Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg
Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr

A. Problem und Zielsetzung

Die Strafverfolgungspraxis zeigt, dass das Untersuchungshaftrecht in seiner derzeitigen Fassung nicht ausreichend geeignet ist, der Begehung schwerwiegender Gewaltstraftaten vorzubeugen. Zwar soll der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ( § 112a StPO) präventiv den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren schweren Straftaten eines Beschuldigten verstärken (sogenannte Sicherungshaft). Jedoch führen seine engen Voraussetzungen oftmals dazu, dass Sicherungshaft nicht angeordnet werden kann, obwohl im konkreten Einzelfall ein unabweisliches Bedürfnis dafür besteht.

Insbesondere setzt der Haftgrund der Wiederholungsgefahr für eine Vielzahl von Straftatbeständen (vgl. § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO) neben der Anlasstat, in Hinblick auf die die Untersuchungshaft angeordnet werden soll, auch eine bereits früher begangene Vortat voraus. Damit soll dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden. In der Praxis scheitert dadurch jedoch die Bejahung einer Wiederholungsgefahr oft auch in solchen Fällen, in denen die Anordnung von Sicherungshaft dringend erforderlich wäre. Denn selbst bei erkannter Gefährlichkeit eines (mutmaßlichen) Täters und trotz der Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten kann das Gericht sich oftmals nicht auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr stützen, weil es an einer entsprechenden Vortat fehlt. Dies hat zur Folge, dass der (mutmaßliche) Täter zu entlassen ist, und zwar auch dann, wenn dieser durch die Begehung einer schwerwiegenden Gewalttat besondere Brutalität, Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit sowie eine geringe Affektkontrolle offenbart hat und die Gefahr besteht, dass er weitere schwerwiegende Straftaten begehen wird. Dies gilt insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden, aber auch bei (jungen) Erwachsenen, die mitunter erst am Beginn einer kriminellen Laufbahn stehen. Die Anordnung von Sicherungshaft ohne entsprechende Vortat kennt das Gesetz bislang nur bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174, 174a, 176-179 StGB) und der qualifizierten Nachstellung (§ 238 Abs. 2 und 3 StGB). Hier geht der Gesetzgeber bereits jetzt davon aus, dass schon die einmalige Begehung dieser Straftaten schwere Persönlichkeitsmängel indiziert, die eine Tatwiederholung nahelegen.

Darüber hinaus umfasst der Katalog der tauglichen Anlasstaten in § 112a StPO die vorsätzliche Körperverletzung ( § 223 StGB) nicht. Auch eine vorsätzliche Körperverletzung kann jedoch mit erheblicher Brutalität begangen werden und zu schwerwiegenden Folgen für das Opfer führen. Folglich entspricht auch der Strafrahmen des § 223 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren dem anderer Katalogtaten des § 112a StPO. Schon daraus ergibt sich, dass auch in Fällen vorsätzlicher Körperverletzung ein Bedürfnis bestehen kann, der wiederholten Begehung solcher Taten durch Anordnung von Sicherungshaft vorzubeugen. Daher muss der Katalog der Anlasstaten in § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO um die vorsätzliche Körperverletzung erweitert werden.

Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wahrung der Verhältnismäßigkeit wird in Hinblick auf beide vorbeschriebenen Änderungen durch zwei Kriterien Rechnung getragen, die den Anwendungsbereich der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr sachgerecht einschränken. Dies ist zum einen das Erfordernis, dass es sich bei der Anlasstat im Einzelfall um eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat handeln muss und zum anderen das Erfordernis, dass für diese Anlasstat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein muss.

Um das in § 112a StPO in seiner gegenwärtigen Fassung angelegte Missverhältnis zwischen den schützenswerten Freiheitsrechten des Beschuldigten und den schützenswerten Interessen der Bevölkerung vor gefährlichen Gewalttätern auszugleichen, soll § 112a StPO daher zusammenfassend wie folgt geändert werden:

- In § 112a Abs. 1 StPO sind in einer neu gefassten Nummer 2 die Straftatbestände der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ( § 89a StGB), der qualifizierten Körperverletzungsdelikte (§§ 224-227 StGB), der Raub- und räuberischen Erpressungsdelikte (§§ 249-255 StGB), der vorsätzlichen Brandstiftungsdelikte (§ 306-306c StGB) und des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316a StGB) mit dem Erfordernis aufzunehmen, dass es sich zum einen um eine im Einzelfall die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat handelt und dass zum anderen eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist; auf das Erfordernis der Vortat wird verzichtet.

