Der Bundesrat hat in seiner 925. Sitzung am 19. September 2014 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt die Vorlage einer Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung. Er teilt die Feststellung, dass Wohlstand und Sicherheit in der EU von einer stabilen und ausreichenden Energieversorgung abhängen. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Energieversorgungssicherheit in das Zentrum der Betrachtungen rückt, und unterstützt nachdrücklich, das Thema Versorgungssicherheit im europäischen Kontext zu diskutieren. Dabei ist er - wie die Kommission - der Auffassung, dass die Kosten für Energieimporte in der Höhe von etwa einer Milliarden Euro pro Tag die Handelsbilanzen der Mitgliedstaaten erheblich belasten und durch die Dämpfung der Energienachfrage und die Steigerung der Energieproduktion in der EU gemindert werden sollten. Hierbei muss aus Sicht des Bundesrates darauf geachtet werden, dass CO₂-arme und erneuerbare Energieträger genutzt werden.
- 2. Der Bundesrat hält eine stärkere Koordinierung der nationalen Energiepolitiken für erforderlich. Wechselseitige Abhängigkeiten und Auswirkungen nationaler Politiken auf die Nachbarstaaten, wie in den Bereichen Netzausbau, Marktdesign und Förderung erneuerbarer Energien, müssen die Mitgliedstaaten bei ihrer Politik stärker berücksichtigen.
- 3. Der Bundesrat unterstreicht die zentrale Bedeutung des Binnenmarktes für die Versorgungssicherheit. Als Binnenmarkt organisierte Energiemärkte der Mitgliedstaaten stärken die Verhandlungspositionen der Mitgliedstaaten gegenüber Dritten.
- 4. Er unterstützt die Kommission in ihren Bestrebungen, mehr Transparenz beim Abschluss von zwischenstaatlichen Abkommen mit Auswirkungen auf die Energieversorgungssicherheit der EU zu schaffen. Eine verpflichtende Einbeziehung in die Verhandlungen mit Drittstaaten oder ein Vetorecht in Anlehnung an den Euratomvertrag lehnt der Bundesrat jedoch ab, da hierdurch in die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten eingegriffen würde.
- 5. Der Bundesrat beobachtet mit Sorge die Entwicklungen in der Ukraine und den Konflikt mit Russland. Er sieht die Gefahr, dass selbst dann, wenn es zu keinen Lieferunterbrechungen kommt, Vertrauen verloren geht und die bislang stabilen und belastbaren Lieferbeziehungen Schaden erleiden.
- 6. Der Bundesrat begrüßt die Bestrebung der Kommission, die Versorgungssicherheit mit Erdgas durch eine Verbesserung der europäischen Infrastruktur und einen beschleunigten Bau wichtiger Verbindungsleitungen, die Diversifizierung von Bezugsquellen und den Ausbau von Flüssiggaskapazitäten zu fördern. Zudem sollten Fragen der Erdgasversorgungssicherheit in der gemeinsamen europäischen Außenpolitik eine größere Rolle spielen.
- 7. Außerdem bittet der Bundesrat die Kommission zu prüfen, inwieweit eine europäische Erdgasreserve - in Anlehnung an die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte für Erdöl und/oder Erdölerzeugnisse zu halten - eingerichtet werden kann.
- 8. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass rechtlich sichergestellt wird, dass wichtige nationale Infrastrukturen nicht für strategische Ziele genutzt werden können, wenn nationale Interessen entgegenstehen.
- 9. Er befürwortet die Maßnahme der Kommission, die Optionen für Mechanismen zur freiwilligen Bündelung der Nachfrage von Seiten der Mitgliedstaaten zu prüfen, die die Verhandlungsposition der europäischen Abnehmer gegenüber den Lieferländern in Übereinstimmung mit dem EU-Recht und dem Handelsrecht stärken könnten.
- 10. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass eine umfassendere Debatte über den Schutz strategischer Energieinfrastrukturen geführt werden muss, die für alle Verbraucher und Verbraucherinnen äußerst wichtige Dienstleistungen erbringen. Ferner teilt der Bundesrat die Priorisierung der Debatte über die Kontrolle Strategischer Infrastrukturen durch außerhalb der EU ansässige Rechtspersonen, insbesondere durch staatseigene Unternehmen, Nationalbanken oder Staatsfonds wichtiger Lieferländer, die darauf abzielen, den EU-Energiemarkt zu durchdringen, und nicht das Ziel verfolgen, die Netze und Infrastrukturen in der EU auszubauen.
- 11. Der Bundesrat bestärkt die Kommission darin, eine Politik zu entwickeln, die auf den physischen Schutz kritischer Infrastrukturen abstellt und dabei auch die Energieinfrastruktur mit einschließt. Insbesondere unterstützt er das Ziel, der IT-Sicherheit zunehmende Aufmerksamkeit zu widmen.
- 12. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission überein, dass die Dämpfung der Energienachfrage eines der wirksamsten Instrumente ist, um die Abhängigkeit der EU von Energieeinfuhren aus dem Ausland und die Anfälligkeit der EU gegenüber Preiserhöhungen zu verringern. Er spricht sich daher im Zusammenhang mit der Diskussion der energie- und klimapolitischen Ziele für 2030 für ein ambitioniertes separates Effizienzziel aus.
