Der Bundesrat hat in seiner 806. Sitzung am 26. November 2004 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 28. Oktober 2004 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel der grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes einberufen wird.
Begründung
Der Bundesrat bedauert, dass der Bund den ursprünglichen Gesetzentwurf in ein zustimmungspflichtiges und ein zustimmungsfreies Gesetz aufgespalten hat. Der zustimmungspflichtige Teil wurde zudem zurückgestellt und einer gesonderten Beschlussfassung zugeführt. Dieses Verfahren wird die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss belasten.
Der Bundesrat betont den hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert des bedarfsorientierten und qualitativ guten Ausbaus der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Ein qualifiziertes Angebot von Tagesbetreuungsplätzen ist eine wichtige Ressource für Familien und Alleinerziehende, die einen wesentlichen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit leistet. Eine ständige Verbesserung der Qualität in der Bildungs- und Erziehungsarbeit ist eine zentrale bildungspolitische Aufgabe.
Die Entwicklung und Bereitstellung eines den Bedürfnissen von Eltern und Kindern entsprechenden Betreuungsangebots ist an dem tatsächlichen Bedarf vor Ort auszurichten. Dabei müssen die für die Kindertagesbetreuung verantwortlichen Kommunen in der Lage sein, das Betreuungsangebot auf einer sicheren Finanzierungsgrundlage flexibel und bedarfsgerecht zu planen und auszubauen. Das vorliegende Gesetz, in dem die Bedenken des
Bundesrates nicht aufgegriffen worden sind, bildet hierfür keine geeignete Grundlage. Es bedarf vielmehr einer grundlegenden Überarbeitung insbesondere in folgender Hinsicht:
- a) Die im Gesetz enthaltenen detaillierten bundeseinheitlichen Vorgaben und Standards schränken die den Kommunen obliegende Planungs- und Handlungsverantwortung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht unangemessen und in nicht notwendigem Umfang ein. Der festgelegte Detaillierungsgrad ist weder zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse noch zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im Sinne des Artikels 72 Abs. 2 des Grundgesetzes erforderlich. Er verhindert vielmehr eine am tatsächlichen örtlichen Bedarf ausgerichtete Weiterentwicklung der Betreuungsangebote, da die gesetzlichen Vorgaben für den Ausbau weder ausfüllungsfähig noch ausfüllungsbedürftig sind. Die hohe und gegen die Grundsätze der Deregulierung und Subsidiarität verstoßende Regelungsdichte widerspricht außerdem der durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) den Ländern gesetzlich zugewiesenen Aufgabenwahrnehmung, denn damit wird den Ländern eine eigenständige politische Gestaltung von substanziellem Gewicht verwehrt. Das Gesetz steht auch im Widerspruch zu den Reformzielen der Föderalismuskommission, da es Entscheidungsprozesse vermischt, diese auf eine ortsferne Ebene verlagert und einer deutlichen Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden entgegensteht.
- b) Die dem Gesetz zugrunde gelegte Finanzierungsgrundlage ist unseriös. Der Bundesrat lehnt eine Verknüpfung der Finanzierung der Kosten für den Ausbau der Kleinkindbetreuung mit "Hartz IV" ab. Einerseits ist unsicher, ob, wann und in welcher Höhe die versprochenen Einsparungen tatsächlich eintreten; andererseits ist nicht sichergestellt, dass eventuell eintretende Einsparungen dort anfallen, wo ein entsprechender Ausbau erforderlich ist. Nicht zuletzt besteht auch kein Sachzusammenhang zwischen der Höhe von Einsparungen und dem Umfang des jeweiligen örtlichen Ausbaubedarfs. Damit ist die notwendige Planungssicherheit der Kommunen für den Bau und Betrieb von Kindertageseinrichtungen nicht gewährleistet. Der Bundesrat fordert daher, dass der Bund den Kommunen eine solide und sichere Finanzierungsgrundlage zur Verfügung stellt, die den durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz entstehenden Mittelbedarf direkt ausgleicht und dabei auch den Erhaltungs- und Modernisierungsbedarf in den neuen Ländern berücksichtigt.
Der Bundesrat stellt fest, dass das Gesetz gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes seiner Zustimmung bedarf. Begründung
Enthält ein Zustimmungsgesetz sowohl materiellrechtliche Regelungen als auch Vorschriften für das Verwaltungsverfahren der Landesverwaltung gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes, so ist ein dieses Gesetz änderndes Gesetz zustimmungsbedürftig, wenn durch die Änderung materiellrechtlicher Normen die nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren bei sinnorientierter Auslegung ihrerseits eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erfahren. Dies bedeutet, dass eine Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes auch dann gegeben ist, wenn die Länder durch die Änderung materiellrechtlicher und damit grundsätzlich nicht zustimmungsbedürftiger Vorschriften zu organisatorischen Vorkehrungen gezwungen werden, also ein Eingriff in ihre Organisationshoheit vorliegt.
Im Zusammenhang mit der angestrebten Neufassung der §§ 22 ff. SGB VIII stellen folgende Regelungen einen Eingriff in die Organisationshoheit der Länder dar:
- - § 22a Abs. 1 SGB VIII n. F. führt zu einer gesteigerten Kontrollpflicht der Träger der öffentlichen Jugendhilfe: Sicherstellung und Weiterentwicklung der Qualität der Förderung.
- - § 22a Abs. 2 SGB VIII n. F. bringt eine gesteigerte Koordinationspflicht der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit sich: Sicherstellung der Zusammenarbeit der Einrichtungen mit den Erziehungsberechtigten.
- - § 22a Abs. 3 SGB VIII n. F. sieht eine neue eigenständige Bereitstellungspflicht der Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor: Sicherstellung einer Betreuungsmöglichkeit in Ferienzeiten.
- - Nach § 23 SGB VIII n. F. umfasst die Förderung in Kindertagespflege auch die Qualifizierung der Tagespflegepersonen und die Gewährung einer laufenden Geldleistung. Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben sowohl die Höhe der an die Tagespflegepersonen auszureichenden Geldleistungen festzulegen als auch über ihre Gewährung an unterhaltspflichtige Personen zu entscheiden.
- - § 24 Abs. 3 SGB VIII n. F. begründet einen konditionierten Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren.
- - Sofern ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot zum 1. Januar 2005 nicht gewährleistet ist, sind die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 24a Abs. 2 SGB VIII n. F. verpflichtet, jährliche Ausbaustufen zur Schaffung eines bedarfsgerechten Betreuungsangebots zu beschließen und jährlich zum 15. März den aktuellen Bedarf zu ermitteln sowie den erreichten Ausbaustand festzustellen.
- - § 24a Abs. 4 SGB VIII n. F. normiert Rangkriterien für die Platzvergabe in der Übergangszeit.
Durch diese materiellrechtlichen Regelungen werden den Landkreisen und kreisfreien Städten als örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und damit den Behörden der Länder im Vergleich zu den bisherigen Regelungen des SGB VIII erhebliche zusätzliche Verpflichtungen auferlegt. Der Bund schreibt damit den Landkreisen und kreisfreien Städten bestimmte Verwaltungsverfahren vor, die einen zusätzlichen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen und organisatorische Vorkehrungen in großem Ausmaß bedeuten.