- Soweit die derzeit in Nummer 2 erfassten Delikte nicht zu den vorstehend beschriebenen gehören werden diese in einer neuen Nummer 3 aufgeführt; dieser Katalog wird zudem um den Straftatbestand des § 223 StGB erweitert.

Zugleich ist der Straftatenkatalog des bisherigen § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO (§ 112a Abs. 1 Nr. 3 StPO-E) an zwischenzeitliche Gesetzesänderungen anzupassen:

- Statt des zwischenzeitlich aufgehobenen § 29 Abs. 1 Nr. 4 BtMG ist der diese Vorschrift ersetzende § 29 Abs. 1 Nr. 13 BtMG in die neue Nummer 3 des § 112a Abs. 1 StPO aufzunehmen. Ferner gilt es § 30a Abs. 2 BtMG, der mit § 30a Abs. 1 BtMG gleichwertig ist, als Anlasstat aufzunehmen.

Um die Prüfung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die zu treffende Prognoseentscheidung effektiver zu gestalten, ist darüber hinaus eine Änderung des Bundeszentralregistergesetzes erforderlich. Staatsanwaltschaften und Gerichte berücksichtigen bei ihrer Prognoseentscheidung über die von einem Beschuldigten ausgehende Gefahr neuer Straftaten insbesondere Auskünfte aus dem Zentral- und dem Erziehungsregister. Aus diesem Grund ist es wichtig, alle bedeutsamen Entscheidungen darin vollständig abzubilden. Hier besteht nach geltender Rechtslage jedoch eine empfindliche Lücke für den Bereich der Jugendstrafrechts, da die Aussetzung der Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe ( § 27 JGG, sogenannter Schuldspruch) zwar zunächst in das Bundeszentralregister eingetragen, nach Ablauf einer ein- bis zweijährigen Bewährungszeit jedoch getilgt wird. Dadurch ist eine entsprechende Verurteilung, obwohl ihr in der Regel schwerwiegendere Straftaten zugrunde liegen, bereits nach kurzer Zeit für Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht mehr aus der Registerauskunft ersichtlich und kann für die Beurteilung einer Wiederholungsgefahr nicht mehr berücksichtigt werden.

Diese Lücke gilt es zu schließen, um Staatsanwaltschaften und Gerichte umfassend über die strafrechtlichen Auffälligkeiten eines Beschuldigten zu informieren und dadurch den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern zu verbessern:

- § 60 Abs. 1 Nr. 3 BZRG ist um den Fall des § 13 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BZRG zu ergänzen.

B. Alternativen

Beibehaltung des gegenwärtigen unbefriedigenden Zustandes.

C. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand:

Keine.

2. Vollzugsaufwand:

Der im Interesse des präventiven Opferschutzes angestrebte vermehrte Vollzug von Untersuchungshaft bzw. von jugendgerichtlicher Unterbringung minderjähriger Beschuldigter zur Vermeidung von Untersuchungshaft kann zu vermehrtem Vollzugsaufwand für die Justiz- bzw. Sozialhaushalte führen, der aber nicht quantifiziert werden kann. Mit erheblichen Auswirkungen ist jedoch nicht zu rechnen. Eventuelle Mehrbelastungen sind in den jeweiligen Einzelplänen aufzufangen.

D. Sonstige Kosten

Keine.

Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg
Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr

Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Hamburg, 18. Januar 2011

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft

Sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin,
der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat beschlossen, dem Bundesrat den anliegenden

Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Artikel 76 Absatz 1 Grundgesetz zu beschließen.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrats auf die Tagesordnung der 879. Sitzung des Bundesrats am 11. Februar 2011 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zu überweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Christoph Ahlhaus

Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung

§ 112a Abs. 1 der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... (BGBl. I. S. ...) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:

Artikel 2
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes

§ 60 Absatz 1 Nr. 3 des Bundeszentralregistergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl. I S. 1229; 1985 I S. 195), das zuletzt durch ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:

"3. der Schuldspruch, der nach § 13 Abs. 2 Satz 2 aus dem Zentralregister entfernt worden ist,".

