957. Sitzung des Bundesrates am 12. Mai 2017
A
- 1. Der Ausschuss für Frauen und Jugend empfiehlt dem Bundesrat, zu dem vom Deutschen Bundestag am 30. März 2017 verabschiedeten Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
B
Der Ausschuss empfiehlt dem Bundesrat ferner, nachstehende Entschließung zu fassen:
- 2. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die mit dem Gesetz verfolgte Absicht, die Transparenz von Entgeltregelungen und -strukturen zu erhöhen, sieht aber mit Sorge, dass damit die notwendige umfassende Durchsetzung des Gebots der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern gemäß Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes nicht gewährleistet werden kann.
- 3. Der Bundesrat bedauert, dass der im Gesetz vorgesehene Auskunftsanspruch so ausgestaltet wurde, dass die Bundesregierung selbst nur von einer Inanspruchnahme durch ein Prozent der Auskunftsberechtigten ausgeht. Um zu verhindern, dass der Anspruch derart ins Leere läuft, hatte sich der federführende Ausschuss für Frauen und Jugend dafür ausgesprochen, davon abzusehen, das individuelle Auskunftsrecht über Lohnunterschiede in tarifgebundenen oder tarifanwendenden Betrieben auf dieselbe Entgeltgruppe zu begrenzen. Der Anspruch auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit muss uneingeschränkt durchsetzbar sein.
- 4. Der Bundesrat bedauert, dass die ursprünglich im Referentenentwurf vorgesehene verpflichtende Durchführung betrieblicher Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit in § 17 Absatz 1 EntgTranspG durch eine bloße Aufforderung ersetzt wurde. Den Bedenken der Bundesregierung hinsichtlich des bürokratischen Aufwands für die betroffenen Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten steht das gewichtige Argument entgegen, dass nunmehr die Bekämpfung der Entgeltlücke ausschließlich von den Auskunftsverlangen der Frauen sowie ihrer jeweiligen Bereitschaft und ihren Möglichkeiten, weitere Schritte einzuleiten, abhängt. Ein gesetzlich formulierter Appell ist angesichts der unverändert hohen Lohnlücke in Deutschland vollkommen unzureichend.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Evaluation der Wirksamkeit des Gesetzes gemäß § 23 EntgTranspG auch die Hürden für eine Inanspruchnahme des Auskunftsanspruchs durch weibliche Beschäftigte zu beleuchten. In der Berichterstattung sollte zudem anhand nachvollziehbarer Angaben beziffert werden, inwieweit tatsächlich ein Beitrag zur Minderung der Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern in Deutschland erreicht werden konnte.
- 6. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Auskunftsanspruch zum Vergleichsentgelt der Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts mehr Beschäftigten zuteil werden sollte.
Daher sollten im Rahmen der Evaluation zur Umsetzung des Gebots des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gemäß § 23 EntgTranspG folgende Punkte geprüft werden:
- a) ob der Schwellenwert für den Auskunftsanspruch für Beschäftigte in den Betrieben deutlich unter den im § 12 Absatz 1 EntgTranspG vorgesehenen 200 Beschäftigten gesenkt werden kann,
- b) ob die Anwendung des Auskunftsanspruchs auf Entgeltregelungen auf das gesamte Unternehmen ausgeweitet werden kann,
- c) ob eine Senkung der erforderlichen Beschäftigtenzahl des jeweils anderen Geschlechts zur Angabe des Vergleichsentgelts in § 12 Absatz 3 EntgTranspG, die eine Vergleichstätigkeit ausüben, auf drei möglich ist.
Darüber hinaus sollte die Berichtspflicht für Unternehmen, die zur Erstellung eines Lageberichts nach den §§ 264 und 289 der Handelsgesetzbuches verpflichtet sind, auf Unternehmen mit in der Regel mehr als 249 Beschäftigten ausgeweitet werden.
