Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.
Hinweis: vgl. Drucksache 748/10 (PDF) = AE-Nr. 100934 und AE-Nr. . 100811, 110332
Brüssel, den 16.9.2011 KOM (2011) 561 endgültig
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Wahrung des Schengen-Svstems - Stärkung des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen
Einleitung
1.1. Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen
Freizügigkeit ist einer der wesentlichen Grundsätze der Europäischen Union. Dass wir in der Europäischen Union (EU) reisen können und nicht durch Kontrollen an den Binnengrenzen aufgehalten werden, gehört zu ihren größten Errungenschaften. Viele Menschen nutzen diese Freiheit und treten in der EU jährlich über eine Milliarde Reisen an. Die öffentliche Meinung bewertet die Reisefreiheit als einen der größten Vorteile, den die Union den Bürgern gebracht hat1. Darüber hinaus ist der Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen wesentlich für den Erfolg des Binnenmarkts, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr umfasst. Außerdem stützt er Europas anhaltende Anstrengungen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums.
Der Schengen-Raum gründet auf einer Reihe von Vorschriften (dem Schengen-Besitzstand), die nicht nur die Aufhebung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen und gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Außengrenzen vorsehen, sondern auch eine gemeinsame Visumpolitik, die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, gemeinsame Regeln zur Rückführung illegaler Migranten und gemeinsame Datenbanken, wie das Schengener Informationssystem (SIS).
Die Grundlagen der Schengen-Zusammenarbeit sind tragfähig, doch angesichts der jüngsten Entwicklungen muss dafür gesorgt werden, dass der Schengen-Raum auch tatsächlich Belastungen bewältigen kann, die auf Schwachstellen an den Außengrenzen oder auf externe Faktoren, über die er keine Kontrolle hat, zurückzuführen sind. Die Union muss auf diese unterschiedlichen Herausforderungen reagieren, gleichzeitig aber das Recht der Bürger auf Freizügigkeit schützen.
Dementsprechend betonte die Kommission in ihrer Mitteilung zur Migration2 vom Mai, dass solche Situationen eine koordinierte Reaktion auf Unionsebene erfordern, und ließ erkennen, dass sie gegebenenfalls einen angemessenen Mechanismus und andere Mittel vorschlagen werde, um eine kohärente Anwendung und Auslegung der Schengen-Vorschriften zu gewährleisten.
Auch der Europäische Rat vom 23. - 24. Juni 20113 forderte einen Mechanismus, der es ermöglicht, in Ausnahmefällen, die das Funktionieren der Schengen-Zusammenarbeit insgesamt gefährden könnten, zu reagieren, ohne den Grundsatz des freien Personenverkehrs zu beeinträchtigen. Die Kommission wurde aufgefordert, im September 2011 einen diesbezüglichen Vorschlag vorzulegen.
Die vorliegende Mitteilung und die dazugehörigen Legislativvorschläge4 entsprechen dieser Aufforderung sowie der des Rates Justiz und Inneres vom Juni, der bessere politische Vorgaben für die Schengen-Zusammenarbeit5 angemahnt hatte. Rechnung getragen wird auch der Entschließung des Europäischen Parlaments vom Juli6, in der gefordert wird, dass bei jeglichem neuen Verfahren das Hauptgewicht auf der Verbesserung der Reisefreiheit und der Stärkung der Verwaltung des Schengen-Raums durch die EU liegen muss.
Die EU-Bürger erwarten, dass sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben und frei in einem sicheren Europa ohne Grenzen reisen können. Kriminelle, terroristische oder sonstige Bedrohungen dürfen dies nicht verhindern. Gleichzeitig müssen die Union und ihre Mitgliedstaaten imstande sein, schnell und wirksam auf schwerwiegende Bedrohungen der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit zu reagieren. Mit Hilfe dieses umfassenden Pakets zusammengehöriger Maßnahmen strebt die Kommission eine koordinierte EU-gestützte Reaktion an, die gewährleistet, dass die Grundprinzipien des Unionsrechts und insbesondere der Grundsatz des freien Personenverkehrs geschützt werden; durch die Sicherung des Schengen-Raums würden alle europäischen Interessen berücksichtigt, während einseitigen nationalen Initiativen, die für sich allein niemals gemeinsame Bedrohungen wirksam abwehren könnten, eine Absage erteilt wird. Ein wesentlicher, unverzichtbarer Teil dieses Maßnahmenpakets besteht darin, zu gewährleisten, dass die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen in Ausnahmefällen nach Maßgabe der Gemeinschaftsmethode und unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechenschaftspflicht der Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament beschlossen wird.
