Der Bundesrat hat in seiner 826. Sitzung am 13. Oktober 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Verlust an biologischer Vielfalt stellt ein vorrangiges globales Umweltproblem dar und erfordert umfassendes politisches Handeln. Ursachen, Auswirkungen und Strategien zur biologischen Vielfalt sind u. a. in der globalen Ökosystemstudie "Millennium Ecosystem Assessment" der Vereinten Nationen hinreichend dokumentiert.
- 2. Der Bundesrat teilt grundsätzlich die Sorge über den dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt. Er schließt sich der Einschätzung an, dass der Verlust an Arten, Genen, Lebensräumen und ökosystemaren Leistungen existenzielle Auswirkungen sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art befürchten lässt und die zukünftige Lebensqualität des Menschen beeinträchtigen kann. Der Rückgangsprozess erschwert Grundsätze nachhaltigen Handelns und Wirtschaftens. Er stellt eine erhebliche Herausforderung für Bund und Länder dar und betrifft als Querschnittsproblem zahlreiche Bereiche der Politik.
- 3. Der Bundesrat begrüßt im Grundsatz das gesteckte Ziel, bis zum Jahre 2010 den Verlust an biologischer Vielfalt signifikant zu reduzieren. Alle Bemühungen, den Verlust an biologischer Vielfalt einzudämmen, haben aber bisher zu keinen befriedigenden Ergebnissen geführt. Angesichts der massiven Verluststeigerung ist also zu befürchten, dass dieses ehrgeizige Ziel nicht erreicht werden kann.
Das gesteckte Ziel kann aber auch ausdrücklich nur dann erreicht werden, wenn entsprechende Maßnahmen zeitgleich auf internationaler Ebene eingeleitet werden. Weitere Verschärfungen begrenzt auf das Gebiet der EU würden allenfalls zu Wettbewerbsverzerrungen führen, ohne die Biodiversität nachhaltig zu verbessern. Insbesondere die weltweit uneingeschränkte Fortsetzung der Zerstörung großer Waldgebiete und anderer Lebensräume sowie die fortschreitende Klimaveränderung durch hemmungslose Produktion klimarelevanter Gase in einigen Staaten dieser Erde konterkarieren die erheblichen Bemühungen innerhalb der EG. Deshalb können weitere Maßnahmen nur dann Erfolg haben, wenn sie weltweit in Einklang gebracht werden.
- 4. Der Bundesrat kritisiert in diesem Zusammenhang die späte Vorlage der Mitteilung zur Umsetzung des 2010-Ziels durch die Kommission am 22. Mai 2006. Der im Aktionsplan genannte Zeitplan ist aus Sicht des Bundesrates auch daher kaum noch umsetzbar.
- 5. Die Länder haben politische Verantwortung, mit geeigneten Strategien, Programmen oder Maßnahmen insbesondere des Natur- und Artenschutzes dem Verlust an biologischer Vielfalt entgegenzuwirken. Sie unternehmen bereits erhebliche Anstrengungen, das europäische ökologische Netz "Natura 2000" als zentrales Element der EU zur Erhaltung der biologischen Vielfalt in der mit der Kommission vereinbarten Form aufzubauen, zu unterhalten und langfristig zu bewahren. Ergänzend hierzu setzen die Länder heute schon in und außerhalb von Schutzgebieten eine Vielzahl weiterer Maßnahmen im Arten- und Biotopschutz um und tragen damit erheblich zum Schutz der biologischen Vielfalt bei. Hierfür wenden die Länder bereits erhebliche finanzielle Mittel auf.
In diesem Zusammenhang wird bezweifelt, dass die Wirkung des bedeutenden ökologischen Netzes "Natura 2000" derzeit bereits beurteilt werden kann, da der Aufbau des Biotopverbundes noch nicht einmal abgeschlossen ist. Deshalb ist derzeit nicht begründbar, weshalb zu diesem Instrument erneut zusätzliche Verschärfungen und Ausweitungen vorgeschlagen werden. Wichtiger erscheint eine Aktualisierung der FFH- und der Vogelschutz-Richtlinie durch Zusammenfassung der Vorschriften, Modernisierung sowie Angleichung der Inhalte unter anderem durch Integration des Nachhaltigkeitsgedankens mit allen drei Säulen, um einerseits die Praktikabilität aber andererseits auch die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den Beratungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass zusätzliche finanzielle Belastungen der Länder durch die in der Mitteilung der Kommission dargelegten Maßnahmen vermieden werden.