Begründung zu Ziffer 6:
In Deutschland beträgt die statistische Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern, bezogen auf das durchschnittliche Bruttoentgelt, immer noch rund 21 Prozent. Werden erklärbare Faktoren für diese Entgeltungleichheit abgezogen, verbleibt bei gleicher Qualifikation und ansonsten gleichen Merkmalen die messbare Entgeltbenachteiligung bei ungefähr sieben Prozent. Diese sogenannte "bereinigte" Entgeltlücke geht insbesondere auf die bestehende Intransparenz für Frauen (und Männer) über die Entgeltgleichheit/-ungleichheit ihres eigenen Gehalts zurück. Der Faktor Intransparenz bei der Entstehung der "bereinigten" Entgeltungleichheit lässt sich in der Mehrheit der Analysen zu dieser Thematik wiederfinden; dieser Umstand wird auch in der Studie "Transparenz für mehr Entgeltgleichheit" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend explizit benannt.
Mit den vorgesehenen Regelungen wird jedoch entsprechend der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit nur etwa ein Drittel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten von einem individuellen Auskunftsanspruch erreicht. In Ländern mit einer kleinteiligeren Betriebsstruktur beträgt die Reichweite bei den Beschäftigten zum Teil sogar deutlich weniger als 30 Prozent. Berücksichtigt man die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, so dürfte sich der Betroffenheitsgrad bei den Beschäftigten weiter verkleinern. Im Sinne des Gesetzesvorhabens sollten mehr Beschäftigte von der Möglichkeit eines individuellen Auskunftsanspruches partizipieren können. Die Mindestzahl der Beschäftigten in § 12 Absatz 1 EntgTranspG sollte dementsprechend gesenkt werden.
Um eine größere und validere Entgeltvergleichsgruppe zu generieren und gleichzeitig mehr Beschäftigte zu erreichen, sollte die Auskunftspflicht nach § 10 EntgTranspG gemäß § 12 Absatz 2 Nummer 1 EntgTranspG auf das gesamte Unternehmen erweitert werden. Ein zusätzlicher Vorteil einer Erweiterung der Beschränkung von der Betriebs- auf die Unternehmensebene ergebe sich hinsichtlich des Beschäftigtendatenschutzes. Über die Betriebsgrenzen hinaus, wären sensible Daten durch Anonymisierung umfassender abgesichert.
Gemäß § 12 Absatz 3 EntgTranspG wird bei weniger als sechs Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts, die eine Vergleichstätigkeit ausüben, die Auskunft über das Vergleichsentgelt verwehrt. Der Gesetzgeber begründet dies vorrangig als notwendige Vorgabe für den Beschäftigtendatenschutz. Mit der Erstellung von Durchschnittswerten können die individuellen Vergleichsentgelte sowie bis zu zwei weitere Entgeltbestandteile gemäß § 10 Absatz 1 EntgTranspG anonymisiert werden. Aus diesem Grund sollte bei gleichzeitiger Wahrung des Beschäftigtendatenschutzes im Sinne der Ausweitung des Auskunftsanspruches der Beschäftigten die notwendige Anzahl Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts, die eine Vergleichstätigkeit ausüben, auf nicht weniger als drei reduziert werden.
Der Bundesrat hält es dabei für richtig, die kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) von einer Berichtspflicht entsprechend dem Abschnitt 4 EntgTranspG zu befreien, um Bürokratiebelastungen für diese Unternehmen zu vermeiden. Allerdings sollte sich die Begrenzung in § 21 Absatz 1 EntgTranspG an der Definition der Kommission für KMU orientieren. Daher wird empfohlen, die Berichtspflicht auf Unternehmen mit in der Regel mehr als 249 Beschäftigten, die zur Erstellung eines Lageberichts nach den §§ 264 und 289 des Handelsgesetzbuches verpflichtet sind, auszudehnen. Es ist davon auszugehen, dass diese Arbeitgeber mit Hilfe von technischen Systemen schnell und verhältnismäßig unkompliziert auf die für die Berichtspflicht notwendigen Daten zurückgreifen können.
Die vorgesehene, das Gesetz begleitende, Evaluation zur Umsetzung des Gebots des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sollte die hier dargelegten Gesichtspunkte berücksichtigen. Insbesondere bei der Auswertung und der Darstellung nach den unterschiedlichen Betriebs- und Unternehmensgrößen ist auf die angesprochenen Kritikpunkte Bezug zu nehmen.