- 13. Der Bundesrat unterstützt die Kommission nachdrücklich darin, dass ein gestärktes EU-Emissionshandelssystem die Energieeffizienz in der Industrie fördert und somit die Energienachfrage in der EU dämpfen kann. Dadurch können auch die Abhängigkeit der EU von Energieeinfuhren aus dem Ausland und die Anfälligkeit gegenüber Preiserhöhungen verringert werden.
- 14. Der Bundesrat spricht sich für eine ehrgeizige Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie und der Gebäudeeffizienzrichtlinie aus, da dies maßgeblich zur Minderung der Abhängigkeit von Energieimporten beitragen kann.
- 15. Ebenso wird mit Blick auf private Letztverbraucher und -verbraucherinnen die Überarbeitung der Energieverbrauchskennzeichnung und der Ökodesignrichtlinie begrüßt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Energieverbrauchskennzeichnung tatsächlich vergleichbare Angaben leistet und in der Ökodesignrichtlinie das "Top-Runner-Prinzip" verankert wird.
- 16. Der Bundesrat betont den zentralen Beitrag, den der Ausbau der erneuerbaren Energien erbringt, um die Abhängigkeit von Energieimporten und damit die Abhängigkeit von den Preisentwicklungen auf den internationalen Energiemärkten zu verringern. Er unterstützt die Kommission darin, dass erneuerbare Energien eine "Noregrets-Option" sind. Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung, dass der angestrebte Kapazitätsausbau durch erneuerbare Energien auf 27 Prozent bis zum Jahr 2030 nicht ambitioniert genug ist, und verweist auf seine Stellungnahme vom 14. März 2014 (BR-Drucksache 022/14(B) ). Nur durch ein konsequentes Umsteuern auf erneuerbare Energien ist das energiepolitische Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit langfristig zu wahren. Daher müssen die Ausbauziele für erneuerbare Energien im Rahmen der europäischen Klima- und Energiepolitik bis 2030 heraufgesetzt werden. Ferner sollte in den Energiebeihilferichtlinien die Art und Weise der Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien nicht abschließend geregelt werden, sondern den Mitgliedstaaten die Wahl der Mittel hierzu überlassen bleiben. Der Bundesrat sieht eine Notwendigkeit, verstärkt den Ausbau der erneuerbaren Energien im Wärmesektor voranzutreiben.
- 17. Der Bundesrat hebt die Bedeutung hervor, die Forschung und Entwicklung für eine dauerhaft sichere Energieversorgung leisten können. Dazu braucht es Offenheit gegenüber neuen Technologien und die Bereitschaft, sie in Forschungs- und Demonstrationsprojekten zu entwickeln und zu erproben.
- 18. Die Überlegung der Kommission, dass die Förderung von Kohlenwasserstoffen mittels Fracking einen Rückgang der konventionellen Gasgewinnung teilweise ausgleichen könnte, sieht der Bundesrat aber kritisch. Der Bundesrat lehnt eine dahingehende Förderung von Kohlenwasserstoffen ab, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die notwendigen Kenntnisse zur Bewertung der damit verbundenen Risiken fehlen und nachteilige Auswirkungen für Mensch und Umwelt nicht ausgeschlossen werden können.
- 19. Der Bundesrat lehnt die Verwendung der CO₂-Abscheidung und Speicherungstechnologie (CCS) ab, insbesondere da hierdurch die fossile Energieversorgung innerhalb der EU auch in Zukunft gefestigt und ein Umsteuern auf erneuerbare Energien zusätzlich erschwert wird. Vor dem Hintergrund, dass derzeit rund 40 Prozent des Bedarfs an festen Brennstoffen in der EU durch Importe erzielt werden, würde die Verwendung der CCS-Technologie dem erklärten Ziel der EU entgegenstehen, langfristig die Abhängigkeit von bestimmten Brennstoffen, Energielieferanten und Versorgungswegen zu verringern. Dies wird aus Sicht des Bundesrates auch nicht dadurch "geheilt", dass es für Kohle einen funktionierenden Weltmarkt gibt.
- 20. Kritisch sieht der Bundesrat zudem, dass zwar auf die relativ geringen Kernbrennstoffkosten (einschließlich Uran) an den gesamten Stromerzeugungskosten hingewiesen wird, dabei aber die unkalkulierbaren Kosten des Rückbaus von Kernkraftwerken sowie die hohen Kosten für die Entsorgung von Kernbrennstoffen keine Erwähnung finden. Zudem ist zu bedenken, dass in einer zukünftigen Versorgungslandschaft, die mehrheitlich aus erneuerbaren Energien besteht, die technisch bedingte Ausrichtung von Kernkraftwerken als Lieferanten von Grundlast einer erforderlichen Flexibilisierung entgegensteht. Darüber hinaus bleibt eine vollständige Importabhängigkeit von Uran aus Drittländern erhalten, das teilweise unter fragwürdigen Bedingungen für Umwelt und Menschenrechte abgebaut wird.