Artikel 3
Einschränkung eines Grundrechts

Das Grundrecht der persönlichen Freiheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes wird nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

Artikel 4
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeines

Der Schutz der Bevölkerung vor Gewalttaten ist eine der zentralen Aufgaben staatlichen Handelns. Dieser Zweck wird unter anderem mit der Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr erreicht (sogenannte Sicherungshaft). Die derzeitige gesetzliche Regelung dieses Haftgrundes ist allerdings in ihren Anwendungsvoraussetzungen zu eng und daher nicht ausreichend geeignet, der Begehung schwerwiegender Gewalttaten vorzubeugen.

Voraussetzung für die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist bei einer Vielzahl von Straftatbeständen neben der Anlasstat, in Hinblick auf die die Sicherungshaft verhängt werden soll, insbesondere auch eine schwerwiegende Vortat (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Damit soll dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden. In der Praxis führt diese Voraussetzung jedoch dazu, dass eine Wiederholungsgefahr oft auch in solchen Fällen abgelehnt werden muss, in denen die Anordnung von Sicherungshaft dringend erforderlich wäre. Denn selbst bei erkannter Gefährlichkeit eines (mutmaßlichen) Täters und trotz der Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten kann das Gericht sich oftmals nicht auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr stützen, weil es an einer entsprechenden Vortat fehlt. Dies hat zur Folge, dass der (mutmaßliche) Täter wieder zu entlassen ist, und zwar auch dann, wenn er bei der Tatbegehung besondere Brutalität, Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit sowie eine geringe Affektkontrolle offenbart hat und die Gefahr besteht, dass er weitere schwerwiegende Straftaten begehen wird. Dies gilt insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden, aber auch bei (jungen) Erwachsenen, die mitunter erst am Beginn einer kriminellen Laufbahn stehen. Auch unter Berücksichtigung des Freiheitsanspruchs eines noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten und der für ihn streitenden Unschuldsvermutung bleibt die derzeitige Ausgestaltung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr hinter dem zurück, was für einen effektiven Schutz der Bevölkerung vor schweren Straftaten notwendig und verfassungsrechtlich möglichen ist. Der Anwendungsbereich der Sicherungshaft muss daher bei schwerwiegenden Gewalttaten durch einen Verzicht auf die Voraussetzung einer Vortat ausgeweitet werden.

Darüber hinaus ist der Katalog der tauglichen Anlasstaten um den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung ( § 223 StGB) zu erweitern. Auch eine vorsätzliche Körperverletzung kann mit erheblicher Brutalität begangen werden und zu schwerwiegenden Folgen für das Opfer führen. Folglich entspricht auch der Strafrahmen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren dem anderer Katalogtaten des § 112a StPO. Schon daraus ergibt sich, dass auch in Fällen vorsätzlicher Körperverletzung ein Bedürfnis bestehen kann, der wiederholten Begehung solcher Taten durch Anordnung von Sicherungshaft vorzubeugen. Dies macht es erforderlich, auch den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung als Anlasstat in § 112a Abs. 1 StPO aufzunehmen.

Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wahrung der Verhältnismäßigkeit wird in Hinblick auf beide vorbeschriebenen Änderungen durch zwei Kriterien Rechnung getragen, die den Anwendungsbereich der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr sachgerecht einschränken. Dies ist zum einen das Erfordernis, dass es sich bei der Anlasstat im Einzelfall um eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat handeln muss, und zum anderen das Erfordernis, dass für diese eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein muss.

Weiterer Anpassungsbedarf hinsichtlich des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO (§ 112a Abs. 1 Nr. 3 StPO-E) ergibt sich zudem aus zwischenzeitlich vorgenommenen Änderungen im Betäubungsmittelgesetz.

