Strukturfonds bieten hierfür wichtige Instrumente. Die Kohäsionspolitik der EU ist bereits heute vorrangig auf die wettbewerbsschwächsten EU-Mitgliedstaaten und Regionen ausgerichtet. Im Rahmen der Strategie Europa 2020 sind deren Wachstumspotentiale stärker und effizienter als bisher zu unterstützen und auch an den ökologischen und sozialen Kernzielen auszurichten. Zugleich müssen die Sparauflagen Raum für die perspektivische Entwicklung von neuen Wachstumschancen lassen.
- 6. Ein Ja zur Hilfeleistung verlangt die Stärkung der europäischen Institutionen und eine Verbesserung der Möglichkeiten zur Durchsetzung der eingeforderten und zugesagten Maßnahmen der Krisenländer, die europäische Hilfen in Anspruch nehmen. Dies bedeutet in Teilen einen Verzicht auf nationale Souveränität.
III. Die Ursachen der Krise bekämpfen - eine nachhaltige Wachstums- und Stabilitätsstrategie entwickeln
- 7. Die Krise der Eurozone birgt bei aller Dramatik auch die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und der gemeinsamen Währung endlich eine aufeinander abgestimmte Fiskal- und Wirtschaftspolitik zugrunde zu legen. Der Bundesrat unterstützt die Beschlüsse der EU-Staats- und Regierungschefs zur Stabilisierung des Euro. Auch die mit dem Paket von sechs Rechtsakten der EU ("Six Pack") angestrebte Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Eurozone ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die hier enthaltenen Regelungen greifen allerdings zu kurz, da sie keine grundlegende und dauerhafte Lösung anbieten. Auch wird nicht ausreichend dem Erfordernis Rechnung getragen, in Mitgliedstaaten mit großen Überschuldungsproblemen neben der Haushaltskonsolidierung Wachstumsimpulse zu setzen.
- 8. Aus Sicht des Bundesrates ist für das Funktionieren der Währungsunion eine stärker koordinierte und abgestimmte Wirtschafts- und Fiskalpolitik zwingend erforderlich. Grundlage ist dabei die Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien und die Sanktionierung eventueller Verstöße. Diese Koordinierung und Abstimmung kann sich nicht auf wenige Regierungstreffen pro Jahr beschränken. Sie bedarf, unter Wahrung der Haushaltsautonomie und des Budgetrechts der Parlamente in den Mitgliedstaaten, eines institutionellen Rahmens und zudem - national und europäisch - einer demokratischen Legitimation.
- 9. Ein zentraler Baustein der Stabilisierungsstrategie muss die Regulierung der Finanzmärkte sein. Die Schuldenkrise in den Euroländern hat vor allem ihre Ursache in der zurückliegenden Finanzmarktkrise und der Notwendigkeit milliardenschwerer Rettungsaktionen der Banken. Die Verursacher der Krise müssen auch zu deren Überwindung einen wesentlichen Beitrag leisten. Deshalb ist eine Gläubigerbeteiligung, die den Namen verdient, auch unter Abwägung der Auswirkungen auf die Finanzmärkte, unabdingbar.
- 10. Der Bundesrat kritisiert, dass entgegen der Ankündigungen bisher kaum Maßnahmen ergriffen wurden, um Spekulationen zu beschränken und die Macht der derzeit den Markt beherrschenden Rating-Agenturen zu begrenzen. Den Ratingagenturen muss die Möglichkeit genommen werden, die Kreditwürdigkeit von Staaten durch intransparentes, sachlich und zeitlich nicht nachvollziehbares Herabwerten ihrer Anleihen zu gefährden. Um die einseitige Dominanz der US-Ratingagenturen zu durchbrechen, ist die Einrichtung einer unabhängigen europäischen Rating-Agentur geboten.
- 11. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sowie das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen auf europäischer Ebene könnten zur Vermeidung von Finanzmarktkrisen beitragen. Damit würden die Finanzmärkte durch die Verringerung des spekulativen und technischen Handels insbesondere im Derivatemarkt stabilisiert. Eine Finanztransaktionssteuer würde einen Beitrag zur Konsolidierung der Haushalte leisten und diejenigen müssten einen Anteil der Kosten der globalen Finanzkrise tragen, die sie selbst mit verursacht haben.
- 12. Um vergleichbare Wettbewerbsbedingungen in allen EU-Mitgliedstaaten zu schaffen und einen nach unten gerichteten Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden, ist auf mittlere Sicht die Vereinbarung von Eckpunkten in der Steuerpolitik unabdingbar, z.B. im Hinblick auf die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen sowie die Einigung auf Mindeststeuersätze in der EU. Damit würde ein Beitrag zur Steuergerechtigkeit innerhalb der EU geleistet, der auch die Akzeptanz von Hilfeleistungen im Euro-Raum verbessern kann. Die großen Unterschiede bei der Besteuerung von Unternehmen, Kapitalerträgen und Einkommen in den EU-Mitgliedstaaten und auch der mangelhafte Vollzug sind in der Bevölkerung kaum vermittelbar.
- 13. Notwendig ist eine transparente und vorbehaltlose Prüfung aller Instrumente für eine dauerhafte Stabilitäts- und Wachstumsstrategie, inklusive der Möglichkeit eines Schuldenschnitts. Diese Instrumente müssten in jedem Fall an strenge Bedingungen geknüpft sein und Fehlanreize hinsichtlich der Stabilitätsziele vermeiden.
- 14. Zu einer langfristigen und nachhaltigen Wachstumsstrategie in Europa gehört auch, dass die Binnennachfrage in den Mitgliedstaaten, insbesondere in den exportstarken Ländern, gestärkt wird. In Deutschland kann die Vereinbarung von Mindestlöhnen - so wie sie in nahezu allen anderen EU-Mitgliedstaaten bereits gelten - einen Beitrag hierzu leisten und zur Solidarität in der EU beitragen.