868. Sitzung des Bundesrates am 26. März 2010
A.
Der federführende Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Jahresgutachten 2009/2010 des Sachverständigenrates gemäß § 6 Absatz 1 SachvRatG und zu dem Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung gemäß § 2 Absatz 1 StabG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat nimmt den Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung und das Jahresgutachten 2009/2010 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zur Kenntnis.
- 2. Der Bundesrat teilt die Einschätzung von Bundesregierung und Sachverständigenrat, wonach sich die Wirtschaft in Deutschland nach der schwersten Rezession der Nachkriegszeit zusehends stabilisiert und 2010 wieder moderat wachsen wird. Der Bundesrat betont, dass die Bundesregierung mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz, den Konjunkturpaketen I und II sowie dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz dazu beigetragen hat, die konjunkturelle Lage in Deutschland zu stabilisieren. Er stellt jedoch fest, dass es noch Jahre dauern kann, bis der wirtschaftliche Einbruch des letzten Jahres wieder ausgeglichen sein wird. Er betont zudem, dass hierzu ein nachhaltiger, sich selbst tragender Aufschwung notwendig ist. Neben einer deutlichen Belebung der Weltkonjunktur bedarf es hierzu einer konsequent marktwirtschaftlich ausgerichteten Politik, die auch die binnenwirtschaftlichen Wachstumspotenziale stärkt.
- 3. Der Bundesrat weist auf die bislang erfreulich robuste Entwicklung am Arbeitsmarkt hin, erwartet angesichts nach wie vor außerordentlich schwach ausgelasteter Kapazitäten und weiterhin bestehender erheblicher konjunktureller Risiken aber auch, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr trotz konjunktureller Erholung weiter ansteigen wird. Der Bundesrat hebt hervor, dass die bislang vergleichsweise stabile Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt vor allem auf die intensive Nutzung der Kurzarbeit, die vorausschauende, einem möglichen Fachkräftemangel vorbeugende Personalpolitik der Unternehmen sowie die Bereitschaft der Tarifparteien, tarifvertragliche Flexibilisierungsspielräume zur Beschäftigungssicherung zu nutzen, zurückzuführen ist. Er begrüßt nachdrücklich die Bereitschaft der Tarifparteien, durch eine Lohn- und Tarifpolitik mit Augenmaß zur Beschäftigungssicherung beizutragen.
- 4. Der Bundesrat teilt die Auffassung des Sachverständigenrates, dass eine maßvolle Flexibilisierung des institutionellen Regelwerks auf dem Arbeitsmarkt eine beschäftigungsfreundliche Lohnpolitik fördern und dadurch dem weiteren Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit entgegen wirken kann. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, zum geeigneten Zeitpunkt entsprechende Maßnahmen z.B. im Tarifvertragsrecht zu ergreifen. Der Bundesrat spricht sich zudem dafür aus, die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Bezieher von Arbeitslosengeld II derart umzugestalten, dass die Anreize zur Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung erhöht werden. Er begrüßt die Einsetzung einer entsprechenden ressortübergreifenden Arbeitsgruppe.
- 5. Der Bundesrat teilt die grundsätzlich ablehnende Haltung des Sachverständigenrates gegenüber flächendeckenden und branchenspezifischen Mindestlöhnen, da diese die Gefahr bergen, insbesondere die Beschäftigungschancen von Geringqualifizierten zu verringern. In diesem Zusammenhang begrüßt der Bundesrat die Ankündigung der Bundesregierung, die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Mindestlohn bis Oktober 2011 zu evaluieren.
