Der Bundesrat hat in seiner 866. Sitzung am 12. Februar 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich den Vorschlag der Kommission zu den allgemeinen Rahmenbedingungen für den Erlass delegierter Rechtsakte. Im Rahmen der Verwaltungsvereinfachung und Kohärenz unterstützt der Bundesrat insbesondere die Verwendung von Standardformulierungen ausdrücklich.
- 2. Der Bundesrat weist daher ausdrücklich darauf hin, dass die Entscheidung über die Dauer der Befugnisdelegation gemäß Artikel 290 AEUV in den Ermessensspielraum des EU-Gesetzgebers fällt. Dieser hat im Einzelfall zu prüfen, ob die von der Kommission in Nummer 3.2 ihrer Mitteilung gewünschte unbefristete Befugnisübertragung bzw. die stillschweigende Befugnisverlängerung bei einer befristeten Befugnisübertragung sinnvoll erscheint. Der Bundesrat stellt fest, dass Auslauf- oder Überprüfungsklauseln nicht nur gängige Bestandteile der europäischen Rechtsetzung, sondern auch wirksame Mittel zur allgemeinen Rechtsbereinigung und Entbürokratisierung sind. Die von der Kommission gewünschte vollständige Entfristung als Regelfall der Befugnisdelegation würde jedenfalls der Grundintention des Artikels 290 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV widersprechen, Delegationen nur auf begrenzte Dauer zu vergeben.
- 3. Neben der Dauer müssen auch die weiteren Anforderungen im Hinblick auf Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Befristung der Befugnisübertragung so bestimmt sein, dass trennscharf entschieden werden kann, welche wesentlichen Bestandteile des Basisrechtsakts nicht von der Befugnisübertragung erfasst werden.
- 4. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Kommission in Nummer 4.2 ihrer Mitteilung, zumindest auch weiterhin systematisch Sachverständige der nationalen Behörden aller Mitgliedstaaten zu konsultieren und dazu Expertengruppen zu bilden bzw. bereits bestehende Expertengruppen heranzuziehen. Nach dem Grundsatz des indirekten Vollzugs des Gemeinschaftsrechts sieht der Bundesrat das Expertenwissen der nationalen Behörden als wesentlich an, um sachfremde, bürokratische und ineffiziente Regelungen zu vermeiden.
- 5. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Kommission, ein Frühwarnsystem einzurichten und dafür Sorge zu tragen, dass dem Europäischen Parlament und dem Rat bei bestimmten Themen zusätzliche Informationen übermittelt werden.
- 6. In diesem Zusammenhang bittet der Bundesrat die Bundesregierung, auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass die Kommission dem Europäischen Parlament, dem Rat sowie dem Ausschuss der Regionen immer dann zusätzliche Informationen zuleitet, wenn sie von diesen dazu aufgefordert wird. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, gemeinsam mit der Bundesregierung und dem Bundestag Vorschläge zur Ausgestaltung des Aufforderungsverfahrens zu erarbeiten.
- 7. Mit der Kodifizierung der Kontrollrechte im Vertragstext selbst wird die Möglichkeit zur demokratischen Kontrolle delegierter Rechtsakte verstärkt. Der EU-Gesetzgeber muss diese Verantwortung wahrnehmen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, bei den Verhandlungen im Rat darauf hinzuwirken, dass die Kontrollmöglichkeiten in vollem Umfang genutzt werden.
- 8. Der Bundesrat fordert nachdrücklich, die Befugnisübertragung im Regelfall unter Widerrufsvorbehalt zu stellen. Der Bundesrat weist dabei darauf hin, dass bereits die vertraglichen Bedingungen für die Befugnisübertragung, insbesondere der Begriff der Wesentlichkeit eines Gesetzgebungsaktes, unbestimmt und damit der (extensiven) Interpretation zugänglich sind. Dazu treten die mit jeder Übertragung im Einzelfall verbundenen Unsicherheiten bei der Formulierung von Zielen und Grenzen. Durch die Aufnahme eines Widerrufsvorbehalts verbleibt die Interpretationshoheit über den Umfang der Befugnisübertragung beim Gesetzgeber. Dabei sollten bereits im Basisrechtsakt die Folgen eines Widerrufs geregelt werden.
- 9. Unter dem Aspekt der demokratischen Legitimation von Einzelakten und zur Steigerung des Vertrauens der Unionsbürger und -bürgerinnen in den europäischen Rechtsetzungsprozess spricht der Bundesrat sich nachdrücklich dafür aus, grundsätzlich immer ein Einspruchsrecht vorzusehen, damit Einwände gegen bestimmte delegierte Rechtsakte möglich sind.
- 10. Die Frist für die Einspruchsmöglichkeit sollte dabei so gewählt werden, dass eine Einspruchsmöglichkeit auch tatsächlich besteht und die Entscheidung durch Rat und Europäisches Parlament in angemessener Weise geprüft werden kann. Der Bundesrat spricht sich daher gegen die von der Kommission vorgeschlagene generelle Verkürzung der Einspruchsfrist von drei Monaten im bisherigen Regelungsverfahren mit Kontrolle auf zwei Monate aus. Aufgrund der Unterschiede in Komplexität, Umfang und Bedeutung der zu erwartenden delegierten Rechtsakte ist der Bundesrat jedoch der Auffassung, dass der EU-Gesetzgeber im Einzelfall über die angemessene Frist entscheiden sollte. Sollten das Europäische Parlament und der Rat vor Ablauf der Frist von drei Monaten erklärt haben, keinen Einwand erheben zu wollen, sieht der Bundesrat in dieser Hinsicht eine Beschleunigungsmöglichkeit als gegeben an. Der Bundesrat empfiehlt, dass die Verlängerung der Fristen im Falle einer erhöhten Komplexität - wie auch im bisherigen Regelungsverfahren mit Kontrolle - vorgesehen ist.
- 11. Die Kommission schlägt in Nummer 5.3.4 ihrer Mitteilung die Schaffung eines Dringlichkeitsverfahrens zur Wahrnehmung des Einspruchsrechts vor. Inwieweit dafür überhaupt Bedarf besteht, kann derzeit nicht abgesehen werden. Auch in diesem Fall müssen daher die Einspruchsmöglichkeiten von Rat und Europäischem Parlament gewahrt bleiben, können aber auf das dafür notwendige Mindestmaß beschränkt werden. Eine Frist von acht Tagen lehnt der Bundesrat jedoch ab, weil das Einspruchsrecht dabei de facto nicht ausgeübt werden könnte. Aus Gründen der Rechtssicherheit spricht der Bundesrat sich ebenfalls gegen das einstweilige Inkrafttreten eines delegierten Rechtsaktes mit Widerrufsmöglichkeit aus.
- 12. Der Bundesrat stellt fest, dass es alleinige Entscheidung des Gesetzgebers ist, sich selbst eine Begründungspflicht aufzuerlegen wie von der Kommission in den Nummern 5.2 und 5.3 ihrer Mitteilung gefordert. Der Bundesrat betont, dass an die Begründungspflicht keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, um die Ausübung der Kontrollrechte nicht zu erschweren. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass der Gesetzgeber im Sinne einer transparenten Verwaltung unabhängig von einer Selbstverpflichtung grundsätzlich eine Begründung vorlegen sollte.
- 13. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.