Schließlich muss die strafrechtliche Praxis durch eine Änderung des Bundeszentralregistergesetzes in die Lage versetzt werden, bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr vorliegen, sich einen möglichst vollständigen Überblick über frühere Verurteilungen des Beschuldigten zu verschaffen. Im Rahmen der Prognoseentscheidung über die Wiederholungsgefahr ist stets zu prüfen, ob bestimmte Tatsachen dafür sprechen, dass der (mutmaßliche) Täter vor rechtskräftiger Aburteilung der Anlasstat weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen wird. Staatsanwaltschaften und Gerichte ziehen hierfür insbesondere Auskünfte aus dem Zentral- und dem Erziehungsregister heran, so dass die vollständige Abbildung bedeutsamer Entscheidungen im Register von großer praktischer Bedeutung ist. In Bezug auf jugendliche und heranwachsende Gewalttäter weist das Bundeszentralregister insoweit aber eine empfindliche Lücke auf: Nach derzeitiger Rechtslage wird die Aussetzung der Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe ( § 27 JGG, sogenannter Schuldspruch) zwar zunächst in das Bundeszentralregister eingetragen. Wird der Schuldspruch jedoch nach Ablauf der Bewährungszeit, deren Länge zwischen einem und zwei Jahren betragen kann, nach § 30 Abs. 2 JGG getilgt, so wird die Eintragung aus dem Zentralregister gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BZRG vollständig entfernt. Eine Übernahme in das Erziehungsregister erfolgt nicht. Die Verurteilung zu einem Schuldspruch lässt sich daher unter Umständen bereits nach kurzer Zeit weder im Zentralregister noch im Erziehungsregister nachvollziehen. Bei dem Institut der Aussetzung der Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe handelt es sich jedoch um eine Rechtsfolge, die in der Systematik der jugendstrafrechtlichen Sanktionen bereits über dem Jugendarrest und damit unmittelbar vor der Verhängung einer Jugendstrafe angesiedelt ist und auf die regelmäßig erst bei schwereren Verfehlungen zurückgegriffen wird. Die damit gerade bei schwereren Straftaten bestehende Lücke hinsichtlich der Informationen, die den Strafverfolgungsbehörden zur Beurteilung der Voraussetzungen einer Sicherungshaft Verfügung stehen, gilt es zu schließen, um Staatsanwaltschaften und Gerichten eine möglichst gesicherte Prognose zu ermöglichen.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)

Die Vorschrift des § 112a StPO ist in ihren Voraussetzungen teilweise zu eng und reicht daher nicht aus, um die Allgemeinheit angemessen vor weiteren erheblichen Straftaten besonders gefährlicher Täter zu schützen.

Bislang sieht ausschließlich § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO für die dort genannten Sexualstraftaten und die Qualifikationen der Nachstellung vereinfachte Voraussetzungen für die Annahme der Wiederholungsgefahr vor. Der Gesetzgeber ging bei diesen Tatbeständen davon aus, dass der Täter bereits durch die Begehung der Anlasstat besondere Persönlichkeitsdefizite und eine geringe Affektkontrolle offenbart hat, die weitere Taten ähnlicher Schwere befürchten lassen, so dass das Erfordernis einer Vortat nicht geboten ist, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen.

Der Entwurf sieht nunmehr vor, in § 112a Abs. 1 StPO unter der neu gefassten Nummer 2 solche Tatbestände zu erfassen, denen eine vergleichbare Indizwirkung für eine Wiederholungsgefahr - hohes Aggressionspotential, niedrige Hemmschwelle, geringe Affektkontrolle - zukommt wie den bereits in § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO enthaltenen Anlasstaten. Dies sind namentlich die Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat ( § 89a StGB), die qualifizierten Körperverletzungsdelikte (§§ 224 bis 227 StGB), die Raub- und Erpressungsdelikte (§§ 249 bis 255 StGB), die vorsätzlichen Brandstiftungsdelikte (§§ 306 bis 306c StGB) und der räuberische Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB). Bei (mutmaßlichen) Tätern dieser Straftaten soll zukünftig die Möglichkeit für Staatsanwaltschaften und Gerichte bestehen, bereits allein aufgrund der Anlasstat eine Wiederholungsgefahr zu bejahen, ohne dass es einer Vortat bedarf. Das Abwarten einer weiteren, der Anlasstat vergleichbaren Straftat führt hier zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen und widerspricht dem Bestreben nach Sicherheit und Schutz der Bevölkerung. Dieser Widerspruch ist auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich garantierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kriminalpolitisch nicht zu vertreten.

Die Straftaten aus dem Katalog der Nummer 2 in der gegenwärtigen Fassung, denen die angesprochene Indizwirkung nicht beigemessen werden kann, werden in einer neuen Nummer 3 zusammengefasst. Bei ihnen bleibt es dabei, dass die Anordnung der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr das Vorliegen einer der Anlasstat vergleichbaren Vortat erfordert.