- 7. Angesichts der bereits vorhandenen, von der Kommission überwachten, bei Nichterfüllung zu neuen Vertragsverletzungsverfahren führenden, umfangreichen EU-Verpflichtungen der Länder für die Umsetzung von "Natura 2000" sind weitere finanzielle Lasten für Maßnahmen zur Eindämmung des Biodiversitätsverlusts, wie sie sowohl in der Mitteilung als auch im Aktionsplan benannt sind, nicht zu tragen. Die Bundesregierung wird daher mit Nachdruck gebeten, zur Gewährleistung der 2010-Ziele bei der EU ausreichende Finanzmittel bzw. die Streichung der Maßnahmen, für die keine zusätzlichen EU-Finanzmittel durch Umschichtung zur Verfügung gestellt werden, einzufordern.
- 8. Die in der Mitteilung als zentrale Unterstützungsmaßnahme und auch im Aktionsplan der Mitteilung im Anhang 1 unter A1.1.2 vorgesehene "Sicherstellung ausreichender Finanzmittel" auf EU-Ebene widerspricht allen bisherigen Erfahrungen bei der EU-Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen. In diesem Zusammenhang erinnert der Bundesrat an die 2003 von der Kommission in Aussicht gestellte EU-Vollfinanzierung von "Natura 2000", die nicht eingetreten ist. Daher verwundert es auch nicht, dass im Aktionsplan im Anhang 1 unter B1.1.6 nicht nur die Sicherstellung von EU-Kofinanzierungsmitteln auf den Rahmen der verfügbaren Fonds eingeschränkt wird - was in der Mitteilung bereits angedeutet ist -, sondern den Mitgliedstaaten zugleich die Aufgabe zugewiesen wird, neben den Mitteln zur Kofinanzierung zusätzlich ausreichende nationale Mittel sicherzustellen, um derartige Kürzungen auszugleichen.
Unter Berücksichtigung der Haushaltslage in den Ländern kann der Bundesrat einer solchen Vorgabe nur zustimmen, wenn die Bundesregierung zusagt, diesen Ausgleich zu finanzieren.
Ergänzend weist der Bundesrat darauf hin, dass insbesondere auf Grund der Mittelkürzungen im Rahmen der finanziellen Vorausschau 2007 bis 2013 in den für den Biodiversitätsschutz wichtigen Politikbereichen, noch nicht einmal die EU-Kofinanzierung von Natura-2000-Maßnahmen sichergestellt werden kann. Deshalb sehen die Länder keinen Spielraum für die Umschichtung von Mitteln zur Finanzierung der umfangreichen Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität, die der Mitteilung und ihren Anhängen 1 und 2 zu entnehmen sind.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass der weltweite Verlust an biologischer Vielfalt in erheblichem Maße nicht nur nationale, sondern auch globale Ursachen hat. Daher steht hier in erster Linie die Bundesregierung in einer besonderen Verantwortung. Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang die aktive Rolle der Bundesregierung auf internationaler Ebene, insbesondere im Rahmen der Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD). Er unterstützt ausdrücklich die Einladung zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz der CBD nach Deutschland im Jahre 2008.
- 10. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Länder bei der Erarbeitung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt zu beteiligen, damit diese möglichst bald abschließend vorgelegt werden kann und damit die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen erfüllt werden.
- 11. Die umfangreiche Zuweisung von Befugnissen an die Sachverständigengruppe "Biologische Vielfalt" wird vom Bundesrat kritisch gesehen. Der Bundesrat sieht bei der Aufgabenzuweisung das Subsidiaritätsprinzip verletzt und bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass die der Sachverständigengruppe zugewiesenen Aufgaben sich an den Zuständigkeitsregelungen der Mitgliedstaaten orientieren und eine Kontrolle durch den Rat erfolgt.
Weiterhin wird die Bundesregierung gebeten, bei der Einrichtung der vorgeschlagenen Sachverständigengruppe "Biologische Vielfalt" rechtzeitig den Bundesrat zu beteiligen, damit der in den Einrichtungen der Länder bestehende Sachverstand genutzt werden kann.
