Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien
(... StrÄndG)

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Vollzugsaufwand

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien (... StrÄndG)

Der Bundesrat hat in seiner 866. Sitzung am 12. Februar 2010 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien (... StrÄndG)

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeines

Die weibliche Genitalverstümmelung oder -beschneidung - die Begriffe werden hier synonym verwendet, ohne zu dem Streit um die "richtige" Bezeichnung Stellung zu nehmen - meint die Beschneidung oder andere körperliche Eingriffe an den äußeren weiblichen Genitalien, die in verschiedenen Kulturen, insbesondere in Afrika sowie in einigen Ländern Asiens und Lateinamerikas, bis heute angewendet werden. International werden diese Handlungen als "Female Genital Mutilation (FGM)" oder "Female Genital Cutting (FGC)" bezeichnet; gelegentlich wird die Kompromissformel "Female Genital Mutilation/Cutting (FGM/C)" verwendet. Nach einer von der WHO verwendeten Typisierung werden folgende Erscheinungsformen unterschieden:

In einigen Ländern Afrikas, beispielsweise in Ägypten, Somalia und Guinea, sind mehr als 90 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. In weit geringerem Umfang kommen Beschneidungen weiblicher Genitalien auch in einigen Ländern Asiens und Lateinamerikas vor. Die WHO geht von 100 bis 140 Millionen beschnittenen Frauen weltweit aus; rund 3 Millionen Mädchen laufen jährlich Gefahr, dieser Prozedur unterworfen zu werden. Die Verstümmelung führt zu schweren unmittelbaren und mittelbaren körperlichen und psychischen Schäden bei den betroffenen Mädchen und Frauen, die bis hin zur Todesfolge reichen können.

Die Verstümmelung weiblicher Genitalien ist eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung an Mädchen und Frauen. Seit 1995 gilt sie auch international als Menschenrechtsverletzung. Entsprechende Eingriffe können durch religiöse, medizinische oder andere Vorstellungen, mit denen sie begründet werden, nicht gerechtfertigt werden. Sie stellen unabhängig von der Einwilligung der Betroffenen strafwürdiges Unrecht dar; die "Einwilligung" oder gar Veranlassung durch die Sorgeberechtigten ist ein schwerwiegender Missbrauch des Sorgerechts.

In Deutschland sind nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen ca. 20 000 Frauen von Genitalverstümmelung betroffen. Ungefähr 4 000 Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund sind als gefährdet anzusehen, Opfer einer Verstümmelung zu werden, beispielsweise bei einem Ferienaufenthalt im Herkunftsland der Familie.

Der Staat ist verpflichtet, die gefährdeten Mädchen und Frauen vor diesem schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu schützen. Neben außerstrafrechtlichen Maßnahmen und Hilfen gehört dazu eine eindeutige, unmissverständliche und in ihrer Höhe der Schwere der Tat entsprechende Strafandrohung, die nicht nur die Grundlage für eine wirksame Strafverfolgung schafft, sondern auch entscheidend dazu beiträgt, das insbesondere bei Migranten aus Ländern mit entsprechender Praxis noch nicht durchgängig ausgeprägte Bewusstsein dafür zu schaffen oder zu schärfen, dass es sich bei der Verstümmelung der weiblichen Genitalien um eine schwerwiegende, strafwürdige Menschenrechtsverletzung handelt, die keinesfalls toleriert werden kann.

Das geltende Recht trägt dem nicht ausreichend Rechnung. Zwar sind solche Taten als Körperverletzung ( § 223 StGB), meist auch als gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) anzusehen. Die Einstufung als Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) ist dagegen von den Umständen des Einzelfalls abhängig; eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) wird nur selten vorliegen, wenn durch die Tat die Fortpflanzungsfähigkeit vollständig verloren geht. Diese Unklarheiten gilt es durch eine eindeutige strafrechtliche Regelung zu beseitigen. Dazu dient der neu einzuführenden Straftatbestand des § 226a StGB - Genitalverstümmelung.

Die Strafnorm kann ihre Wirkung nur dann richtig entfalten, wenn entsprechende Taten zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen. Hinweise der Opfer sind am ehesten geeignet, die Strafverfolgung in Gang zu setzen. Da die Taten vielfach von den Eltern veranlasst oder unterstützt an jungen Mädchen begangene werden, die davor zurückscheuen, die Taten anzuzeigen solange sie minderjährig und in den Familienverbund eingegliedert sind, besteht die Gefahr, dass Taten verjährt sind, bevor sie von den inzwischen erwachsenen Opfern angezeigt werden. Diese Möglichkeit besteht insbesondere dann, wenn die Tat an erst wenige Monate alten Mädchen begangen wird. Auch wenn das Verjährungsrisiko bei dem neuen Straftatbestand mit der Strafandrohung von im Höchstmaß 15 Jahren, das zu einer Verjährungsfrist von 20 Jahren führt (§ 78 Absatz 3 Nummer 2 StGB), gering ist, ist die Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres aufzuschieben.