Um die verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeit zwischen dem Eingriff in das in Freiheitsrecht des Beschuldigten (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) einerseits und dem als Teil des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) geschützten öffentlichen Interesse an der Sicherheit der Bevölkerung andererseits zu wahren, wird die Anordnung von Sicherungshaft nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO-E jeweils vom Vorliegen einschränkender Voraussetzungen abhängig gemacht. Zum einen müssen die Anlasstaten, wegen derer Sicherungshaft verhängt wird, im Einzelfall die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt haben. Zum anderen muss im Einzelfall eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein. Diese Voraussetzungen und die - auch bei § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO-E - in jedem Einzelfall zu prüfende Wiederholungsgefahr stellen sicher, dass bei Taten, die von der Unrechtsverwirklichung im Vergleich zur Durchschnittstat an der unteren Grenze liegen und auf einen nicht generell gefährlichen Täter hindeuten, auch weiterhin kein Haftbefehl erlassen werden darf. Damit wird auch hinreichend berücksichtigt, dass das Sicherheitsbedürfnis der Gemeinschaft den verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten, lediglich verdächtigen Beschuldigten nur in eng umgrenzten Fällen überwiegt und der Ausdehnung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr ein enger Rahmen gesetzt ist.

Darüber hinaus wird der Straftatenkatalog der neuen Nummer 3 gegenüber der bisherigen Rechtslage um die vorsätzliche Körperverletzung ( § 223 StGB) erweitert. In Anbetracht dessen, dass auch eine einfache Körperverletzung mit erheblicher Brutalität begangen werden und zu schwerwiegenden Folgen für das Opfer führen kann, kann im Einzelfall das praktische Bedürfnis bestehen, auch anlässlich einer vorsätzlichen Körperverletzung etwaigen neuerlichen Straftaten durch Anordnung von Sicherungshaft vorzubeugen.

Dadurch, dass die vorsätzliche Körperverletzung in die neu geschaffene Nummer 3 aufgenommen wird, ist für die Anordnung von Sicherungshaft in diesen Fällen zum einen eine Vortat erforderlich, zum anderen müssen die vorgenannten einschränkenden Voraussetzungen einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung sowie einer zu erwartenden Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr erfüllt sein. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass eine vorsätzliche Körperverletzung nicht zwingend einen erheblichen Unrechtsgehalt aufweist und sie nicht zwangsläufig ein erhebliches Persönlichkeitsdefizit des Täters indiziert und wahrt damit die Verhältnismäßigkeit.

Zudem ist der derzeit geltende § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO (§ 112a Abs. 1 Nr. 3 StPO-E) an in der Vergangenheit in Kraft getretene Gesetzesänderungen anzupassen:

Erstens ist der in dem derzeit geltenden § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO aufgeführte § 29 Abs. 1 Nr. 4 BtMG formal entfallen, inhaltlich aber in § 29 Abs. 1 Nr. 13 BtMG erfasst. § 29 Abs. 1 Nr. 13 BtMG wurde daher anstelle des § 29 Abs. 1 Nr. 4 BtMG in den Katalog der Anlasstaten aufgenommen. Nach dieser Vorschrift soll der aus Gewinnstreben - regelmäßig wiederholend - handelnde Großtäter, der nicht selbst aktiv in Erscheinung tritt, sondern den illegalen Rauschgifthandel aus dem Hintergrund heraus mit Geldmitteln versorgt, strafrechtlich erfasst werden (BT-Drs. 8/3551).

Zweitens ist in dem derzeit geltenden § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO lediglich § 30a Abs. 1 BtMG als Anlasstat aufgenommen, nicht aber der ihm gleichstehende § 30a Abs. 2 BtMG. Hierbei handelt es sich offensichtlich um redaktionelles Versehen, denn der Absatz 2 wurde erst nachträglich durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994) in § 30a BtMG eingefügt. § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG entspricht inhaltlich dem früheren § 29a Abs. 1 Nr. 1b BtMG, der selbst Anlasstat im Sinne des bisherigen § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO war und ist. Bei § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, der bei Betäubungsmitteldelikten das Mitführen von Schusswaffen oder ähnlichen Gegenständen unter Strafe stellt, handelt es sich um eine neue Regelung. Sowohl aus dem Wortlaut "Ebenso wird bestraft ( ... )" als auch durch den identischen Strafrahmen "Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren" wird die Gleichstellung mit § 30a Abs. 1 BtMG deutlich. Für die Aufnahme des § 30a Abs. 2 BtMG spricht zudem ein Vergleich mit den Anlasstaten der §§ 29 Abs. 1, 29a Abs. 1 und 30 Abs. 1 BtMG, die im Vergleich einen geringeren Unrechtsvorwurf verkörpern.

