949. Sitzung des Bundesrates am 14. Oktober 2016
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Ausschuss für Kulturfragen (K) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die weitere Erforschung von Deradikalisierungsstrategien als Prävention vor extremistisch motivierter Gewalt aufgrund vergleichbarer Problemlagen und der Tatsache, dass Radikalisierung in höherem Grade globalisiert auftritt, auf europäischer Ebene zu einem Mehrwert führen kann.
- 2. Der Bundesrat beurteilt grundsätzlich positiv, dass die Kommission vorhandene Instrumente wie eTwinning auch für die Umsetzung der Ziele der Pariser Erklärung zur Förderung der gemeinsamen europäischen Werte nutzt. Er erinnert jedoch daran, dass über den virtuellen Kontakt nicht die persönliche Begegnung und der direkte Dialog in den Hintergrund geraten dürfen, deren Mehrwert eine virtuelle Vernetzung nicht ersetzen kann. Dies gilt ebenso für das von der Kommission angekündigte Projekt zum virtuellen Austausch über "Erasmus+", wodurch junge Menschen aus der EU und Drittstaaten im Rahmen eines moderierten Austauschs in Kontakt treten sollen, um Verständnis und Respekt füreinander zu entwickeln sowie ihre interkulturellen Kompetenzen zu verbessern.
- 3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass persönliche Begegnungen die Essenz und der wahre Mehrwert des Programms "Erasmus+" sind. Er erinnert vor diesem Hintergrund daran, dass ungeachtet der Bedeutung der Themen der Wertevermittlung und Antiradikalisierung nicht die Förderung der persönlichen Begegnung innerhalb von Projekten wie zum Beispiel Schulpartnerschaften in Vergessenheit geraten darf. Der Bundesrat sieht mit großer Sorge, dass gerade die Zahl der geförderten Schulen aufgrund der Förderstruktur des Programms "Erasmus+" dramatisch zurückgegangen ist. Der Bundesrat nimmt die Ankündigung der Kommission zur Kenntnis, dass Aktionen und Projekte im Rahmen von "Erasmus+" Priorität erhalten sollen, die im Zeichen der Zielsetzungen der Pariser Erklärung Inklusion und grundlegende Werte fördern. Er gibt jedoch zu bedenken, dass Themenvielfalt für die Schulpartnerschaften eine wichtige Grundvoraussetzung darstellt. Eine Bevorzugung von Projekten, die Inklusion und grundlegende Werte fördern, würde bei diesem Projekttyp, bei dem letztlich auch jedes Vorhaben einen solchen Beitrag leistet, vor allem zusätzlichen Begründungsaufwand und damit mehr Bürokratie bei der Antragstellung bedeuten.
- 4. In der Mitteilung kündigt die Kommission die Einrichtung eines Netzwerks an, das in Schulen, Jugend- und Sportclubs sowie Justizvollzugsanstalten den direkten Kontakt mit positiven Vorbildern ermöglichen soll. Der Bundesrat erkennt an, dass der direkte Kontakt mit Vorbildern in jungen Menschen Entwicklungen anstoßen kann, welche die theoretische Behandlung von Wertevermittlung und Antiradikalisierung im Unterricht effektiv ergänzen können. Der Besuch von Unternehmern, Künstlern oder Aussteigern aus einem radikalisierten Umfeld als "Inklusionsbotschafter" muss jedoch in pädagogische Konzepte eingebettet sein. Diese fallen in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, in Deutschland der Länder, und können auch aus fachlicher Sicht nur von diesen erarbeitet werden. Der Bundesrat spricht sich zudem für die Förderung bestehender Netzwerke aus, auch um Parallelstrukturen zu vermeiden.
- 5. Die Mitteilung spricht davon, dass Lehrkräfte frühe Anzeichen von Radikalisierung bei jungen Menschen erkennen und darauf reagieren sollen. Sie stünden neben Sicherheits- und Justizbehörden, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten an vorderster Front. Der Bundesrat weist darauf hin, dass in Deutschland bereits einschlägige Fortbildungsangebote und Beratungsnetzwerke zur Verfügung stehen. Er gibt jedoch zu bedenken, dass der originäre Bildungs- und Erziehungsauftrag der Lehrkräfte vorrangig ist und Lehrkräfte nicht durch darüber hinausgehende sicherheitspolitische Erwägungen überfordert werden dürfen.
- 6. Bezüglich der Aufforderung der Kommission an Hochschuleinrichtungen, Leistungspunkte für Freiwilligentätigkeit oder andere Lernmodule zu vergeben, weist der Bundesrat darauf hin, dass die Anrechnung außeruniversitären studentischen Engagements die Gleichwertigkeit der erworbenen mit den nachzuweisenden Kompetenzen voraussetzt und somit einen Fachbezug zum gewählten Studium aufweisen muss und Leistungspunkte nicht pauschal vergeben werden können. Darüber hinaus verweist der Bundesrat darauf, dass die Entwicklung von Curricula und eine etwaige Verbindung von akademischem Inhalt mit zivilem Engagement in der Autonomie der Hochschulen liegen.
- 7. Die Mitteilung nennt als einen spezifischen Bereich das Vorgehen gegen terroristische Propaganda und Hassreden im Internet (Abschnitt 2). Dies beurteilt auch der Bundesrat als wichtiges Feld für die Prävention von Radikalisierung. Er regt jedoch an, den Begriff der Bildung bzw. speziell der Medienkompetenz, den die Mitteilung vor allem auf Kinder bezieht, weiter zu fassen und auch Erwachsenenbildung in den Blick zu nehmen.
- 8. Der Bundesrat empfiehlt des Weiteren eine kritischkonstruktive Prüfung der unter Abschnitt 2 beschriebenen Maßnahmen zur Eindämmung extremistischen Materials im Internet. Speziell die Zusammenarbeit von Europol und Internetplattformen im Rahmen des EU-Internetforums sowie das im "Code of Conduct" geforderte Vorgehen berühren das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, das in Deutschland besonderen Schutz genießt. Hiernach wird die Entscheidung darüber, welches Material gelöscht wird, von einer Ermittlungsbehörde den Unternehmen übergeben, die sie auf Grundlage ihrer internen Richtlinien treffen; oder aber die Unternehmen entscheiden, welche Inhalte gegen nationales Recht verstoßen. Dies beurteilt der Bundesrat angesichts der differenzierten Rechtsprechung auf diesem Gebiet als problematisch. Er regt an, alternative Möglichkeiten zu prüfen, um gleichermaßen die Verbreitung extremistischen Materials zu verhindern und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu schützen. Auch die beschriebene gemeinsame Meldeplattform, die technisch verhindern soll, dass bereits gelöschtes Material erneut hochgeladen wird, sollte im Hinblick auf mögliche falsche Verdächtigungen streng evaluiert werden. Dementsprechend begrüßt und unterstützt der Bundesrat die Ankündigung, die Anwendung der Verfahren zu Meldung und Entfernung von Inhalten transparenter zu machen. Eine umfassende Transparenz dieser Verfahren ist von höchster Wichtigkeit in Anbetracht der Umstände, dass eine gerichtliche Prüfung in jedem Einzelfall angesichts der Menge des Materials nicht möglich erscheint.
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- 9. Der Ausschuss für Frauen und Jugend, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.