Staatssekretär des Landes Baden-Württemberg und Stuttgart, den 7. März 2012
Chef der Staatskanzlei
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Baden-Württembergs hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Bekämpfung der Entgeltungleichheit von Frauen und Männern zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 23 Absatz 3 in Verbindung mit § 15 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 30. März 2012 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Murawski
Entschließung des Bundesrates zur Bekämpfung der Entgeltungleichheit von Frauen und Männern
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, schnellstmöglich einen Gesetzentwurf einzubringen, der sicherstellt, dass die nach wie vor bestehenden, auf Diskriminierung von Frauen beruhenden Entgeltungleichheiten im Arbeitsleben beseitigt und künftig verhindert werden. Zur Erreichung dieser Zielsetzung sollte der Gesetzentwurf folgende Regelungen enthalten:
- - Unternehmen und Betriebe mit einer bestimmten Beschäftigtenzahl, die näher im Gesetz zu regeln ist, werden verpflichtet, in regelmäßigen Abständen oder zusätzlich bei konkreten Verdachtsmomenten ihre Entgeltsysteme und die zugrunde liegenden Maßstäbe der Arbeitsplatzbewertung zu überprüfen und in anonymisierter Form offen zu legen. - Die Überprüfung hat anhand von geeigneten Lohnmessverfahren zu erfolgen, die den Datenschutz gewährleisten sowie durch den Bund zertifiziert und zugelassen sind. Die Unternehmen und Betriebe entscheiden dabei eigenverantwortlich über den betriebsinternen Einsatz der zur Verfügung stehenden Instrumente und Messverfahren im Einvernehmen mit den Vertretungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
- - Bei der Ermittlung der tatsächlich in einem Unternehmen oder Betrieb vorhandenen, auf Diskriminierung von Frauen basierenden Entgeltungleichheit sollen die Tarifpartner eingebunden sein und Einfluss auf die auszuwählenden Instrumente und Verfahren nehmen.
- - Die auf der Grundlage des Messverfahrens gewonnenen Daten sind im Betrieb in Form eines Entgeltberichts bekannt zu machen und dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellen. - Besteht auf der Grundlage des Entgeltberichts der Verdacht einer Ungleichbehandlung in Bezug auf das Arbeitsentgelt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Ungleichbehandlung innerhalb einer angemessenen Frist zu beseitigen.
- - Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht fristgerecht nach, kann der Betriebsrat eine Schiedsstelle anrufen, die analog der betriebsverfassungsrechtlichen Einigungsstelle mit Vertretungen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite besetzt ist und von einem unabhängigen Arbeitsrechtler, in der Regel einer Arbeitsrichterin oder einem Arbeitsrichter als Vorsitzenden geleitet wird. Der Spruch der Schiedsstelle ist bindend. Die bestehenden individuellen und kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten bleiben unberührt.
- - Zusätzlich besteht ein Verbandsklagerecht, soweit der Arbeitgeber sich weigert, die Entgeltungleichheit zu beseitigen.
- - Die Tarifvertragsparteien werden verpflichtet, tarifliche Entgeltberichte zu erstellen, ihre Tarifverträge in Bezug auf Entgeltgleichheit zu überprüfen und sie gegebenenfalls umzugestalten.
Begründung:
Trotz einschlägiger gesetzlicher Regelungen - etwa Art. 157 Absatz 1 AEUV, EU Richtlinie 75/117/EWG von 1975, Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz, § 2 Absatz 1 Nummer 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes [AGG] - bestehen in der Bundesrepublik nach wie vor erhebliche Unterschiede beim Arbeitsentgelt von Frauen und Männern.
Der dafür verwendete Begriff des "Gender Pay Gap" (GPG) bezeichnet die in Prozent ausgedrückte spezifische Lohnlücke zwischen Frauen und Männern. Die Ermittlung der Entgeltungleichheit erfolgt unter anderem auch auf der Grundlage der im vierjährigen Abstand europaweit einheitlich durchgeführten Verdienststrukturerhebung.
In der öffentlichen Diskussion werden für das GPG sehr unterschiedliche Zahlen genannt. Um das in Betrieben und Unternehmen in Deutschland real vorhandene Gender Pay Gap den verschiedenen Faktoren zuordenbar zu machen, ist eine weitere Differenzierung erforderlich.
Zu unterscheiden ist zwischen einer unbereinigten und einer bereinigten Lohnlücke. Die unbereinigte (durchschnittliche bzw. einfache) Lohnlücke ergibt sich aus der prozentualen Differenz zwischen den jeweiligen durchschnittlichen / mittleren Löhnen von Männern und Frauen. Dabei werden Teilzeitjobs (bis 15 Stunden), Minijobs und der gesamte öffentliche Dienst allerdings nicht berücksichtigt.
