914. Sitzung des Bundesrates am 20. September 2013
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Verkehrsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich, dass die Kommission mit dem vorgelegten Vorschlag einerseits die Hafenverwaltungen als zentrale Schaltstellen bei der zukünftigen Entwicklung der europäischen Häfen anerkennt und gleichzeitig die besondere Heterogenität der europäischen Häfen herausstellt. Hieraus zieht sie in ihrer Begründung auch den zutreffenden Schluss, nicht einen "one size fits all"-Ansatz verfolgen zu wollen, sondern die Heterogenität der Häfen bei ihren Regelungszielen und Regelungsmethoden berücksichtigen zu wollen. Dabei wird im Rahmen der Erläuterung der verfolgten Ziele ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bereits gut funktionierende Häfen nicht weiter belastet und für die anderen TEN-V-Häfen die Voraussetzungen zur Bewältigung ihrer strukturellen Herausforderungen geschaffen werden sollen, um Leistungsdefizite zu verringern. Diesen von der Kommission dargelegten Zielsetzungen wird der vorgelegte Verordnungsvorschlag allerdings nicht gerecht, vielmehr würde er in weiten Bereichen eher gegenteilige Auswirkungen haben. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag in der vorliegenden Form daher ab.
- 2. Der Bundesrat kritisiert insbesondere die von der Kommission zur Verfolgung ihrer Zielsetzungen gewählte Rechtsform einer Verordnung. Die Begründung, eine Verordnung sei das geeignete Rechtsinstrument, um zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Mitgliedstaaten zu vermeiden, ist unzutreffend. Denn die Anwendung des vorliegenden Verordnungsvorschlags würde in großem Umfang den Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen erfordern. Die in der Regel gut funktionierenden Strukturen im Bereich der Hafendienstleistungen und bei der Festsetzung der Hafeninfrastrukturentgelte der verschiedenen Häfen der Mitgliedstaaten werden durch die unmittelbare Geltung der neuen europäischer Vorgaben ohne Not verändert oder müssten aufgegeben werden. Eine Richtlinie wäre den von der Kommission verfolgten Zielen deutlich gerechter geworden, da diese den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet hätte, europäische Vorgaben im Rahmen der vorhandenen Strukturen umzusetzen. Darüber hinaus ist aus Sicht des Bundesrates grundsätzlich zu hinterfragen, ob die Ziele der Kommission nicht auch durch andere mildere Mittel erreicht werden könnten.
- 3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die angestrebte Marktöffnung für Hafendienste nicht in allen Bereichen zielführend ist und zum Teil aufgrund spezifischer Besonderheiten der Hafendienste nicht zu erreichen sein wird. So wird von der Kommission angeführt, dass in manchen TEN-V-Seehäfen keine effizienten Hafendienste aufgrund von schwachem Wettbewerbsdruck, von Marktmissbrauch durch monopol- oder oligopolartige Strukturen oder aufgrund von übermäßigem Verwaltungsaufwand angeboten werden. Dies trifft auf die Mehrheit der deutschen und nordeuropäischen Häfen nicht zu, die miteinander im Wettbewerb stehen und funktionierende Hafendienste anbieten. Des Weiteren berücksichtigt der Verordnungsvorschlag nicht, dass insbesondere in kleineren Häfen, die ausdrücklich von dem Vorschlag mit einbezogen werden, eine begrenzte Zahl von Anbietern von Hafendiensten oftmals keine Folge der Beschränkung des Zugangs zu Hafenanlagen durch die Hafenleitung, sondern dem geringen Interesse von Dienstleistern geschuldet ist, entsprechende Hafendienste auf dem lokalen Markt des Hafens anzubieten. Kritisch ist auch zu bewerten, dass der Verordnungsvorschlag tief in die Eigentumsrechte von privaten Hafenträgern eingreift. Daher sollten private Häfen, insbesondere wenn sie keine öffentlichen Zuwendungen erhalten, von der Verordnung ausgenommen werden.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass einzelne Hafendienste völlig systemwidrig in den Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags mit einbezogen werden. Hierzu zählen die Ausbaggerung (Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe c des Vorschlags), die Lotsendienste (Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe g) sowie die Hafendienstauffangeinrichtungen (Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe f). Der Bundesrat fordert aus den folgenden Gründen, diese Hafendienste aufgrund ihrer Besonderheiten aus dem Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen:
Die Aufnahme der Baggerdienste in die vorgeschlagene Verordnung stellt einen Eingriff in das Eigentum der Häfen dar, denn die Häfen dürften in der Regel ihre eigenen Wasserstraßen und Hafenbecken nicht mehr durch eigene Kräfte instand halten. Zudem ist das Baggern in den jeweiligen Hafengebieten mit Unterhaltungsmaßnahmen an Kajen und Schleusen vergleichbar, nicht jedoch mit anderen Hafendienstleistungen, die mit dem jeweiligen Schiffsanlauf in einer direkten Beziehung stehen und pro Schiffsanlauf individuell abgerechnet werden.