- 6. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Bundesregierung, angesichts der sich allmählich erholenden Konjunktur auf eine konsistente und geordnete Exit-Strategie aus den staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen umzusteigen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft wieder spürbar zu reduzieren und die Staatsquote mittelfristig auf das Niveau vor der Krise zu senken. Die immense Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte muss ab 2011 konsequent zurückgeführt werden. Das erfordert die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse ebenso wie das Gebot der Generationengerechtigkeit. Der Bundesrat teilt die Forderung des Sachverständigenrates, wonach die Haushaltskonsolidierung vornehmlich durch drastische Kürzungen bei den Ausgaben erfolgen muss. Der Bundesrat unterstreicht, dass die Konsolidierung dabei nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer Natur sein muss. Der Bundesrat fordert deshalb die Bundesregierung auf, das Wachstum der öffentlichen Ausgaben deutlich unter dem Wachstum der Wirtschaftsleistung zu halten, öffentliche Mittel umzuschichten, Gegenwartsausgaben zurückzuführen, Zukunftsinvestitionen zu stärken, Subventionen abzubauen und Effizienzreserven zu heben.
- 7. Der Bundesrat hebt hervor, dass eine nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen durch eine Steigerung des Potenzialwachstums erreicht werden muss. Um die langfristigen Wachstumschancen und damit auch die Chancen für neue Arbeitsplätze und höhere Steuereinnahmen zu verbessern, sieht es der Bundesrat als erforderlich an, Wirtschaft und Bürgern entlang der Vorgaben des Koalitionsvertrags eine verlässliche Perspektive auf dauerhafte steuerliche Entlastungen zu verschaffen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Steuerreformen voranzutreiben in Richtung eines einfacheren, gerechteren und niedrigeren Steuersystems. Bei der Einkommensteuer ist ein Abbau der kalten Progression und eine Abflachung des Mittelstandsbauchs dringend erforderlich.
- 8. Nach Auffassung des Bundesrates müssen wachstumsstärkende Steuerentlastungen vor allem darauf abzielen, die Investitionskraft der Unternehmen zu stärken. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb auf, im Bereich der Unternehmensbesteuerung weitere, wachstumsorientierte Verbesserungen vorzunehmen. Ein wichtiges Ziel muss dabei sein, die Substanzbesteuerung abzuschaffen. Dies gilt für die Mindestbesteuerung, die Zinsschranke, die Mantelkaufregelung, die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen und die bestehenden Restriktionen beim Verlustrücktrag.
- 9. Der Bundesrat begrüßt das Ziel der Bundesregierung, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung anzuheben. Um dieses Ziel zu erreichen und die Innovationsführerschaft auf bedeutenden Zukunftsfeldern zu erhalten bzw. auszubauen, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, zügig ein konkretes Konzept für die im Koalitionsvertrag vereinbarte steuerliche Förderung von FuE vorzulegen.
B.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung gemäß § 2 Absatz 1 StabG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 10. Der Bundesrat begrüßt das Bekenntnis der Bundesregierung zu einer effizienten und klimaverträglichen Energiepolitik und stellt fest, dass das Themendreieck "Ideologiefreiheit, Technologieoffenheit, Marktorientierung" dafür grundsätzlich geeignet sein kann.
- 11. In Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes gibt es aber unterschiedliche Auffassungen über die Ausgestaltung einer adäquaten Marktorientierung. Dabei spielt der zu Grunde liegende Zeithorizont oft eine entscheidende Rolle: Was kurzfristig aus marktökonomischen Gründen sinnvoll erscheint, kann bei mittel- bis langfristiger Perspektive auch volkswirtschaftlich sehr nachteilig sein. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dies bei der Ausgestaltung ihrer künftigen Wirtschaftspolitik zu berücksichtigen, um dem selbstgesetzten Motto "Wohlstand für alle durch nachhaltiges Wachstum" entsprechen zu können.
- 12. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen zeitnah auf den Weg zu bringen.
C.
- 13. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Finanzausschuss und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von dem Jahresgutachten 2009/2010 des Sachverständigenrates gemäß § 6 Absatz 1 SachvRatG und von dem Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung gemäß § 2 Absatz 1 StabG Kenntnis zu nehmen.
D.
- 14. Der Ausschuss für Kulturfragen empfiehlt dem Bundesrat, von dem Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung gemäß § 2 Absatz 1 StabG Kenntnis zu nehmen.