Stärkung der Verwaltung des Schengen-Raums
Der freie Verkehr von Bürgern im Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen stützt sich auf ein System, das auf dem gegenseitigen Vertrauen aufbaut, dass alle teilnehmenden Staaten bereit und imstande sind, die verschiedenen Legislativinstrumente, die den SchengenBesitzstand ausmachen, anzuwenden.
Die Europäische Union verfügt bereits über Instrumente, mit denen sie Mitgliedstaaten helfen kann, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und auf kritische Situationen reagieren kann, die Schengen gefährden könnten. Beispielsweise können die Mitgliedstaaten bei der Kommission finanzielle und praktische Unterstützung aus den EU-Fonds beantragen. Die Außengrenzagentur Frontex kann gemeinsame Operationen organisieren oder Soforteinsatzteams entsenden. Darüber hinaus können Mitgliedstaaten auch bei anderen Mitgliedstaaten, bei Europol oder beim Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen um Unterstützung nachsuchen. Einzelheiten hierzu enthält Anhang 1.
Wie die Kommission in ihrer Mitteilung zur Migration vom Mai7 mitteilte, wird sie außerdem zusammen mit den Mitgliedstaaten weiter an den Leitlinien arbeiten, die eine kohärente Anwendung der Schengen-Vorschriften gewährleisten sollen. Der Prozess wurde im Rahmen eines Expertentreffens im Juli 2011 eingeleitet. Die Experten werden feststellen, wo Mängel bestehen und in welchen Bereichen eine weitere Klärung zum Schengen-Besitzstand angezeigt wäre; dies betrifft z.B. die Frage der Ausstellung von Reisedokumenten und Aufenthaltserlaubnissen.
Allein können diese Instrumente jedoch nicht die konsequente Anwendung der SchengenRegeln durch alle Mitgliedstaaten sicherstellen. Eine Kontrolle ermöglicht der Schengener
Evaluierungsmechanismus, der zur Prüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands dient und in dessen Rahmen Empfehlungen zur Behebung von Mängeln abgegeben werden. Der aktuelle Mechanismus beruht auf einem zwischenstaatlichen System, bei dem sich die Staaten gegenseitig beurteilen; dieser Mechanismus ist nicht solide genug, um allen Mängeln wirkungsvoll abzuhelfen. Deshalb schlug die Kommission im letzten Jahr8 ein Vorgehen Federführung der Union vor.
Vorgesehen ist dabei vor allem, dass Teams unter Führung der Kommission, denen auch Experten anderer Mitgliedstaaten und von Frontex angehören, sich zu angekündigten oder unangekündigten Ortsbesichtigungen in einen Mitgliedstaat begeben können, um die Anwendung des Schengen-Besitzstands zu überprüfen. In dem anschließenden Bericht sollen aufgedeckte Mängel festgehalten und Empfehlungen dazu abgegeben werden, wie und bis wann Abhilfemaßnahmen zu treffen wären. Der evaluierte Mitgliedstaat müsste daraufhin in einem Aktionsplan darlegen, wie er diesen Empfehlungen nachzukommen gedenkt. Die Durchführung des Aktionsplans würde auf Unionsebene kontrolliert und könnte mit weiteren Ortsbesichtigungen verbunden sein.
Diese Änderungen werden das Evaluierungs- und Überwachungssystem verbessern, haben aber keine Wirkung in Fällen, in denen diese Schritte, selbst wenn sie zusammen mit den in Anhang 1 beschriebenen Maßnahmen ergriffen werden, nicht ausreichen, um der in einem Mitgliedstaat festgestellten mangelhaften Anwendung des Schengen-Besitzstands und insbesondere der mangelhaften Kontrolle seiner Außengrenzen abzuhelfen.
Lässt sich die Situation durch Maßnahmen auf Unions- oder nationaler Ebene nicht verbessern, könnte es nötig sein, an den Binnengrenzen zu einem Mitgliedstaat, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, erneut Grenzkontrollen einzuführen, wenn die Situation eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit auf Unions- oder nationaler Ebene darstellt. Eine solche Maßnahme bliebe ausschließlich dem äußersten Notfall vorbehalten, und dann einzig in dem Umfang und für die Dauer, die erforderlich sind, um die widrigen Folgen der außergewöhnlichen Umstände in verhältnismäßiger Weise zu mindern. Würde eine solche Möglichkeit in das System zum Schutz der Schengen-Regeln aufgenommen, hätte dies vorbeugende Funktion und gleichermaßen abschreckende Wirkung.
Aus diesem Grund ändert die Kommission ihren Vorschlag aus dem Jahre 2010 mit dem Ziel einer Verbesserung.