Zu Artikel 2 (Änderung des Bundeszentralregistergesetz)

Die Ergänzung der Eintragungstatbestände im Erziehungsregister in § 60 Abs. 1 Nr. 3 BZRG um den Fall des § 13 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BZRG gewährleistet, dass die Aussetzung der Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe, also der sogenannte Schuldspruch nach § 27 JGG, im Anschluss an seine Tilgung ( § 30 Abs. 2 JGG) nicht "spurlos" aus dem Zentralregister und dem Erziehungsregister verschwindet, sondern - wie andere jugendstrafrechtliche Maßnahmen auch - im Erziehungsregister verzeichnet bleibt. Dadurch wird Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit eröffnet, bei ihrer Prüfung, ob der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gegeben ist, alle früheren strafrechtlichen Auffälligkeiten des Beschuldigten zu berücksichtigen.

Bei einem solchen Schuldspruch handelt es sich um eine Rechtsfolge, die in der Systematik der jugendstrafrechtlichen Sanktionen bereits über dem Jugendarrest und damit unmittelbar vor der Verhängung einer Jugendstrafe angesiedelt ist und auf die regelmäßig erst bei schwereren Verfehlungen von Jugendlichen und Heranwachsenden zurückgegriffen wird. Für Staatsanwaltschaften und Gerichte, die im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung, ob mit weiteren schwerwiegenden Straftaten eines Beschuldigten zu rechnen ist, insbesondere berücksichtigen müssen, ob ein Beschuldigter in der Vergangenheit bereits in erheblicherem Umfang strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, und dazu insbesondere auf die vorhandenen Registereintragungen zurückgreifen, ist die Kenntnis eines bereits ausgeurteilten Schuldspruchs daher ein wichtiges Indiz. Die beabsichtigte Änderung im Registerrecht führt dazu, dass ihnen diese Information zukünftig zur Verfügung steht und beseitigt damit ein nicht zu rechtfertigendes Informationsdefizit.

Die Änderung steht zudem im Einklang mit dem Sinn und Zweck des Erziehungsregisters. Die Eintragungen von Entscheidungen im Erziehungsregister sollen einerseits eine Stigmatisierung des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden so weit wie möglich vermeiden, um seine Erziehung und seine soziale Integration nicht zu gefährden und um zu verhindern, dass sich die bereits bestehenden Sozialisationsdefekte verstärken. Andererseits dienen die Eintragungen im Erziehungsregister aber auch dazu, die kriminelle Entwicklung Jugendlicher und Heranwachsender möglichst lückenlos zu dokumentieren, damit Staatsanwaltschaft und Gericht diese bei der Wahl einer angemessenen jugendstrafrechtlichen Reaktion berücksichtigen können. Mit beiden Zielen steht die beabsichtigte Gesetzesänderung im Einklang. Zum einen liegen - wie gezeigt - dem Schuldspruch erhebliche Straftaten zugrunde, deren Kenntnis für Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Erfüllung ihrer Aufgaben von großer Bedeutung ist, zum anderen werden Eintragungen des Erziehungsregisters nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen, so dass eine Stigmatisierung, die mit der Schuldspruchtilgung vermieden werden sollte, nicht erfolgt. Der jugendliche bzw. heranwachsende Verurteilte erleidet durch die Gesetzesänderung keinen dem Erziehungsgedanken entgegenstehenden Nachteil.

Zu Artikel 3 (Einschränkung eines Grundrechts)

Mit der Vorschrift wird dem in Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz enthaltenen Zitiergebot Rechnung getragen.

Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Das Gesetz kann unmittelbar nach seiner Verkündung in Kraft treten. Eine Vorlaufzeit für die Praxis oder bestimmte Übergangsregelungen sind nicht erforderlich.