902. Sitzung des Bundesrates am 2. November 2012
Der Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die erfolgreiche Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien am 30. Juni 2011.
- 2. Der Bundesrat würdigt die von der Republik Kroatien seit ihrer Unabhängigkeit im Rahmen des Assoziierungs- und Beitrittsprozesses mit der EU erzielten großen Fortschritte u.a. bei der Übernahme und Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes. Die kroatischen Anstrengungen zur Aussöhnung mit den Nachbarn sind dabei als Modell für die gesamte Region besonders zu würdigen. Er stellt fest, dass diese positive Reformbilanz mit weitreichenden politischen, sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen verbunden ist.
- 3. Der Bundesrat erinnert daran, dass die deutschen Länder Kroatien bei den Reformanstrengungen, insbesondere durch den Transfer von Expertenwissen im Rahmen gemeinsamer Regierungskommissionen, erfolgreich auf dem Weg in die EU unterstützt haben und diese Zusammenarbeit auch nach einem Beitritt fortsetzen werden.
- 4. Der Bundesrat begrüßt die klare und ausgewogene Bewertung des Reformstands durch die Kommission im umfassenden Monitoringbericht über den Stand der Vorbereitungen Kroatiens auf die EU-Mitgliedschaft.
- 5. Der Bundesrat würdigt auch die Fortschritte, die Kroatien bei der Durchführung der notwendigen Reformen nach dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen erreicht hat, insbesondere bei der Übernahme und der Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes. Er stellt aber auch fest, dass nach den Schlussfolgerungen der Kommission in den Bereichen Justiz und Grundrechte, Inneres, Wettbewerbspolitik und Grenzmanagement noch verstärkte Anstrengungen Kroatiens erforderlich sind, um die notwendigen Reformen bis zum EU-Beitritt zum Abschluss zu bringen. Dazu gehört insbesondere auch die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit durch weitere Maßnahmen zur Sicherstellung einer effizienten Justiz, eine ausreichende Verwaltungskapazität sowie die wirksame Prävention und Bekämpfung von Korruption auch auf höchster Ebene.
- 6. Der Bundesrat ist zuversichtlich, dass Kroatien die noch erforderlichen Reformanforderungen der Kommission mit den größtenteils bereits eingeleiteten notwendigen Maßnahmen rechtzeitig vor dem Beitritt auch erfolgreich umsetzen wird.
- 7. Aus Sicht des Bundesrates ist eine strenge Kontrolle der Einhaltung der Beitrittskriterien von herausragender Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Union nach innen wie nach außen sowie für die Akzeptanz der Erweiterung in der Bevölkerung.
- 8. Der Bundesrat begrüßt, dass Kroatien im Beitrittsvertrag weitreichende Verpflichtungen zu weiteren Reformen in den Bereichen Justiz und Grundrechte übernommen hat, insbesondere zur Steigerung der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Effizienz der Justiz, zur unparteiischen Bearbeitung der Fälle von Kriegsverbrechen in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption. Er ist der Ansicht, dass das im Beitrittsvertrag vorgesehene Verfahren zur Überwachung der übernommenen Verpflichtungen im Bereich Justiz und Grundrechte bis zum Beitritt der Republik Kroatien konsequent umgesetzt werden sollte.
- 9. Der Bundesrat hält an seiner Auffassung fest, dass bei künftigen Erweiterungen die umfassende Beitrittsreife vor der Festlegung eines konkreten Beitrittszeitpunkts gegeben sein muss. Der Bundesrat begrüßt daher das auf den bisherigen Erfahrungen basierende neue Konzept der Kommission für künftige Beitrittsverhandlungen, das die frühzeitige Einleitung der Beratungen zu den Kapiteln Justiz, Grundrechte sowie Recht, Freiheit und Sicherheit vorsieht. Dies kann es ermöglichen, im Beitrittsprozess nicht nur die Einleitung der notwendigen Reformen, sondern auch das Erzielen konkreter, nachhaltiger Resultate bei ihrer Umsetzung über einen längeren Zeitraum hinweg zu überprüfen.
- 10. Der Bundesrat hat wiederholt darauf hingewiesen, dass eine erweiterte EU mit einer Reform der Institutionen Hand in Hand gehen muss. Mit dem Vertrag von Lissabon sind erste Schritte erfolgt, um die Handlungs- und Funktionsfähigkeit auch einer erweiterten EU abzusichern.
- 11. Der Bundesrat stellt fest, dass das Gesetz seiner Zustimmung mit zwei Dritteln seiner Stimmen gemäß Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 2 GG bedarf.
Begründung:
Gemäß Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 GG ist die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln seiner Stimmen erforderlich, wenn durch Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU und vergleichbare Regelungen das GG seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen und Ergänzungen ermöglicht werden. Der Beitrittsvertrag regelt erstmalig verbindlich für Kroatien die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament, die Stimmenzahl im Rat sowie das künftig geltende Quorum für Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit (Artikel 18 ff. der Beitrittsakte). Insbesondere der geltende EUV wird durch diese Regelungen des Beitrittsvertrags entsprechend angepasst. Durch den Beitrittsvertrag werden endgültig und rechtlich verbindlich die institutionellen Bestimmungen geändert und damit der Kreis der Befugten, die übertragene Hoheitsrechte ausüben, geändert. Zudem wird auch die Höchstzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments gegenüber den Festlegungen in den europäischen Verträgen für die Aufnahme von Kroatien erhöht. Durch den Beitritt verschieben sich im Ergebnis Stellung und Gewicht der Bundesrepublik Deutschland im institutionellen Gefüge der EU. Das relative Stimmengewicht Deutschlands, insbesondere im Rat, und damit die Möglichkeiten seiner Einflussnahme bei der Ausübung der auf die EU übertragenen Hoheitsrechte verändern sich.
Dies stellt eine wesentliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU dar, durch die das GG seinem Inhalt nach geändert bzw. ergänzt wird. Somit ist die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln seiner Stimmen erforderlich.