Aussergewöhnliche Umstände, die Anlass zur Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen als Letztes Mittel SEIN können
Welche Bedingungen gelten derzeit für die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen?
Gemäß dem Schengener Grenzkodex9 darf ein Mitgliedstaat unter außergewöhnlichen Umständen im Falle einer "schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" an seinen Binnengrenzen vorübergehend Kontrollen wiedereinführen. Sind die Bedrohungen, die Anlass zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen geben, vorhersehbar, muss der Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission baldmöglichst unterrichten und alle relevanten Informationen über Umfang und Dauer der Wiedereinführung und deren Gründe erteilen. Die Kommission kann eine Stellungnahme zu der Mitteilung abgeben, die Konsultationen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission nach sich ziehen kann. In dringenden Fällen kann die Einführung der Grenzkontrollen unmittelbar wirksam sein.
Im Oktober 2010 teilte die Kommission mit10, dass seit dem Inkrafttreten des Kodex im Oktober 2006 von der Möglichkeit der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen 22 Mal Gebrauch gemacht worden war. Seit der Veröffentlichung des Berichts haben Mitgliedstaaten weitere vier Mal Kontrollen an den Binnengrenzen wiedereingeführt, zuletzt Norwegen und Schweden als Reaktion auf die Terroranschläge in Norwegen. Zumeist erfolgte die Wiedereinführung von Grenzkontrollen jedoch, um Polizeibehörden zu ermöglichen, bei großen Sportereignissen, politischen Demonstrationen oder hochrangigen politischen Treffen für Sicherheit zu sorgen. Eine einseitige Wiedereinführung dauerte in keinem Fall länger als 30 Tage und zumeist wesentlich kürzer.
Jedoch treffen die Informationen, die die Mitgliedstaaten anderen Mitgliedstaaten und der Kommission zukommen lassen müssen, oft nicht zeitig genug ein oder sind nicht so ausführlich, dass die Kommission fundiert zu der Mitteilung Stellung nehmen kann.
Notwendigkeit eines Mechanismus auf Ebene der Europäischen Union
Freizügigkeit in einem Raum ohne Binnengrenzen ist eine der wesentlichen Errungenschaften der Union, deren Vorteile alle in diesem Raum lebenden Personen genießen. Deshalb sollten diesbezügliche Beschlüsse generell auf Unionsebene und nicht einseitig auf nationaler Ebene getroffen werden.
Eine koordinierte, EU-gestützte Reaktion würde ermöglichen, dass alle europäischen Interessen berücksichtigt werden. Eine solche Reaktion wäre auf Situationen gerichtet, in denen ein Mitgliedstaat für kurze Zeit einer schwerwiegenden, im Wesentlichen lokal auftretenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit ausgesetzt ist, sowie Situationen, bei denen umfassendere, längerfristige Folgen zu erwarten sind. In beiden Fällen ist eine koordinierte europäische Reaktion gerechtfertigt, weil bei allen Entscheidungen über die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen die menschlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen über das Hoheitsgebiet des Staates, der zu solchen Maßnahmen greift, hinausreichen, auch wenn die Kontrollen nur für eine begrenzte Zeit und in einem bestimmten Gebiet wiedereingeführt würden. Das Argument für ein solches koordiniertes europäisches Vorgehen gilt umso mehr, wenn ein Abschnitt der Außengrenze einer unerwarteten schweren Belastung ausgesetzt wird, oder wenn ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Kontrolle der Außengrenze kontinuierlich nicht nachgekommen ist.
Grenzkontrollen sollten in solchen Situationen nur als letztes Mittel wiedereingeführt werden, und erst nachdem andere Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage an den betreffenden Grenzabschnitten entweder auf europäischer Ebene im Geist der Solidarität und/oder auf nationaler Ebene ergriffen wurden, um eine bessere Einhaltung der gemeinsamen Regeln zu gewährleisten.
Ein konsolidiertes EU-Konzept für die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen im Ausnahmefall
Eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit bleibt weiterhin der einzige Grund für die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen. Die strengen Kriterien für eine außergewöhnliche Abweichung vom Grundsatz des Raums ohne Binnengrenzen werden nicht gelockert und finden auf jedes Szenario Anwendung, für das eine solche Maßnahme ins Auge gefasst wird. Dies gilt z.B. für große Sportveranstaltungen oder hochrangige politische Zusammenkünfte, aber auch für Ereignisse, bei denen ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist, also beispielsweise für terroristische oder sonstige kriminelle Angriffe, wie dem furchtbaren Attentat kürzlich in Norwegen.