Bei der bereinigten Lohnlücke werden die Entgeltunterschiede von Frauen und Männern mit denselben individuellen Merkmalen verglichen, d.h. es werden Frauen und Männer mit dem gleichen Bildungsniveau, in den gleichen Berufen und Branchen, derselben Beschäftigungsform (Vollzeit-, Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung) usw. miteinander verglichen (sog. statistische Zwillinge). Daher ist die bereinigte Lohnlücke auch niedriger als die unbereinigte Lohnlücke. Nach Ausschluss aller anderen erkennbaren und quantifizierbaren Einflussfaktoren bleibt als Erklärung und Ursache für diese Lücke insbesondere die Annahme einer Diskriminierung der weiblichen Beschäftigung.
Die Ergebnisse von internationalen Vergleichen zeigen, dass die geschlechtsspezifische Lohnlücke zwischen Frauen und Männern in den einzelnen Staaten unterschiedlich hoch ist. Im Vergleich der unbereinigten Lohnlücke weist Deutschland im Vergleich der EU-Mitgliedstaaten mit 23 Prozent einen der höchsten Werte auf (EU-Durchschnitt: 17 Prozent). Der Lohnunterschied auf der Basis der bereinigten Lohnlücke beträgt in Deutschland - laut unterschiedlichen Studien - zwischen mindestens 8 Prozent und höchstens 12 Prozent.
Ziel eines einschlägigen Gesetzes muss es sein, die auf Diskriminierung von Frauen beruhenden Entgeltunterschiede zu beseitigen. Die Beeinflussung der weiteren (Ko)Faktoren - etwa das unterschiedliche Berufswahlverhalten bei Männern und Frauen, das zu beruflichen Tätigkeiten in unterschiedlich gut bezahlten Beschäftigungsfeldern führt, oder die deutlich unterschiedliche Wahrnehmung von Teilzeittätigkeiten - ist vom vordringlichen Zweck des Gesetzes nicht umfasst. Zur Beseitigung dieser sozial- und gesellschaftspolitisch ebenfalls problematischen Situation sind weitere Maßnahmen außerhalb des Gesetzes erforderlich, etwa die Intensivierung der geschlechtergerechten Erziehung in Kindertagestätten sowie im schulischen Bereich, die Verstärkung der bereits eingeleiteten Maßnahmen und Programme im MINT-Bereich sowie Maßnahmen, um einseitige, im Gutachten zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung näher beschriebenen Rollenzuweisungen, Rollenerwartungen und Inkonsistenzen zu überwinden.
Schon jetzt stehen verschiedene Messverfahren zur Ermittlung des bereinigten Gender Pay Gap zur Verfügung. So erlaubt es das in der Schweiz bereits im Jahr 2004 entwickelte und seither in zahlreichen Unternehmen und Behörden erfolgreich eingesetzte Instrument "Logib-D" (ursprünglich natürlich unter der Bezeichnung "Logib-CH") interessierten Unternehmen, die Daten der eigenen Lohnbuchhaltung durch eine relativ einfache Eingabe in das Logib-D-Programm daraufhin zu analysieren, wie die Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern im Unternehmen zu erklären sind.
In Frage kommen darüber hinaus auch alle anderen, vergleichbaren, in der EU oder anderen Länder entwickelten und erprobten Messverfahren, etwa "egcheck" oder das in Österreich entwickelte Verfahren der "differenzierten Arbeitsbewertung", mit der verschiedene Arbeitstätigkeiten systematisch miteinander verglichen und bewertet werden können und der Einfluss der geschlechtsspezifischen Diskriminierung identifiziert werden kann, sowie das seit Ende der 90er Jahre erprobte ABAKABA-Verfahren (Analytische Bewertung von Arbeitstätigkeiten nach Katz und Baisch).
Ungeachtet des gewählten Messverfahrens sollen die Tarifparteien in das gesamte Verfahren - sowohl bei der Konzeption des Gesamtverfahrens als auch bei der Implementierung, Analyse, Qualitätssicherung und der Weiterentwicklung des gewählten Instrumentariums - eingebunden werden, sind umgekehrt aber ihrerseits ebenfalls ausdrücklich verpflichtet, Entgeltungleichheit innerhalb der Tarifverträge zu beseitigen.
Zentrale Zielsetzung des Gesetzes und aller begleitenden Maßnahmen ist es, sicherzustellen, dass bei nachgewiesenen oder vermuteten Entgeltungleichheiten auf Grund von Diskriminierung der Arbeitgeber verpflichtet werden kann, diese innerhalb der genannten Frist zu beseitigen.
Zu den Voraussetzungen für gleiche Teilhabechancen von Frauen und Männern im Erwerbsleben gibt im Übrigen der Erste Gleichstellungsbericht auf Bundesebene "Neue Wege - Gleiche Chancen - Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf" zahlreiche Anregungen und wertvolle Empfehlungen.