Das deutsche Strafrecht ist grundsätzlich nur auf im Inland begangene Taten anwendbar ( § 3 StGB). Um den Schutz von hier lebenden Mädchen vor der Gefahr zu erhöhen, Opfer einer sogenannten Ferienbeschneidung im Herkunftsland der Familie zu werden, ist es geboten, die Strafnorm auf Auslandstaten auszudehnen, wenn das Opfer zur Zeit der Tat seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Dazu dient die Änderung des § 5 StGB.

Im Strafprozessrecht sind als Folge der Einführung des § 226a StGB-E die Vorschriften über die Berechtigung zur Nebenklage ( § 395 StPO) und zur Bestellung eines Rechtsbeistands (§ 397a StPO) anzupassen. Dagegen bedarf es für die Haftgründe keiner Rechtsanpassung. Eine Erweiterung des § 112 Absatz 3 StPO ist nicht geboten; insoweit reichen die Möglichkeiten zur Anordnung von Untersuchungshaft bei Flucht- oder Verdunkelungsgefahr aus. § 112a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 StPO umfasst § 226a StGB-E und stellt somit sicher, dass bei Wiederholungsgefahr Untersuchungshaft angeordnet werden kann.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuchs)

Zu Nummer 1 (Änderung der Inhaltsübersicht)

Es handelt sich um eine Folgeänderung infolge der Einfügung der neuen Strafnorm.

Zu Nummer 2 (§ 5 Nummer 8a)

Das deutsche Strafrecht gilt grundsätzlich für im Inland begangene Straftaten ( § 3 StGB). Hier lebende Töchter von Migrantenfamilien laufen allerdings Gefahr, Opfer einer sogenannten Ferienbeschneidung anlässlich eines vorübergehenden Aufenthalts im Herkunftsland der Familie zu werden. Auch wenn sich gegebenenfalls Anknüpfungspunkte finden lassen, um hier handelnde Tatbeteiligte, beispielsweise die die Tat veranlassenden oder jedenfalls nicht verhindernden Eltern, zur Verantwortung zu ziehen, ist es geboten, durch eine eindeutige gesetzliche Regelung zu bestimmen, dass das deutsche Strafrecht auch für Auslandstaten gilt. Ein hinreichend gewichtiger Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung nach deutschem Strafrecht besteht allerdings nur, wenn das Opfer zur Zeit der Tat seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

Zu Nummer 3 (§ 78b Absatz 1 Nummer 1)

Die Strafandrohung des § 226a Absatz 1 StGB-E sieht keine Obergrenze der Freiheitsstrafe vor, so dass diese bis zu 15 Jahren reichen kann ( § 38 Absatz 2 StGB). Damit beträgt die Verjährungsfrist, auch für den minder schweren Fall nach § 226a Absatz 2 StGB-E, 20 Jahre (§ 78 Absatz 3 Nummer 2, Absatz 4 StGB). Die Tat verjährt deshalb in jedem Fall erst dann, wenn das Opfer volljährig ist, selbst wenn es im Alter von wenigen Monaten Opfer der Genitalverstümmelung wurde. Dennoch besteht ein Bedürfnis für das Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs des Opfers. Entschließt sich das Opfer zur Anzeige erst nachdem es sich im jungen Erwachsenenalter von der Familie gelöst hat, könnte ansonsten der Fall eintreten, dass die Tat zwar noch als gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) oder als Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) verfolgt werden könnte, weil insoweit durch das Zweite Opferrechtsreformgesetz das Ruhen der Verjährung eingeführt wurde, nicht aber nach dem schwereren und auf entsprechende Taten zugeschnittenen Tatbestand des § 226a StGB-E. Dies gilt es zu vermeiden.

Zu Nummer 4 (§ 226a)

Zu Absatz 1

Die Regelung unterwirft die Verstümmelung weiblicher Genitalien einer eigenständigen Strafnorm. Tatbestandliche Handlung ist die Verstümmelung der äußeren Genitalien einer Frau. Davon erfasst werden sollen Erscheinungsformen der Beschneidung von Frauen, die von der oben in der allgemeinen Begründung wiedergegebenen Typisierung umschrieben sind. Der Straftatbestand versteht unter einer Frau eine weibliche Person jeden Alters. Auch wenn im allgemeinen Sprachgebrauch mit einer Frau vornehmlich eine erwachsene Person gemeint ist, ist mit einem Fehlverständnis nicht zu rechnen. Bereits der frühere Straftatbestand der Vergewaltigung ( § 177 StGB a. F.) in der bis 1997 geltenden Fassung bezeichnete das Opfer der Tat als Frau, wobei unstreitig war, dass damit jede weibliche Person gemeint ist, unabhängig von Volljährigkeit oder Geschlechtsreife.