Die negativen Folgen, die eintreten, wenn ein Mitgliedstaat anhaltend seiner Verpflichtung, einen Teil der EU-Außengrenzen angemessen zu schützen, nicht nachkommt, oder die Folgen eines plötzlichen und unerwarteten Zustroms von Drittstaatsangehörigen an einem Teil dieser Grenze könnten unter bestimmten Umständen als eine solche Bedrohung gelten. Anhang 2 enthält eine Zusammenfassung der wichtigsten möglichen Szenarien.
Nach dem konsolidierten EU-Konzept gälte als Hauptregel, dass Beschlüsse über die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen von der Kommission als Durchführungsrechtsakt unter angemessener Beteiligung der Mitgliedstaaten getroffen würden. Das Europäische Parlament würde über solche Maßnahmen ordnungsgemäß unterrichtet. Mit dem Beschluss würden Umfang und Dauer der Wiedereinführung der Kontrollen festgelegt, und er könnte jeweils für höchstens 30 Tage bis zu einer Höchstdauer von insgesamt sechs Monaten verlängert werden. Ausnahmsweise würde diese Sechs-MonatsFrist nicht für Situationen gelten, in denen die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen Folge einer negativen Bewertung im Rahmen des Schengener Evaluierungsmechanismus ist, derzufolge ein Mitgliedstaat es anhaltend versäumt hat, seinen Abschnitt der Außengrenze angemessen zu schützen.
In Notsituationen könnten die Mitgliedstaaten jedoch weiterhin einseitig Maßnahmen zur Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen ergreifen, allerdings nur für eine begrenzte Zeit (fünf Tage); Verlängerungen müssten nach dem neuen Verfahren der EU für Durchführungsrechtsakte beschlossen werden.
Bei dem Beschluss über die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen gilt zu bewerten, inwieweit auf eine solche Maßnahme zurückgegriffen werden muss, um die Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit auf Ebene der Union oder auf nationaler Ebene, die Anlass für das Ersuchen oder die Initiative zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen gegeben hat, zu mindern; außerdem muss beurteilt werden, ob die Maßnahme im Verhältnis zu der Bedrohung steht. Die Bewertung muss auf den von dem Mitgliedstaat oder von den betreffenden Staaten zur Verfügung gestellten Informationen oder sonstigen relevanten Informationen beruhen. Bei der Bewertung sind insbesondere folgende Erwägungen zu berücksichtigen:
- - die voraussichtlichen Auswirkungen jeglicher Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit auf Ebene der Union oder der Mitgliedstaaten, einschließlich Bedrohungen durch organisierte Kriminalität oder durch Terrorakte;
- - die Verfügbarkeit technischer oder finanzieller Unterstützungsmaßnahmen, die auf nationaler Ebene und/oder auf Unionsebene in Anspruch genommen werden könnten oder in Anspruch genommen werden, einschließlich der Unterstützung durch Unionseinrichtungen wie Frontex oder Europol, sowie die Einschätzung, inwieweit solche Maßnahmen eine angemessene Reaktion auf die Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit auf Ebene der Union oder auf nationaler Ebene darstellen könnten;
- - die gegenwärtigen und absehbaren künftigen Auswirkungen ernsthafter Mängel bei den Kontrollen der Außengrenzen oder bei Rückführungsverfahren, die im Rahmen der Schengen-Evaluierungen gemäß der Verordnung zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands festgestellt wurden;
- - die absehbaren Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf die Freizügigkeit in einem Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen.
Die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen kann auf jeden Fall nur der letzte Ausweg sein und könnte einzig dann in Betracht gezogen werden, wenn sich alle anderen Maßnahmen zur wirkungsvollen Minderung der festgestellten Bedrohung als ungeeignet erwiesen haben.
Führt ein Mitgliedstaat wieder Kontrollen an den Binnengrenzen ein, ist er gleichwohl weiterhin verpflichtet, das Recht der Personen auf Freizügigkeit, das ihnen nach den Verträgen und der EU-Grundrechtecharta sowie der Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zusteht, zu gewährleisten. Demzufolge können Unionsbürger und ihre Familienangehörigen selbst im Falle der vorübergehenden Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nach Vorlage eines gültigen Reisepasses oder einer gültigen Identitätskarte ohne Weiteres in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einreisen. Alle Verfahrensgarantien, die Unionsbürger und ihre Angehörigen genießen, bleiben bestehen. Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Schengen-Raum aufhalten, werden sich aufgrund ihres Reisedokuments und gegebenenfalls ihrer gültigen Visa oder Aufenthaltstitel ebenfalls weiterhin frei bewegen können.
