Der Bundesrat hat in seiner 812. Sitzung am 17. Juni 2005 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Die im vorgelegten Gesetzentwurf vorgesehene undifferenzierte Erweiterung des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen ist abzulehnen.
Jede Erweiterung des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes stellt eine Notmaßnahme dar, die einen weiten Teil des niedrigproduktiven Arbeitsbereiches verschließt. Sie bedeutet de facto die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns durch die Hintertür, mit der Gefahr einer weiteren Steigerung der ohnehin schon zu hohen Arbeitskosten in Deutschland und daraus resultierend einer weiteren Verdrängung von Arbeitsplätzen gerade des Niedriglohnsektors ins Ausland. Dies würde die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland verfestigen, statt sie zu bekämpfen.
Auch das Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute "Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Frühjahr 2005" spricht sich gegen eine Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen aus. Nach Einschätzung der Institute ist dies nicht der geeignete Weg zur Sicherung, geschweige denn zur Schaffung von Arbeitsplätzen.
- 2. Die Unbestimmtheit der Verordnungsermächtigung ist zu kritisieren. Es ist in keiner Weise absehbar, für welche Branchen die Bundesregierung von ihrer Ermächtigung Gebrauch machen will. Der vorliegende Gesetzentwurf gäbe der Bundesregierung einen Freibrief in die Hand, um beliebig - lediglich bei Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit - Branchen in die Bindungswirkung des AEntG zu stellen oder auch nicht.
- 3. Missbrauch und Lohndumping müssen zunächst unter Einsatz der bestehenden Instrumente und mit verstärkten Kontrollen bekämpft werden. Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit können durch eine Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes nicht vermieden werden.
Entscheidend ist daher eine sofortige Umsetzung einer entschlossenen Missbrauchsbekämpfung. Verstärkte Kontrollen zur Durchsetzung des Rechts bzw. eine Verwaltungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern müssen dem Lohn - und Sozialdumping durch Niedriglohnarbeiter insbesondere aus den neuen EU-Staaten entgegenwirken. Eine erfolgreiche Verfolgung der Hinterziehung von Steuern/Abgaben durch die Zollverwaltung ist ebenso erforderlich wie eine effektive Einhaltung der bestehenden Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.
- 4. Allerdings zeigen die Erfahrungen in der Baubranche, dass Umgehungslösungen gesucht und gefunden werden (etwa über die Scheinselbständigkeit, unkontrollierbare längere Arbeitszeiten, überhöhte Mieten für Unterkünfte). Daher ist eine pauschale Ausdehnung des Entsendegesetzes als Instrument nicht geeignet, die scharfe Konkurrenz zwischen inländischen und europäischen Arbeitskräften zu mildern.
- 5. Eine Prüfung, ob das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in bestimmten Einzelfällen über den Baubereich hinaus auf weitere Branchen auszudehnen ist, setzt eine fundierte und belastbare Datengrundlage voraus. Die Bundesregierung wird in diesem Zusammenhang aufgefordert, einen "Lohndumping-Bericht" vorzulegen, in dem die regionalen, branchenspezifischen und beschäftigungspolitischen Ausmaße des Lohndumpings und des Missbrauchs von EU-Recht, aber auch die Auswirkungen der "l-Euro-Jobs" auf reguläre, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze sowie mögliche Verdrängungseffekte in Deutschland dargelegt werden.
- 6. Allenfalls für hochsensible Branchen, in denen eine Tendenz bzw. ausgeprägte Wahrscheinlichkeit zur Verdrängung deutscher Arbeitnehmer durch aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer festzustellen ist, kann eine maßvolle, befristete Erweiterung des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in Erwägung gezogen werden.