Die Bestimmung beschränkt sich auf Eingriffe an den äußeren Genitalien. Damit sollen vor allem medizinische Eingriffe an den inneren Genitalien, insbesondere solche, die Eierstöcke, Eileiter und Gebärmutter betreffen, von vorneherein aus dem Anwendungsbereich ausgeschieden werden. Darauf bezogene Handlungen sind nicht Gegenstand kulturell bedingter Beschneidungen von Frauen. Im Übrigen unterfallen diese Eingriffe häufig § 226 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 StGB, weil sie die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau aufheben.

Abgestellt wird auf das Verstümmeln der Genitalien. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass es sich um negative Veränderungen an den Genitalien handelt. Damit sollen rein kosmetisch motivierte Eingriffe, wie Intimpiercing oder die nach Presseberichten in neuerer Zeit zunehmende Erscheinung der "Schönheitsoperationen" im Genitalbereich vom Anwendungsbereich der Strafnorm ausgenommen bleiben.

In welcher Weise die Genitalverstümmelung herbeigeführt wird, ist für die Erfüllung des Tatbestandes gleichgültig. Die häufigste Form der Verstümmelung durch Beschneidung ist durch ausdrückliche Nennung im Tatbestand besonders hervorgehoben, ohne dass damit eine Einschränkung hinsichtlich der in sonstiger Weise herbeigeführten Verstümmelung verbunden wäre. Eine Verharmlosung, wie sie gelegentlich der Verwendung des Begriffs der Beschneidung unterstellt wird, weil sie Assoziationen mit der Beschneidung von Knaben wecke, ist damit keinesfalls verbunden.

Die Norm ist als Verbrechenstatbestand ausgestaltet. Die Strafandrohung, die von zwei bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe reicht, trägt dem schwerwiegenden Unrecht Rechnung, dass mit der Verstümmelung weiblicher Genitalien verbunden ist. Die Strafhöhe ist damit zwischen der gefährlichen Körperverletzung ( § 224 StGB) und der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) mit einer Strafandrohung von jeweils sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe sowie der wissentlich oder absichtlich herbeigeführten schweren Körperverletzung nach § 226 Absatz 2 StGB mit einer Strafandrohung von drei bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe angesiedelt.

Die neue Strafnorm ist gegenüber dem Grundtatbestand des § 223 StGB spezieller. Mit anderen Körperverletzungsdelikten, insbesondere den §§ 224 und 225 StGB, kann Tateinheit bestehen. Anlass zu einer gesetzlichen Regelung des Konkurrenzverhältnisses besteht nicht.

Das österreichische Strafrecht enthält eine spezielle Regelung zur (Un-) Wirksamkeit der Einwilligung. § 90 Absatz 3 öStGB lautet: "In eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, kann nicht eingewilligt werden." Es wird davon abgesehen, eine entsprechende Regelung in das deutsche Strafrecht einzufügen. Die Unwirksamkeit einer solchen Einwilligung ergibt sich bereits aus § 228 StGB, weil die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Unter welchen Voraussetzungen mit rechtfertigender Wirkung in Eingriffe an den äußeren Genitalien einer Frau eingewilligt werden kann, die nicht mit einer nachhaltigen Beeinträchtigung der sexuellen Empfindungsfähigkeit verbunden sind, beispielsweise Intimpiercing oder ästhetisch motivierte Umgestaltungen durch "Schönheitsoperationen", bedarf keiner generellen gesetzlichen Festlegung, sondern kann weiterhin der Rechtsprechung durch sachgerechte Auslegung des § 228 StGB überlassen bleiben.

Zu Absatz 2

Für minder schwere Fälle wird eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren angedroht. Darunter sollen Taten fallen, die unter Berücksichtigung von Tatausführung und Tatfolgen vom Durchschnittsfall so stark abweichen, dass eine mildere Bestrafung geboten ist. Denkbar ist dies beispielsweise in Fällen, in denen die Tatfolgen nicht wesentlich über das Ergebnis der oben genannten kosmetischen Eingriffe hinausreichen.

Zu Nummer 5 (§ 227 Absatz 1)

Es handelt sich um eine Folgeänderung infolge der Einfügung der neuen Strafnorm des § 226a.

Zu Artikel 2 (Änderung der Strafprozessordnung)

Zu Nummer 1 (§ 395 Absatz 1 Nummer 3)

Der neue Straftatbestand der Genitalverstümmelung soll, wie die anderen vorsätzlichen Körperverletzungsdelikte, zur Nebenklage berechtigen.

Zu Nummer 2 (§ 397a Absatz 1 Nummer 3 und 4)

Durch die Einfügung des neuen § 226a StGB in § 397a Absatz 1 Nummer 3 und 4 StPO wird gewährleistet, dass dem Opfer der Tat im erforderlichen Umfang ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt wird, auch schon im vorbereitenden Verfahren (§ 406g Absatz 3 StPO).

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.