Anwendung der Schengenregeln unter dem Dach der EU
Die Menschen, die in dem Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen leben und reisen, schätzen dies als eine der höchsten Freiheiten der Europäischen Union. Deshalb sollten die EU-Organe diese Freiheit schützen, dabei jedoch nicht die Fähigkeit der Mitgliedstaaten und der EU, wirksam gegen schwerwiegende Bedrohungen der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit vorzugehen, begrenzen. Deshalb müssen die wichtigsten politischen Akteure in einem ständigen Dialog über das Funktionieren des Schengen-Raums und die Herausforderungen, denen er sich gegenübersieht, stehen. Ein verstärkter Schengener Evaluierungsmechanismus in Verbindung mit einem EU-gestützten Mechanismus, der eine Reaktion auf außergewöhnlich schwerwiegende Bedrohungen ermöglicht, sind Legislativinstrumente, die die Wirksamkeit des Schengen-Raums sowie die Transparenz seiner Funktionsweise verbessern werden.
Diese Legislativinstrumente sowie die regelmäßige Berichterstattung an das Europäische Parlament über das Ergebnis der verschiedenen Ortsbesichtigungen im Rahmen des Schengener Evaluierungsmechanismus sowie die sofortige Unterrichtung des Europäischen Parlaments über Schritte, die zu einer möglichen Wiedereinführung von Grenzkontrollen führen könnten, werden die Verantwortlichkeit und die demokratische Kontrolle fördern. Darüber hinaus wird die Kommission den Organen der Europäischen Union halbjährlich einen Überblick über das Funktionieren von Schengen vorlegen. Dies wird die Grundlage für eine regelmäßige Debatte im Europäischen Parlament und im Rat bilden und die politischen Vorgaben und die Zusammenarbeit im Schengen-Raum stärken helfen.
Ferner wird die Kommission prüfen, wie sich das öffentliche Bewusstsein über die Funktionsweise von Schengen verbessern lässt; unter anderem wäre für die Verbreitung angemessener Informationen Sorge zu tragen, wenn im Ausnahmefall beschlossen wird, vorübergehend Grenzkontrollen wiedereinzuführen.
Fazit
Der Schengen-Raum ist für alle Bewohner Europas von großer Bedeutung. Die Kommission schlägt vor, den Schengen-Besitzstand mittels eines Governance-Systems zu stärken, das imstande ist, wirkungsvoll, rechtzeitig und unionsweit koordiniert auf Ausnahmesituationen und außergewöhnliche Herausforderungen zu reagieren, die die Funktionsweise von Schengen insgesamt gefährden könnten. Außerdem schlägt die Kommission vor, einen regelmäßigeren, strukturierten politischen Dialog zwischen den EU-Organen über die Funktionsweise des Schengen-Raums anzustoßen.
Anhang 1
EU-Massnahmen zur Unterstützung der Mitgliedstaaten BEI der Verwaltung ihrer Aussengrenzen
Ein Mitgliedstaat kann aus folgenden Quellen praktische und finanzielle Unterstützung beantragen, die er benötigt, um eine kritische Situation oder einen Mangel an seinen Außengrenzen zu beheben.
Unterstützung durch Frontex
Die EU-Agentur Frontex ist beauftragt, die Mitgliedstaaten bei der Kontrolle ihrer Außengrenzen zu unterstützen. Die zusätzlichen materiellen Mittel, die Frontex nach der unlängst erfolgten Überarbeitung der Frontex-Verordnung zur Verfügung stehen, sowie die Verlängerung des Mandats der Agentur im Rahmen der Überarbeitung werden dazu beitragen, dass Frontex Mitgliedstaaten, die sich bei der Verwaltung ihrer Außengrenzen oder bei der Bewältigung der Folgen eines großen Zustroms von Migranten innerhalb kurzer Zeit besonderen Herausforderungen gegenübersehen, noch wirksamer unterstützen kann.
Die praktische Unterstützung schließt gemeinsame Operationen ein, beispielsweise Patrouillen an den Außengrenzen im gemeinsamen Interesse aller Mitgliedstaaten.
Zu nennen ist hier beispielsweise die laufende gemeinsame Marineoperation Hermes im südlichen Mittelmeer, die im Februar 2011 im Rahmen des Europäischen Patrouillennetzes gestartet wurde und in erster Linie dazu dient, die Migrationsströme aus Nordafrika nach Italien und Malta einzudämmen. Auch die laufende Operation Poseidon entlang der griechischtürkischen Land- und Meeresgrenzen ist ein Beispiel für solche gemeinsamen Operationen.
Die Agentur kann auch Soforteinsatzteams (RABITs) entsenden, wenn ein Mitgliedstaat ein solches Team angefordert hat. Diese Teams wurden von November 2010 bis März 2011 entlang der griechischtürkischen Landgrenze eingesetzt. Sie bestehen aus Grenzschutzbeamten mehrerer EU-Mitgliedstaaten, die Leitung über die Einsätze hat der Einsatzmitgliedstaat. Nach der Überarbeitung der Frontex-Verordnung wurden die Möglichkeiten für die Unterstützung durch Frontex rationalisiert und insofern gestärkt, als nunmehr Europäische Grenzschutzteams angefordert werden können.