- 12. Die Mitteilung der Kommission verweist in diversen Passagen auf die Raumplanung. Die Formulierungen sind dabei durchgehend einseitig negativ und suggerieren, dass sich die Raumplanung aus sich heraus negativ auf die biologische Vielfalt und den Erhalt der Ökosystemleistungen auswirkt.
Diese Auffassung hält der Bundesrat für unzutreffend und lehnt sie ab.
Im Einzelnen ist dazu Folgendes anzumerken:
- - Raumordnung wird explizit als Bedrohung der biologischen Vielfalt dargestellt (Nummer 1 "Einführung" 6. Absatz). Dieser Darstellung ist nachdrücklich zu widersprechen. Nicht Raumordnung an sich, sondern allenfalls der fehlerhafte Abwägungsprozess im Rahmen der Raumordnung kann für die Biodiversität bedrohlich sein. Dagegen ist Raumordnung mit richtig angewendeten Abwägungsprozessen ein probates Mittel, die Belange der Ökologie mit den soziostrukturellen Ansprüchen der Menschheit in Einklang zu bringen. Die tatsächliche Bedrohung liegt nicht in der Raumordnung, sondern in der Regel in Gebieten mit hoher Besiedlungsdichte in der Höhe des Flächenverbrauchs für die Besiedlung, Infrastruktur usw.
- - Auch der Aussage, dass Natura-2000-Gebiete durch raumplanerische Aktivitäten geschädigt werden (Nummer 4.2.1), muss widersprochen werden, denn das Problem liegt, wie schon in derselben Aussage mit enthalten, nicht an der Raumordnung, sondern an dem Mangel an Mitteln für ein effektives Gebietsmanagement.
Nicht Raumordnung, sondern konkrete Vorhaben, deren Zulässigkeit mehrfach geprüft wird, können ggf. die Natura-2000-Gebiete schädigen. Wobei bei einer entsprechenden Tatsachenbewertung zu berücksichtigen sein wird, dass Pläne und Programme der Raumordnung - wie auch auf Seite 9, 1. Absatz der Mitteilung dargestellt - der SUP-Pflicht unterliegen.
Raumordnung kann immer nur im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel unter Berücksichtigung aller rechtlichen Vorgaben zum Schutz von Natura-2000-Gebieten beitragen.
- - Des Weiteren gehen negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt der EU nicht von der regionalen und territorialen Raumplanung, sondern von konkreten Projekten aus (Nummer 5.2.1 Ziel 4). Der Schlüssel zur Verhinderung, Minimierung oder zum Ausgleich der negativen Projekte kann dann allerdings in einer Verbesserung der Vereinbarkeit von sonstigem gesellschaftlichen Bedarf und biologischer Vielfalt mittels Raumplanung auf einzelstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene liegen.
- 13. Der Bundesrat weist darauf hin, dass im Rahmen von Nummer 4 "Was wurde bisher getan und mit welchem Erfolg", in Nummer 4.2.3 "Einbindung des Ziels der Erhaltung der biologischen Vielfalt in die landwirtschaftliche und ländliche Entwicklungspolitik" auch die positiven Wirkungen der Forstwirtschaft zu beachten sind, da die Forstwirtschaft in vielen Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren zunehmend und fast ohne finanzielle Unterstützung durch die EU Naturschutzziele stärker in den Vordergrund gestellt hat, zumal es dadurch gelungen ist, den Rückgang der biologischen Vielfalt im Wald zu verlangsamen oder aufzuhalten. In einzelnen Mitgliedstaaten ist es der Forstwirtschaft sogar gelungen, die biologische Vielfalt wieder zu erhöhen.