Die Lotsendienste sind aufgrund besonderer Anforderungen nicht vergleichbar mit den anderen von der vorgeschlagenen Verordnung erfassten Hafendienstleistungen, die rein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erbracht werden. Bei den Lotsendiensten stehen Sicherheitsaspekte von großer Bedeutung und nicht Fragen des Marktzuganges in Rede. In deutschen Gewässern werden nach den derzeitigen Strukturen die Sicherheit der Seeschifffahrt und der landseitigen Infrastrukturen sowie der Schutz der Meeresumwelt und der Küstenschutz auf hohem Niveau gewährleistet. Dem muss auch im Rahmen europäischer Regulierungen hinreichend Rechnung getragen werden.
Auch der Hafendienst der Entsorgung von Schiffsabfällen (Hafenauffangeinrichtungen) ist differenziert zu betrachten. Bezüglich der hausmüllartigen Abfälle besteht eine besondere Rechtslage. Die Voraussetzungen und Anforderungen für Hafenauffangeinrichtungen werden bereits durch die Richtlinie 2000/59/EG geregelt. Insbesondere die Regelungen in Artikel 8 der Richtlinie 2000/59/EG stehen im Widerspruch zu einem freien Marktzugang für alle Anbieter von Entsorgungsdienstleistungen. Die genannte Richtlinie sieht vor, dass die Schiffe, unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme der Auffangeinrichtungen, Gebühren für die Abfallentsorgung zu entrichten haben. Die erforderliche Transparenz der Gebührenfestsetzung ist ebenfalls bereits in dieser Richtlinie geregelt. Sofern der Hafenbetreiber einzelne Hafenauffangeinrichtungen auswählt und diese in das von der genannten Richtlinie geforderte Gebührensystem einbezieht, sind die Ausschreibungsregelungen der Richtlinie 2004/17/EG anwendbar. Gemäß Anhang IX dieser Richtlinie gelten die Bestimmungen in Deutschland für Häfen, die ganz oder teilweise den territorialen Behörden (Länder, Kreise, Gemeinden) unterstehen, und für Binnenhäfen, die der Hafenordnung gemäß den Wassergesetzen der Länder unterliegen. Die Hafenauffangeinrichtungen sollten daher aus dem Anwendungsbereich des vorliegenden Verordnungsvorschlags ausgenommen werden, um Widersprüche zwischen beiden Vorschriften zu vermeiden.
- 5. Der Bundesrat spricht sich gegen die in Artikel 14 des Verordnungsvorschlags enthaltenen Regelungen zur Erhebung und Festsetzung von Hafeninfrastrukturentgelten aus. Laut Zielsetzung der Kommission sollen durch die vorgeschlagene Verordnung bereits gut funktionierende Häfen nicht weiter belastet und für die anderen Häfen die Voraussetzungen zur Bewältigung ihrer Herausforderungen geschaffen werden. Die Erhebung von Infrastrukturentgelten ist Sache der untereinander im Wettbewerb stehenden Hafenbetreiber. Vor allem Artikel 14 Absätze 4 und 5 des Vorschlags stellen eine nicht zielführende Einschränkung des Wettbewerbs durch europäische Vorgaben dar.
Artikel 14 Absatz 4 bestimmt, dass die Gebühren nur unter bestimmten Voraussetzungen, die abschließend aufgezählt sind, in der Höhe differenzieren dürfen. Dies widerspricht dem grundsätzlichen System, dass die Hafengebühren autonom von dem Leitungsorgan eines jeden Hafens nach dessen Geschäftsmodell festgelegt und auch differenziert werden dürfen. Zudem berücksichtigen die Hafengebühren/-tarife in den deutschen Seehäfen schon heute Schiffsart und -größe, Fahrtgebiete, Frequenz und Umweltaspekte.