Die Agentur kann einen Mitgliedstaat auch beim Aufbau von Kapazitäten unterstützen, um ihn zu befähigen, seine technischen und personellen Ressourcen zu verstärken, damit er seine Grenzen verwalten oder anderen Verpflichtungen gemäß dem Schengen-Besitzstand, beispielsweise der Rückführung irregulärer Migranten, nachkommen kann. In dieser Weise hat Frontex zum Beispiel Griechenland beim Aufbau von Kapazitäten für die Verwaltung der Rückführung irregulärer Migranten unterstützt.
EU-Mittel
Die finanzielle Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der Grenzverwaltung gewährleistet der Europäische Außengrenzenfonds. Finanzielle Unterstützung, die den Mitgliedstaaten direkt oder indirekt helfen kann, den Zustrom von Migranten zu bewältigen, leisten auch die übrigen migrationsspezifischen Fonds der EU, insbesondere der Rückkehrfonds, der Europäische Flüchtlingsfonds und der Europäische Integrationsfonds. Mittel stehen wie folgt zur Verfügung: als Teil der jährlichen Zahlungen für Aktivitäten, die auf nationaler Ebene (Nutzung nationaler Zuteilungen) oder in mehreren
Mitgliedstaaten ("Gemeinschaftsmaßnahmen") veranstaltet werden, oder in Form von Notzahlungen; sie werden von der Kommission verwaltet. So wurden Italien 2011 beispielsweise Nothilfen aus dem Außengrenzenfonds (und dem Flüchtlingsfonds) gewährt, die dem Land helfen, zumindest teilweise die Folgen des großen Zustroms nordafrikanischer Flüchtlinge, mit dem es dieses Jahr konfrontiert war, zu bewältigen. In den letzten Jahren erhielten auch Griechenland, Italien, Malta und Spanien Unterstützung in Form von "besonderen Maßnahmen" im Rahmen des Außengrenzenfonds, um Mängel an Grenzübergangsstellen zu beheben.
In der Mitteilung "Ein Dialog über Migration, Mobilität und Sicherheit mit den Ländern des südlichen Mittelmeerraums" vertrat die Kommission die Auffassung, dass eine ordnungsgemäße Grenzverwaltung nur möglich ist, wenn angemessene Finanzmittel der EU bereitgestellt werden. Zudem hat die Kommission in ihrer Mitteilung "Ein Haushalt für Europa 2020" eine ganz erhebliche Aufstockung der Mittel für Maßnahmen im Bereich Inneres vorgeschlagen, die sich für den Zeitraum 2014 bis 2020 auf insgesamt 8,2 Mrd. EUR belaufen; sie sollen ermöglichen, dass migrationspolitische Angelegenheiten angemessen und rechtzeitig behandelt werden.
Andere unterstützende Maßnahmen
Je nachdem, wie sich die Lage in einem Mitgliedstaat darstellt, insbesondere wenn dort eine große Zahl Asylsuchender eingetroffen sind, kann es auch hilfreich sein, um Unterstützung beim Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) nachzusuchen; das Büro könnte gegebenenfalls Asyl-Unterstützungsteams entsenden, die beispielsweise bei der Aufnahme von Antragstellern oder der Bearbeitung von Asylanträgen beratend tätig werden könnten. In den letzten Monaten hat das EASO Griechenland in dieser Weise beim Aufbau von Kapazitäten unterstützt, um die Handhabung des griechischen Asylsystems zu verbessern.
Haben die Herausforderungen, mit denen der fragliche Mitgliedstaat konfrontiert ist, einen kriminellen Hintergrund, kann es auch ratsam sein, Unterstützung von Europol anzufordern. Im Falle krimineller Netze, die Migranten schleusen oder mit Migranten Menschenhandel treiben, kann Europol bei der Planung und Umsetzung wirksamer Maßnahmen zur Bekämpfung solcher Netze helfen. Europol hat Italien in den letzten Monaten mit einer Risikoanalyse unterstützt, in der untersucht wurde, inwieweit kriminelle oder terroristische Netze die unstabile politische Lage in der Region ausnutzen könnten. Außerdem hat Europol Italien vor Ort auf Lampedusa unterstützt, in Echtzeit den Zugriff auf Verbrechensdatenbanken ermöglicht und sich an der Informationserhebung beteiligt.