- 14. Der Bundesrat lehnt insbesondere auch vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Anstrengungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt die nachfolgenden im Anhang 1 (Aktionsplan) aufgeführten Aufgaben ab. Die Maßnahmen stehen in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen. Der Bundesrat bittet auch angesichts der verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen die Bundesregierung daher, sich in den weiteren Beratungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass insbesondere die nachfolgend genannten Aufgaben gestrichen bzw. deren Umsetzung in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt werden:
- - vor der abschließenden Einrichtung des Netzes "Natura 2000" der Erweiterung der Anhänge der FFH-Richtlinie im Rat zuzustimmen, entsprechend zusätzliche Gebiete auszuweisen, dafür Managementprioritäten zu erarbeiten und die Maßnahmen umzusetzen (Anhang 1 A1.2.1);
- - bis 2010 zusätzlich Gebiete von nationaler, regionaler oder lokaler Bedeutung für die Biodiversität zu eruieren, auszuweisen und effektive Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen (Anhang 1 A1.2.2);
- - bis 2008 die Kohärenz und die Konnektivität des - zu dem Zeitpunkt noch nicht abschließend vorhandenen - Netzwerks zu beurteilen und bis 2010 substanziell zu stärken, wodurch zugleich der gemäß FFH-Richtlinie nicht vorrangig umzusetzende Artikel 10 FFH-Richtlinie (Schaffung von Verbindungselementen) für die Länder verpflichtend wird (Anhang 1 A1.2.3 und A9.4.2);
- - ab 2006 die im Auftrag der Kommission unter Beteiligung der Mitgliedstaaten erarbeiteten Pläne für einzelne Vogelarten (Aktionspläne) sowie für andere bedrohte Arten (Managementpläne) verpflichtend umzusetzen. Weitere nationale Pläne sollen ab 2006 erarbeitet und ab 2007 umgesetzt werden (Anhang 1 A1.3.1);
- - ein Frühwarnsystem zum Schutz vor invasiven Arten aufzubauen (Anhang 1 A5.1.4).
- 15. Hinsichtlich der aus dem Klimawandel abgeleiteten Aufgaben ergibt sich zwischen dem Textteil der Mitteilung und den im Aktionsplan im Anhang 1 unter A9.4 hieraus für die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten konkret vorgeschriebenen Aktivitäten ein deutlicher Widerspruch. Während unter Nummer 5.3 nachzulesen ist, dass der Klimawandel das Potenzial hat, innerhalb von wenigen Dekaden alle Bemühungen um den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt zunichte zu machen, werden im Aktionsplan (z.B. im Anhang 1 unter A9.4.2) zahlreiche, kostenintensive Maßnahmen gefordert, deren Tauglichkeit für die Lösung des anstehenden Problems kritisch zu hinterfragen ist.
- 16. Weiterhin wird die Bundesregierung gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass vorhandene Ressourcen vorrangig in Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt und nicht in die Bewältigung von Verwaltungsaufwand (wie z.B. bei unnötigen Berichtspflichten) fließen. Dementsprechend werden die in Anhang 1 Buchstabe C angeführten umfangreichen Monitoring- und Berichtsverpflichtungen der Mitgliedstaaten abgelehnt. Stattdessen sollte das Biodiversitätsmonitoring eng auf das Natura-2000-Monitoring abgestimmt werden und keine zusätzlichen umfangreichen Erhebungen erforderlich machen. Neben den Verpflichtungen im Rahmen der Umsetzung von "Natura 2000" darf kein paralleles, kostenintensives Berichtswesen eingeführt werden.
- 17. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen darauf zu dringen, dass auch die zeitlichen Vorgaben unter Beachtung der vorhandenen Rahmenbedingungen neu festgelegt werden müssen, damit fehlende Voraussetzungen beseitigt und erwartete Leistungen erbracht werden können. So sollen beispielsweise bis 2007 die 16 "Headline-Indikatoren" der Anlage 2 sowohl angenommen als auch angewandt und bis Ende 2007 bereits die entsprechenden Daten geliefert werden (Anhang 1 C1.2.1), obwohl zum Teil die dafür notwendigen Daten in den Mitgliedstaaten weder vorliegen noch als im Abschluss befindlich oder gar die Erhebungsverfahren als erprobt und die erwarteten Ergebnisse als zielführend bezeichnet werden können.
- 18. Im Unterschied zum Mitteilungstext wurden die umfangreichen Anhänge 1 und 2 nicht in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt. Sie enthalten aber die wesentlichen Erläuterungen der Ziele und die daraus abgeleiteten detaillierten Verpflichtungen der EU und der Mitgliedstaaten bzw. in Deutschland der Länder. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich erneut und nachdrücklich bei der Kommission für die Bereitstellung zentraler Dokumente in deutscher Sprache einzusetzen.