Artikel 14 Absatz 5 enthält eine Ermächtigungsgrundlage für die Kommission, delegierte Rechtsakte für die Klassifikation von Schiffen, Brennstoffen und Arten von Tätigkeiten, für die unterschiedliche Infrastrukturentgelte gelten können, und die Festlegung gemeinsamer Grundsätze für die Erhebung von Infrastrukturentgelten erlassen zu können. Regulierende Eingriffe durch die Kommission widersprechen der wirtschaftlichen Rolle der Häfen, der Preisbildung über den Markt und der von der vorgeschlagenen Verordnung selbst geforderten Autonomie der Häfen. Zudem dienen sie auch in keiner Weise dem von der Kommission selbst vorgegebenen Ziel, gut funktionierende Häfen nicht weiter zu belasten und zu regulieren. Die in Artikel 14 enthaltenen Vorgaben zur Festsetzung der Hafeninfrastrukturentgelte werden daher abgelehnt.
- 6. Der Bundesrat wendet sich gegen die durch die vorgeschlagene Verordnung angestrebte Schaffung neuer administrativer Strukturen bzw. die verpflichtende Einrichtung von Hafennutzerausschüssen und fordert die Streichung der diese zwingend vorschreibenden Regelungen aus dem Verordnungsvorschlag. Entgegen dem erklärten Ziel des Bürokratieabbaus installiert der Verordnungsvorschlag zwei zusätzliche Gremien, den Hafennutzerausschuss (Artikel 15) in jedem Seehafen und ein unabhängiges Aufsichtsorgan für alle Seehäfen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats (Artikel 17). Der Mehrwert dieser Gremien erscheint gering, der damit verbundene erhebliche Zuwachs an Verwaltungsaufwand einschließlich Personal- und Sachkosten ist demgegenüber, gerade vor dem Hintergrund eines ebenfalls zu gewährleistenden Rechtsschutzes, erheblich. Die Bestimmungen über das unabhängige Aufsichtsorgan (Artikel 17 und 18) greifen in Deutschland zudem in das föderale Kompetenzgefüge ein, indem sie eine Einrichtung auf Bundesebene erforderlich machen, obwohl die Häfen in die Regelungs- und Aufsichtskompetenz der Länder fallen. Eine deklaratorische Bestimmung, dass die Mitgliedstaaten eine effektive wettbewerbliche Kontrolle der Häfen sicherzustellen haben - wie z.B. durch Kartellbehörden - wäre ausreichend.
- 7. Der Bundesrat befürchtet, dass die Kommission mit der vorgeschlagenen Verordnung auch verkehrslenkend in den bestehenden Markt eingreifen wird. Dies wird auf jeden Fall zu Lasten der Häfen der Nordrange und damit auch der deutschen Häfen gehen, da laut Aussagen der Kommission circa 20 Prozent der gesamten EU-Gütermenge in den Häfen Rotterdam, Antwerpen und Hamburg umgeschlagen werden. Die Verteilung von Gütermengen ist das Ergebnis eines umkämpften Marktes, in den die Kommission nicht regulierend eingreifen sollte.
- 8. Mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag greift die Kommission hinsichtlich der gesamten Struktur und Organisation maßgeblich in die Unabhängigkeit der Häfen ein. Durch die Einrichtung des "unabhängigen Aufsichtsorgans" (Artikel 17) wird zusätzlich der Föderalismus in Bezug auf die deutschen Häfen in Frage gestellt. Zudem sind im vorliegenden Verordnungsvorschlag erste Ansätze zu einem einheitlichen Preissystem aller europäischen Häfen erkennbar, was den Grundsätzen der Marktwirtschaft widersprechen würde. Innerhalb der Häfen und zwischen den europäischen Häfen funktioniert der Wettbewerb. Der vorliegende Verordnungsvorschlag schafft diesbezüglich keine zusätzlichen Gestaltungsspielräume, sondern engt die bestehenden unnötig ein. Er wird daher vom Bundesrat abgelehnt.
- 9. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
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- 10. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.