Unter bestimmten Umständen sind vielleicht einer oder mehrere Mitgliedstaaten imstande, einem in Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaat ad hoc zu helfen, insbesondere dann, wenn der Mitgliedstaat, der Unterstützung leistet, von der Krisensituation in dem anderen Staat möglicherweise z.B. als Nachbarland unmittelbar betroffen ist; andere Mitgliedstaaten könnten aber auch über besondere Fähigkeiten oder Sachkenntnis verfügen, die für den in Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaat hilfreich sein könnten.
Zusammenarbeit mit Drittländern
Die EU und ihre Agenturen verfügen über Möglichkeiten, Schritte zur Zusammenarbeit mit Herkunfts- bzw. Transit-Drittländern zu ergreifen und den Dialog mit ihnen aufzunehmen; die Länder sollen dabei unterstützt werden, die Grenzverwaltung zu stärken und den Strom irregulärer Migranten einzudämmen. So könnte das betreffende Drittland finanzielle oder materielle Unterstützung erhalten, damit es beispielsweise eine humanitäre Krise besser bewältigen kann. Ebenso könnten Mitgliedstaaten dadurch unterstützt werden, dass mit Drittstaaten Gespräche über die Rückübernahme illegaler Migranten mit Herkunft aus bestimmten Drittstaaten geführt werden; in Frage kämen ebenfalls eine besonders auf die Verwaltung von Migration ausgerichtete technische Unterstützung oder die Umsetzung eines regionalen Schutzprogramms.
Anhang 2
Wichtigste Ausnahmefälle, in denen die Vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen Erwogen werden kann
Wie würde die neue Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen im Ausnahmefall in der Praxis gehandhabt? Dies wird anhand einer nicht erschöpfenden Beschreibung der wichtigsten Szenarien, in denen solche Maßnahmen in Betracht gezogen werden könnten, dargestellt; außerdem wird aufgezeigt, welche Verfahrensschritte in einem solchen Fall zu beachten wären.
Vorhersehbare Ereignisse mit zumeist lokal begrenzten und kurzfristigen Folgen
Ist das Ereignis, das die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen erfordert, vorhersehbar, würde der Mitgliedstaat die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten mindestens sechs Wochen vorher benachrichtigen und alle sachdienlichen Informationen zu den Gründen sowie zu Umfang und Dauer der Maßnahme mitteilen. Ist das Ereignis erst weniger als sechs Wochen, bevor Maßnahmen zur Wiedereinführung ergriffen werden müssen, vorhersehbar, sollte die Mitteilung so schnell wie möglich erfolgen. Daraufhin erginge ein Beschluss der Kommission als Durchführungsrechtsakt; er würde im Rahmen des Prüfverfahrens gefasst, in dem die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der geplanten Maßnahme beurteilt würde (Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren 11).
Erfahrungsgemäß entspricht dieses Szenario den Situationen, die am wahrscheinlichsten Anlass zu Entscheidungen über die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen geben, z.B. große Sportveranstaltungen, politische Demonstrationen und hochrangige Politikertreffen.
Dringende unvorhergesehene Ereignisse kurzer Dauer
Einige Ereignisse, die es notwendig erscheinen lassen, rigorose kurzfristige Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit oder anderer wichtiger öffentlicher Interessen, einschließlich der möglichen zeitlich begrenzten Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen zu ergreifen, sind von Natur aus unvorsehbar. Es kann sich dabei z.B. um einen Terroranschlag oder ein anderes großes Vorkommnis mit kriminellem Hintergrund handeln; es müssen dann alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden, um die rasche Ergreifung der Täter zu gewährleisten.
Unter diesen Umständen können die Mitgliedstaaten sofort Kontrollen an den Binnengrenzen für die Dauer von höchstens fünf Tagen wiedereinführen. Wollen sie diesen Zeitraum verlängern, müssen sie die Kommission und die Mitgliedstaaten entsprechend benachrichtigen. Über eine solche Verlängerung kann im Wege eines besonderen Dringlichkeitsverfahrens gemäß Artikel 8 der Verordnung Nr. 182/2011 umgehend entschieden werden.
Eine anhaltende Nichterfüllung der Pflicht, einen Abschnitt der Außengrenzen der Union zu verwalten
Unter bestimmten Umständen kann es nach Ausschöpfung sonstiger Maßnahmen als letztes Mittel geboten sein, einige Kontrollen an den Binnengrenzen vorübergehend wiedereinzuführen, um die negativen Folgen der Nichterfüllung der Pflicht eines Mitgliedstaats, seinen Abschnitt der Außengrenzen zu verwalten, zu begrenzen.
Die Mängel bei der Grenzverwaltung würden in dem als Teil des Evaluierungsmechanismus verfassten Bericht aufgezeigt, der Empfehlungen darüber enthielte, wie die Mängel abzustellen wären. Der betreffende Mitgliedstaat wäre gehalten, in einem Aktionsplan darzulegen, wie er diesen Empfehlungen nachkommen wird; die Umsetzung würde von der Kommission kontrolliert. Die Kommission könnte den Mitgliedstaat auffordern, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise Frontex um Unterstützung zu bitten oder befristet einen bestimmten Grenzübergang zu schließen, um bestimmte Mängel zu beheben. Lassen sich die Mängel mit diesen Maßnahmen jedoch nicht beheben und stellen sie auf Ebene der Union oder auf nationaler Ebene eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit dar, könnte die Kommission die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen beschließen. Zuvor würde die Kommission eingehend die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit prüfen und die wahrscheinliche Wirkung auf den freien Personenverkehr im Schengen-Raum bewerten.
Ereignisse, die kurz- oder längerfristig große Auswirkungen haben könnten
Es können Situationen eintreten, in denen eine große Zahl von Drittstaatsangehörigen die Außengrenze eines oder mehrerer Mitgliedstaaten überquert. Dies könnte unerwartete, bedeutende Sekundärbewegungen von Drittstaatsangehörigen auslösen, die sich unrechtmäßig im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten aufhalten. In einem solchen Falle könnte die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen als letzter Ausweg dienen, sofern die Umstände eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit auf Ebene der Union oder auf nationaler Ebene darstellten. Wünscht ein Mitgliedstaat in einer solchen Situation Kontrollen an den Binnengrenzen wiedereinzuführen, könnte er sich mit seinem Ersuchen analog zu dem Verfahren bei vorhersehbaren Ereignissen an die Kommission wenden. Vor einer solchen Entscheidung müsste die Kommission die Mitgliedstaaten und die betreffenden Interessenträger konsultieren und sich davon überzeugen, dass wahrscheinlich ausschließlich diese Maßnahme Wirkung haben wird; zuvor muss sie alle anderen Maßnahmen, einschließlich jener in Anhang 1, in Betracht gezogen haben.
Überquert eine große Zahl von Drittstaatsangehörigen die Außengrenzen, könnte dies unter Umständen die unmittelbare befristete Wiedereinführung eines gewissen Maßes an Kontrollen an den Binnengrenzen rechtfertigen, damit sofort die Maßnahmen getroffen werden können, die zum Schutz der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit auf Ebene der Union oder auf nationaler Ebene vonnöten sind. In solchen Fällen könnte ein Mitgliedstaat für höchstens fünf Tage Kontrollen an den Binnengrenzen wiedereinführen, wie bei "unvorhergesehenen Ereignissen" ausgeführt. Wünscht der Mitgliedstaat die Wiedereinführung über diese Dauer hinaus zu verlängern, muss er die Kommission und die Mitgliedstaaten entsprechend informieren; eine Verlängerung kann auf Unionsebene im Wege des besonderen Dringlichkeitsverfahrens gemäß Artikel 8 der Verordnung Nr. 182/2011 gewährt werden.
Dank der Wiedereinführung gezielter Kontrollen an ausgewählten Binnengrenzen könnten Drittstaatsangehörige, die sich unrechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhalten, gefasst und zurückgeführt werden; vorzugsweise sollte die Rückführung freiwillig gemäß der Richtlinie 2008/115 (Rückkehrrichtlinie) geschehen, und zwar entweder direkt in ihr Herkunftsland oder aber in den Mitgliedstaat, durch den sie durchgereist sind, wenn dies möglich ist, da ja bilaterale Abkommen bestehen, die die Möglichkeit einer solchen Rückführung vorsehen. Auf diese Weise könnten auch kriminelle Netze bei ihren Machenschaften gestört werden, und zwar insbesondere, wenn viele der Migranten wahrscheinlich Gegenstand oder Opfer organisierten Menschenschmuggels oder Menschenhandels in der Union sind oder sich selbst an kriminellen Machenschaften beteiligen.
- 1. Eurobarometer, "Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union - Frühjahr 2011 ", S. 31-32.
- 2. KOM (2011) 248 vom 4.5.2011.
- 3. EUCO 23/11 vom 24.6.2011.
- 4. KOM (2011) 559 und KOM (2011) 560.
- 5. 11476/11 [ASIM 64 COMIX 395]
- 6. P7_TA(2011)0336.
- 7. KOM (2011) 248.
- 8. KOM (2010) 624 vom 16.11.2010.
- 9. ABl. L 105 vom 13.4.2006, S. 1.
- 10. KOM (2010) 554.
- 11. ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13.